Fischauge ’96 (überarbeitete Fassung 2008)

Inhalt

0.  Vorbemerkung: … Stand der Dinge

I.   Die Idee
1.1. Unser Ansatz
1.2. Konkret
1.3. Kunst & Medienpädagogik

2.  Die Vorbereitungen
2.1. Team
2.2. Die Stationen
2.2.1. allgemein
2.2.2. Portraits der Stationen
2.3. Technik

3.   Die Praxis
3.1. Ablauf und Realität
3.2. Wie wurde der Plan von den Teilnehmern verändert?
3.3. Das Bild
3.3.1. Überwachungskamera
3.3.2. Realität – Abbild – Bild
3.3.3. Das Ereignis in der Realität zeigen: Team-Arbeit
3.3.4. Das dokumentarische Bild
3.3.5. Das inszenierte Bild
3.3.6. Die Montage
3.4. Die Präsentation

4.     Die Ergebnisse
4.1. Arbeit und Arbeitgeber
4.2. Fazit

 

0. Vorbemerkung

… der Stand der Dinge
Die Nutzung von Massenmedien gehört seit Jahrzehnten zum selbstverständlichen Repertoire der politischen Meinungsbildung, zum wohl unbestritten wirkungsvollsten Instrumentarium politischer Parteien und Institutionen, ihren Ideen und Positionen die angestrebte positive Öffentlichkeit zu verschaffen. Stetig steigt die Zahl der verschiedenster Fernsehsender, eine schier unüberschaubaren Inflation von kommerziellen Nutzern der weltweiten Computernetzen bekommt im alltäglichen Leben eines jeden seinen Platz. Sind all diese Phänomene einer rasant fortschreitenden technischen Entwicklung in der täglichen Diskussion ermüdend präsent, so ist der Bereich der Möglichkeiten, hier einen kreativen Arbeitsansatz z.B. mit Jugendlichen zu entwickeln selbst bei pädagogisch Tätigen wenngleich bekannt, so doch nicht real im Handlungsspektrum des Einzelnen verfügbar.Natürlich gibt es eine aktive Medienpädagogik, Ressourcen in der Medienarbeit sind nicht zuletzt durch die Offenen Kanäle oder Initiativen einzelner Schulen erschlossen worden. Doch von einer echten Alltäglichkeit der Arbeit und Beschäftigung mit elektronischen Medien kann nur selten die Rede sein.
Und:All diese Bemühungen und die oft in Städten seit Jahren sehr erfolgreich arbeitenden Initiativen und Angebote vermögen jedoch nicht, hinreichend auf die Siedlungsstruktur eines Flächenlandes wie der Schleswig-Holsteins einzugehen.
Arbeitsgemeinschaften engagierter Medienpädagogen oder beispielsweise Offene Kanäle und ihr Sendebetrieb im Kabelnetz sind immer lokal begrenzt und erfordern alternativ begleitende Initiativen, um außerhalb des Einzugsgebietes der großen Städte (in Schleswig-Holstein z.B. Kiel, Lübeck, Flensburg etc.) mit ihren Ideen und Aktionen, aber auch ihren langfristigen Ansätzen und Möglichkeiten flächendeckend präsent zu sein.

Daß auch in Schleswig-Holstein in den 90er Jahren immer noch eine Abwanderungsbewegung aus ländlichen Regionen in die Städte zu verzeichnen ist, verwundert bei steigender Attraktivität des urbanen Lebens und natürlich der Konzentration des Arbeitsplatzangebotes wenig. In der Zeit des viel beschworenen gesellschaftlichen Wandels, stehen sämtliche städtischen Attribute hoch im Kurs.

Ländliches Leben attraktiver zu gestalten oder etwa die Angebote für Kinder und Jugendliche auf dem Lande zuerweitern, wird allzuoft vernachlässigt. Müssen so etwa nicht selten in Dörfern mit 2000-3000 Einwohnern Größe oft lediglich ein Jugendtreff nebst einem einzigen voll ausgelasteten Jugendarbeiter das gesamte Spektrum pädagogischer Angebote bestreiten, so gehen Kinder und Jugendliche in Flächengemeinden wie etwa Schwedeneck im Dänischen Wohld, mit Siedlungen meist unter 1000 Einwohnern oft gänzlich leer aus. Medial via Satellit und Internet ebenso voll versorgt, wie städtische Jugendliche, haben sie meist kaum eine Gelegenheit, die zahlreichen
Möglichkeiten von kreativer Medienutzung und -gestaltung kennenzulernen und zu nutzen. Und auch der Jugendarbeiter eines örtlichen Jugendtreffs findet meist kaum Zeit, sich über das Erlernen des rein technische Ablaufes einer Videoproduktion hinaus mit der gesamten Bandbreite des filmischen und medienpädagogischen Spektrums auseinanderzusetzen.

 

1. Die Idee

1.1. Unser Ansatz
3 Wochen im Sommer rollt das Fischauge’96 über Land.

Ausgestattet mit einem professionellen Video-Schnittplatz, Kameras, Licht- und Tonutensilien macht es in verschiedenen Dörfern für 3-4 Tage Station und schlägt ein „Video-Camp“ auf. Dort arbeiten wir mit Jugendlichen, produzieren in diesen Tagen einen Film, vielleicht verschiedene kurze Filmideen…

Fischauge’96 bietet in den Sommerferien wie ein Wanderzirkus die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit der Welt der Bilder, schafft Raum für kreatives und reflektiertes Arbeiten mit dem Medium Video und ist ein Angebot an Jugendliche in ländlichen Gebieten, die sonst nur wenig Gelegenheit haben, kompetent begleitet im Bereich Video und Film, in der Welt der Bilder zu arbeiten.

 

 

1.2 Konkret

Die Arbeit mit den Jugendlichen vor Ort geht über den Ansatz der reinen Bereitstellung von technischem Gerät und der punktuellen Beratung hinaus.
Denn:
Es gibt eine filmische Ästhetik außerhalb der massenmedial festgelegten Kriterien. Diese gilt es, gemeinsam mit den Jgdl. zu erschließen, d.h. in der Ideenfindung, Planung, filmischen Arbeit, beim Schnitt, in der Präsentation den Jugendlichen Freiraum im visuellen Wertesystemen zu ermöglichen. Jeder Eindruck ist legitim, jede Herangehensweise und Umsetzung ist grundsätzlich willkommen. Jede Idee, jeder Film steht als Ausdruck der Produzierenden. Rolle der Mitarbeiter ist dabei, eine Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Mediums, mit Wirkungsfaktoren und Gestaltungsbereichen anzuleiten:

  • Das Bild und sein Ausschnitt,
  • Bewegung,
  • Tempo,
  • Blickwinkel und Beleuchtung,
  • die Dauer, die einem Bild zugestanden wird,
  • Töne, Geräusche, Klänge, Musik, Gespräche,
  • Wiederholung von (Bild-)Phrasen, Farben, Lautstärke,
  • Schnitt als verknüpfende Gestaltungsebene all dessen.

Auch stehen alle erdenklichen Zusatzmedien zur Verfügung:
Video, Super 8 (kodachrome-prozeß vor Ort), Polaroid, Trickfilm, Unterwasseraufnahmen…

Des weiteren ist durch die Geräte des Offenen Kanal Kiel eine professionelle Qualität der Aufnahmen/Bearbeitung sowie eine vieltausendfach bewährte Bedienerfreundlichkeit gewährleistet. So wird weiterhin die Technik selbst nicht zum Problemfaktor, der Arbeitsprozeß selber wird nicht durch techn. komplizierte Vorgänge behindert, Raum, Blicke und Bilder frei zu entfalten.

Und: Das Bild wird nicht nach seiner TV-Kompatibilität hin bewertet, sondern innovativ-ästhetische Ebenen werden thematisiert und diskutiert. Durch den Charakter eines Instant-Videocamps kann hier in wenigen Tagen ein Prozeß angestoßen werden, der sonst in seiner Intensität in den einzelnen Dörfern mangels Personal und Ausstattung kaum geleistet werden könnte.

Dennoch geht im Projekt Fischauge’96 die Tätigkeit der Mitarbeiter über die Rolle des reinen (Sozial-) Dienstleisters hinaus. Ohne an Konserven bekannte Strickmuster unterschiedlicher Filmgattungen zu analysieren, wird kontinuierlich durch die Mitarbeiter in der Planung und Produktion der Einfälle der Jgdl. die grundsätzliche Herangehensweise, die Gestaltung, der Aufbau und seine Wirkung auf den Zuschauer thematisiert, beispielsweise durch parallele Produktionen verdeutlicht und erprobt etc.

Das Fischauge’96-Team ist zusammengesetzt aus Filmemachern, Medienpädagogen, Erlebnispädagogen, Kunstpädagogen bzw. Studenten dieser Fachbereiche.
So wollen wir eine möglichst große Bandbreite an Möglichkeiten anbieten, um den Jugendlichen keine Einschränkung durch Inkompetenz des Teams aufzuerlegen. Außerdem steht die Mischung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche auch für ein flexibles, kreatives Team, das durch die unterschiedlichsten Erfahrungen der Mitarbeiter nicht eingefahrene Lehr- und Didaktikmodelle befolgt, sondern schon in der Vorbereitung eine fruchtbare Auseinandersetzung diktiert. Auf jeden Fall aber wird im laufenden Projekt eine strukturierte Auswertung der jeweiligen Erfahrungen stattfinden müssen.

 

 

1.3. Kunst & Medienpädagogik

Die Welt der Bilder steht jedem offen. Sich in ihr zu bewegen, sie selbst zu gestalten, ist jedem möglich – sie zu ignorieren dagegen muß scheitern! Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelte sich seitens der Erziehungswissenschaftler und Pädagogen eine Branche, die flugs Ziele und Möglichkeiten einer edukativen und/oder emanzipatorischen Beschäftigung mit Medien formulierte. Die neuere Medienpädagogik ist mittlerweile, beinahe 30 Jahre nach ihrer Konstitutionsphase, in zahllose Richtungen ausdifferenziert. In den letzten Jahren dreht sich in der wissenschaftlichen wie praxisorientierten Theorie die Diskussion vermehrt um die sogenannten „Neuen Medien“. Es geht um „Virtuelle Welten“, um „Cyberspace“ und „Internet“, kurz: Eine „visuelle Zeitenwende“ wird propagiert; Zeit also, sich diesem neuen, unendlich weiten Feld zu widmen. Endlich einmal versucht die Pädagogik, nicht ihren berühmten, ein Jahrzehnt fassenden Riesenschritt hinterherzuhinken.Doch weit gefehlt!
Medienpädagogik stellt in seiner ganzen Themenbreite den Anspruch, sich in seiner Arbeit einem gesellschaftlich extrem relevanten Thema zu widmen, eben den Medien. Doch bei einer derart weitläufigen Aufgabe sollte folgendes bedacht werden: All die anderen Faktoren, wir nennen sie im folgenden Disziplinen, die an der Definition, dem Profil einer Gesellschaft mitgestalten müssen ebenfalls beachtet werden, und damit nicht genug, wollen im eigenen Ressort diese parallel existenten Bereiche aufgespürt und thematisiert werden.

Will sagen: Die Entwicklungen in der Politik, der Menschheitsgeschichte, der Kunst und Kultur müssen beachtet und bearbeitet werden. Eine Selbstverständlichkeit, könnte man meinen. Sämtliche der o.g. besser Disziplinen, bestimmen, formen die Erscheinung einer Gesellschaft, bestimmen ihre Existenz und bestimmen somit auch die Existenz, das Schicksal, das Denken eines jeden einzelnen Menschen darin.

Und weiter:
In jeder dieser Disziplinen spiegeln sich Inhalte, Tendenzen, Entwicklungen jeder anderen Disziplin wieder. Zwischen all diesen gesellschaftlich relevanten Bereichen herrscht ein ständiger Austausch, eine gegenseitige Einflußnahme. Und genau hier, in der Welt der Selbstverständlichkeit, entwickelt beispielsweise die Medienpädagogik eine echte Lücke mit System und Konsequenz. Medienpädagogisches Handeln stützt sich im Bereich der alteingesessenen Medien, so auch in der Welt des Fernsehens, auf ein Theoriekonstrukt, welches den Ursprung dieser Welt, ihrer eigenen Herkunft und Basis rigoros verleugnet. Das Fernsehen mit all seiner Programmvielfalt, den neusten Technologien, dem Pay per view, den interaktiven Digitalwelten und den daraus resultierenden grundsätzlichen Verschiebungen bei Rezeptionsverhalten, Wahrnehmungs- und Bewußtseinsstrukturen ist nicht denkbar, ohne seine Wurzeln und immer noch seine Substanz aus einem ganz anderen Spektrum zu erhalten: Das Fernsehen, die bewegten Bilder auf der Mattscheibe, sind abgeleitet aus den Welten des Kinos, ergo des Filmes, ergo aus der Welt des Bildes, des Bildnisses selbst.

Und diese wiederum steht verwurzelt in den Konstrukten, den Gedanken, der Tradition der Kunst. In ihr liegen die Ursprünge des heutigen Fernsehens. Die Malerei, das Theater, die griechische Rhetorik bilden vielleicht das Urgemisch, aus dem sich ein Bild, Bildersequenzen, Handlungen, Inszenierungen und auch die Information, die Meinungsbildung entwickelte, zumindetst aber ableitete.
Wo nun die Lücke?

Die Medienpädagogische Praxis ist derzeit im Bereich der Audivisuellen Medien in ein Handlungsstadium geraten, in dem weite Teilbereiche des Ursprungs der behandelten Medien ignoriert werden. Ein Sturm der Entrüstung bräche los, würfen wir der Medienpädagogik das Ignorieren politischer Einflüsse, politischer Strukturen oder Entscheidungen vor. Im Gegenteil leistet Medienpädagogik ja auch tatsächlich aus der Faszination für die Technik an sich Profit schlagend echte politische Arbeit. Medienpädagogik leitet an, zu Information über und kritischer Betrachtung von politischen Prozessen, Themen, Entscheidungen.

Eine andere Disziplin jedoch wird von der Medienpädagogik meist konsequent vernachlässigt: Die Kunst. Suchen wir nämlich in medienpädagogischen Erörterungen, aber auch in der medienpädagogischen Praxis selbst nach der Auseinandersetzung, gar nur der Thematisierung der Kunst, so sind die Ergebnissse rar. – Hier geht es nicht um analytische Rezeption eines Filmes, nicht um die Wirkung diese oder jenen Bildes in der Werbung, hier ginge es um den Anspruch, den die Disziplinen der Kunst an die Welt der Bilder, an die Gestaltung der Bilder herantragen.

Medienpädagogische Praxis zielt in ihrer Ausrichtung auch heute noch fast ausschließlich in die Richtung des Fernsehens. Und somit bewegt sich Medienpädagogik in einer gefährlich eingeschränkten Wirklichkeit. Fischauge’96 sehen wir vor diesem Hintergrund als eine Erweiterung des medienpädagogischen Spektrums. Und Fischauge’96 versucht dazu, die neuen Kompetenzen in der künstlerischen, freien Arbeit mit Bildern zu verbinden mit den Bemühungen der Medienpädagogik im Bereich der Politik:

In der Unterstützung, persönliche Filme zu gestaltem, versteckt sich nicht unser profaner Wunsch, ästhetische Formen zu schaffen, zu genießen. Im Hintergrund steht die Sorge um die Form generell. Nicht als ein Konzept der Verpackung. Und dabei auch nicht nur als ein Konzept der Ästhetik im Kunstbereich, sondern eben auch, um in den Bereich der Politik vorzudringen, um eine gegenseitige Partizipation o.g. Disziplinen anzuregen, zu ermöglichen. Die Sorge um die Form reiht sich voll und ganz ein in die Branche der Medienpädagogik. Die Sorge um die Form, auch um das Gespür für die subversive Art, in ihnen inhaltlich zu werden. Und: Neue Formen zu entwerfen gibt Raum, neue Inhalte zu denken, neue Muster zu entwerfen ist gleichbedeutend mit dem Anspruch an das Publikum, Denkmuster im Kopf zu reflektieren, sich neuem auszusetzen, einfach Anteil zu nehmen an der Meinung, dem Standpunkt des anderen. Ein Schritt Pluralität, ein Schritt in der Demokratie und somit ein Schritt in der Entwicklung, des Bewußtseins, in der Menschwerdung des Humanen.

 

 

2. Die Vorbereitungen

2.1. Team

Ein Projekt braucht Menschen. Menschen, die das Angebotene nutzen und Menschen, die neben der Konzeption und Planung auch die Praxisphase durchführen.Ein Projekt wie dieses, das in seinem Ansatz, in seinen Grundüberlegungen über das gewohnte Maß an konkret medienpädagogischen Veranstaltungen hinausgeht und noch dazu einen neuen Ansatz von Medienarbeit erproben will, ist natürlich auf ein Team angewiesen, das sich mit der Idee, den Absichten beschäftigt und identifiziert. Der Ansatz von Fischauge’96 stellt hohe Anforderungen an die Mitarbeiter.
Konzipiert von 2 Personen, sollte nun in der weiteren Planung, der konkreten Vorbereitung und schließlich der Durchführung die Arbeit auf eine personell breitere Basis gestellt werden.

Anforderungen
Die einzelnen Mitglieder des Teams sollten

  • filmische Qualifikationen, also sowohl theoretische als auch
  • produktionspraktische Erfahrungen mitbringen,
  • die Funktionsweise der vielen technischen Geräte erlernen können,
  • sich der recht harten Arbeit eines dreiwöchigen 24-Stunden-Projekts gewachsen fühlen,
  • zu einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Ansatz des Projektes fähig sein,
  • Erfahrungen im Bereich der Arbeit mit Jugendlichen haben,
  • teamfähig, d.h. selbständig verantwortungsvoll arbeitend, kritikfähig, koordinationsfähig und lernbereit sein.

Fortbildung
In ihrer Zusammensetzung deckte das Team eine große Bandbreite der erforderlichen Qualifikationen und Fähigkeiten ab. Realistischerweise hielten wir die Möglichkeiten, im Laufe der Praxisphase sich gegenseitig in die unterschiedlichen Bereiche einzuführen, für stark begrenzt. Außerdem sollte sich in der Vorbereitungsphase zeigen, ob wir, die einzelnen Personen überhaupt erfolgreich und für jede/n zufriedenstellend, sprich in einem freien, kreativen Klima, gemeinsam arbeiten könnten.

Die Vorbereitung des Projektes umfaßte zunächst eine gemeinsame Schulung und Fortbildung.
Sie wurde aufgeteilt in
> die technische Schulung,
> das gemeinsame kreative Arbeiten
> sowie die Auseinandersetzung mit der Projektidee.
Neben einigen Arbeitstreffen wurden die beiden folgenden Teile in gemeinsamen Kompaktwochenenden im Frühsommer’96 erarbeitet.

Technik

In der Praxisphase des Projektes sollte für die Arbeit mit den Jugendlichen ein möglichst breites Spektrum an technischen Möglichkeiten bereitgehalten werden. Wenngleich vielleicht einige der mittransportierten Geräte innerhalb der 3-wöchigen Praxisphase nicht einmal zum Einsatz kommen würden, war eine Beherrschung der Funktion aller Geräte notwendig. Darüber hinaus war ja beispielsweise bei der Entwicklung und Bearbeitung von Super 8-Filmmaterial nicht das Erlernen festgelegter Arbeitsabläufe (z.b. am Schnittplatz), sondern ein improvisiertes Experimentieren notwendig. Um all die Arbeitsschritte einer Produktion den Jugendlichen vermitteln zu können, aber auch, damit dem kreativen Denken und Arbeiten nicht technische Hindernisse im Weg lagen, erarbeitete sich das Team jedes später mitgeführte Gerät und jeden Schritt der Arbeit mit Video und Film. Dazu gehörte die Funktionsweise der Kameras, das Bedienen des semiprofessionellen Hartschnittplatzes, Kenntnisse über die Konstruktion des Videomagnetbandes und das Verkabeln des Trischmischers.

Wichtig dabei war sogar, den Sendersuchlauf jedes Monitors zu testen, den Platz der Sicherungen der Scheinwerfer zu finden oder gar in den unendlichen Weiten der Filmprojektoren nach dem Treibriemen zu fahnden. Dennoch nimmt die technische Kompetenz in der Befähigung der Mitarbeiter von Fischauge’96 nur einen geringen Teil ein. Die technischen Geräte und Apparate nehmen im Camp selber einen optisch großen Teil ein. Doch im Grunde sollte durch das Beherrschen der Technik eher Freiraum geschaffen werden, auf die Prozesse der Filmenden únd ihrer Bilder unserem Anspruch nach eingehen zu können. Deutlich wurde dies spätestens, wenn ganze Arbeitsschritte einer Gruppe durch technische Defekte oder Ausfälle behindert wurden. Hier schnelle Hilfe zu wissen, kann ein ganzes Filmwerk retten.

Kreativität

Ein wichtiger Punkt in der Arbeit mit Jugendlichen und Video, sei es in der direkt-produktiven Praxis oder in der analytischen Arbeit an Fernsehmaterial, ist für uns die Fähigkeit und Erfahrung der Mitarbeiters selbst einen Film, ein Video zu erstellen. Das dafür weit mehr als das Beherrschen der Technik notwendig ist, erscheint klar; schwieriger scheint schon die Beurteilung der kreativen Befähigung zu sein: Jahrelange Erfahrung in der Produktion von Industriefilmen oder dem Erstellen von Hochzeitsvideos erschließt kaum einen breiten filmischen Horizont.

Die echte Auseinandersetzung mit der Idee von Film, der Dramaturgie, dem Spielen mit Genres, Gestaltungs- und Herangehensweisen eröffnet auch in der Arbeit mit Jugendlichen Perspektiven, die ihnen Freiraum und zugleich fundierte Begleitung im filmischen Bereich ermöglichen. Genauer: Nur so kann auch von den Jugendlichen eine tiefere Auseinandersetzung mit Film gefordert werden.

Kann jahrelange Erfahrung nicht gelernt, geübt werden, so lag unsere Möglichkeit in der Vorbereitung darin, konkret und ohne Allüren selber die Kamera in die Hand zu nehmen und sich mit einer Thematik, der Gestaltungsform, den eigenen Gedanken sowie der realen Kameraarbeit zu beschäftigen.

Dieser Punkt könnte und sollte einen breiten Raum einnehmen. Erst hier entsteht die Kompetenz eines Pädagogen, eines Nicht-Filmers, das Gefühl für Situationen, den Blick für die Realität im Kamerasucher und für die weiten Möglichkeiten des Filmes zu erfahren. In der eigenen, gänzlich unpädagogischen Beschäftigung mit dem behandelten Medium Video kann die Grundlage einer Kompetenz erwachsen. (… kann die eigentlich grundlegende Substanz einer jeden Aktion, eines Handelns, die oft unterschätzte Grundvoraussetzung für alles auch pädagogische Arbeiten erworben werden, die Kompetenz.)

In der Zusammenarbeit von Filmemachern und Pädagogen entstand denn auch in der Praxisphase viel Diskussionsstoff. Lassen sich aus den Erfahrungen aus diesemProjekt gut neue Überlegungen für eine Erweiterung dieser Kreativ-Vorbereitung entwickeln, so führte doch gerade dieser Punkt, die Kompetenz in der Auseinandersetzung mit Bildern, zu weitergehenden Überlegungen.

Betont werden soll dennoch, daß in einem Team hier wirklich mehr die Qualität der Lernbereitschaft, der offenen Beschäftigung mit Neuem, dem selbstinitiierten Interesse an der kreativen Auseinandersetzung mit der Materie gegeben sein muß, als alles angelesene Wissen, als aller Wille zu pädagogisch wertvollem Handeln.

 

2.2. Die Stationen

2.2.1. allgemein

Das Medienmobil zieht im Sommer über’s Land, macht in verschiedenen Dörfern für 3 oder 4 Tage Station und errichtet hier ein Videocamp. Und diese Dörfer nun, galt es zu finden, eben die Stationen von Fischauge’96. Der Zeitraum des Medienmobils sollte sich auf 3 Wochen erstrecken. Zum einen erschien dies als geeigneter Zeitspanne, das gesamte Projekt mit allen Mitarbeitern gemeinsam durchzuführen, und so die Erfahrungen in die jeweils folgenden Stationen einfließen zu lassen. Zum anderen war die Technik der Offenen Kanäle „nur“ in diesem Zeitraum zu unserer Verfügung, d.h. die Geräte, der Bus, der Bühnenanhänger konnten für maximal 3 Wochen aus dem laufenden Sommerbetrieb der stationären Offenen Kanäle in Flensburg und Kiel abgezogen werden.In Zusammenarbeit mit dem Jugendamt des Kreises Rendsburg-Eckernförde wurden zunächst Orte gesucht, die die logistischen Voraussetzungen erfüllten, die ihrerseits ein Interesse an der Aktion hatten und die nicht zuletzt in der Lage waren, ihren finanziellen Anteil zu tragen. Etwa 15 Dörfer, von ihrer Lage und Struktur her ganz unterschiedlich, wurden in die engere Wahl gezogen. Nach Klärung der obigen Punkte, die durch das Jugendamt erfolgte, wurde ein Treffen mit den Ansprechpartnern aus 6 Orten aus dem Kreisgebiet Rendsburg-Eckernförde vereinbart. Deutlich wurde schon jetzt die elementar wichtige Rolle der Personen, die das Projekt im Dorf selber vertreten sollten. Die Vorbereitung, die Werbung vor Ort ist bei einer derartigen Struktur wichtige Voraussetzung. Bei nur 3, 4 Tagen vor Ort kann nicht Aufgabe des Mobil-Teams sein, für das Projekt zu werben, die Idee zu verbreiten. Wichtig also für uns, mit verläßlichen Partnern zusammenzuarbeiten, die, unsererseits mit Informationen und Plakaten versorgt, das Projekt bei den Kindern und Jugendlichen des Dorfes einführen. Die Ansprechpartner benötigen also im Dorf eine Rolle, eine Funktion, die ihnen überhaupt eine Chance gibt, die Jugendlichen überhaupt anzusprechen, zu motivieren, im Idealfall gar auf das Medienmobil vorzubereiten…

Konkret gestaltete sich unsere Ankunft im Dorf denn auch sehr unterschiedlich: Standen einmal eine Stunde vor Beginn 20 Kinder auf dem Gelände und halfen, die Zelte zu errichten, das Camp aufzubauen, so mußten andernorts Mitarbeiter aufbrechen, um in einer Promotiontour mit Kamera und Plakaten Jugendliche einzuladen oder, um das Camp überhaupt erst ins Gespräch zu bringen. Von überraschten Bürgermeistern bis zu Jugendlichen, die konkrete Ideen für ihre Filmarbeit mitbrachten reichte das Spektrums der Ankunftssituation in den Dörfern.

Der nächste Schritt seitens der Projektleitung nach dem gemeinsamen Koordinationstreffen des Teams, der Ansprechpartner, sowie des Kreisjugendwartes war ein Termin vor Ort. Folgende Kriterien standen im Vordergrund:

  • die Wahl des Geländes im Dorf, möglichst zentral und frei verfügbar (Kein Parkplatz eines Supermarktes), groß genug für Zelte, Autos, Bühne…
  • die Infrastruktur dieses Platzes (Strom incl. zugänglicher Sicherungen, Wasserversorgung für die Super8-Entwicklung, Toiletten für die TN und das Team, ggf. ein Raum als Regenalternative etc.)
  • aber auch die Struktur des Ortes generell… ein Staßendorf, eine Siedlung… Freibad, Dorfdisko, Nähe und Anbindung zu einer Stadt…

Auch Pressearbeit mit lokalen Zeitungen konnte abgesprochen werden, eventuelle Themen, die derzeit das Dorf beherrschen wurden erfragt.

Die wichtige Arbeit der Partner vor Ort wurde durch das Projekt u.a. mit farbigen Plakaten (einheitlich mit dem Logo der Tour), Infobriefen, einer Pressemitteilung etc. möglichst weit unterstützt. Über ein Funktelephon war Fischauge’96 auch in der Praxisphase für die Stationen erreichbar.

 

2.2.2. Portraits der Stationen

1. Bovenau, 920 Einwohner, durch Autobahnanbindung fast vor den Toren Kiels. Wenig Tourismus. Partner hier war direkt der Bürgermeister, der so natürlich unbürokratisch ein wirklich ideale Vorassetzungen für das Camp schaffen konnte. Ohne Jugendtreff o.ä. war Fischauge’96 bei Eltern, Kindern, Jugendlichen bekannt. Die Freiwillige Feuerwehr Boveanu/Ehlersdorf fuhr am 2. Tag extra für das Camp eine große Einsatzübung, die mit allen TN filmisch begleitet wurde. Anschließend konnten die Feuerwehrfrauen und -männer ihren Einsatz in Zeitlupe und aus vielfacher Persepektive auf den Monitoren im Camp betrachten und ihren Einsatz analysieren. Die Bereitstellung der geräumigen, hellen Mehrzweckhalle als Regenalternative und die Zusammenarbeit mit dem integrierten Verköstigungsbetrieb erlösten von den feuchten Zelten und schufen ein unerwartetes Luxusambiente als Start unserer Tour. Und: Schon im Laufe des Camps bevölkerten Eltern, Dorfbewohner, Neugierige das Camp und schauten den Jugendlichen über die Schulter. Präsentation in der Halle mit 120 Besuchern, Eltern, Interessierte und Feuerwehr…2. Waabs, 1300 Einwohner an der Ostsee gelegen, diverse Campingplätze, sehr starker Fremdenverkehr. Jugendarbeit ist nach Auskunft des Bgm. durch Feuerwehr und Sportverein abgedeckt. Ansprechpartner hier die örtliche Arbeiterwohlfahrt. Als Istitution nur wenig im Dorf präsent, lag die Vorarbeit bei der Awo-Vorsitzenden, jedoch nur als Bewohnerin des Dorfes. Gelände eine zentrale Wiese. Hier zog das zeitlich parallele jährliche Reiterturnier viele Jgdl. als Zuschauer und Eisverkäufer von vornherein ab. Die älteren Jugendlichen fanden erst bei der Präsentation und am folgenden Morgen ins Camp. Präsentation um 21 Uhr mit etwa 70 Besuchern in einer leeren Lagerhalle. Danach noch gemeinsames Grillen.

3. Westensee, 2800 Einwohner idyllisches Dorf,teilweise Wohnort gehobener Einkunftsgruppierungen. Ansprechpartenr das Jugendzentrum des Nachbardorfes Felde. Deren MA war aber leider zum Zeitpunkt der Aktion im Urlaub. Deshalb schleppender Beginn des Camps, schön am See gelegen, doch nicht Thema im Dorf. Niemand wußte von unserer Aktion, deshalb Promotiontour und nur 4 fertiggestellte Projekte. Nur 12 feste TN, Präsentation open air mit etwa 40 Gästen.

4. Jevenstedt, 4600 Einwohner, beinahe Subzentrum der Region. Zentraler Platz auf schönen Parkplatz im Dorf, sonst Treff der Dorfjugend. Die MA des AWO-Jugendtreffs, Träger vor Ort, hat dem Projekt eine große Präsenz geschaffen,Jugendliche strömen, haben teilweise Themen überlegt, arbeiten bis in die Nacht,das Camp ist mehr als ausgelastet. Alter erstmalig von 9 – 23 Jahren. Präsentation open air mit etwa 100 Besuchern, teilweise moderieren Jugendliche, das Camp ist wirklich Mittelpunkt des Dorfes.

5. Hohenwestedt, 1600 Einwohner, ein Ort, kein Dorf, Einkaufsstraße, Freibad, Jugendtreff in Sommerpause.
Große Wiese auf Kirchengrund, etwas versteckt, aber zentral. Partner die hier ansäßige Jugendwohngruppe des Jugendamtes Rendburg. Doch leider: Keinerlei Identifikation mit dem Projekt dererseits, keine Werbung, kein Engagement der MA. Das Camp arbeitet mit 15 Kindern und Jugendlichen aus dem Umfeld der Wohngruppe. Für das Team schwer, inhaltlich zu arbeiten, viele Ansätze, abgebrochene Versuche. 3 fertige Filme, außerdem 2 ältere Jugendliche bereits videoerfahren, nutzen das Camp, um Super 8 kennenzulernen, drehen einen Experimentalfilm. Präsentation vor etwa 30 Interessierten, Moderation durch eine Jugendliche, beinahe offenes Ende…

6. Fockbek, 5600 Einwohner, Dorf, aber unmittelbar an die Kreisstadt Rendsburg angrenzend. Wiese zwischen gut besuchtem Freibad und örtlichem Jugendzentrum. Dies auch Partner der Aktion. Engagierte Werbung des MA, Jugendliche machen einen Getränkestand… 2 Gruppen aus Jevenstedt bzw. Hohenwestedt (Experimentalfilm) beenden hier ihre Projekte, Jugendliche des Dorfes vielleicht dadurch erst zurückhaltend, die Kinder ziehen los… später dann mit allen Jugendlichen intensive Arbeit bei knallender Sonne .
Präsentation open air mit 80 Gästen und 9 Filmen, viel Applaus und Grillwurst an einem lauen Sommerabend…

 

2.3. Technik

Ein mobiles Projekt im Bereich Video & Film durchzuführen bedarf eines recht großen logistischen Aufwands. Darüberhinaus stehen hinter der eingesetzten Technik aber auch Überlegungen, wie die Technik den Prozeß der Arbeit der Jugendlichen möglichst optimal unterstützen kann.Von beidem soll die Rede sein:Fahrzeuge:

  • Ford-Transit, lang, Hochdach des OK. Zentrales Mobil, Transport der Technik, Zugfahrzeug
  • VW-Bus, Multivan,Transport der Technik, Wohnraum, Organisation, Abrechnung etc.
  • DB 206 (Rettungswagenformat) Materialtransport, Wohnraum
  • Mobile Bühne, Anhänger, der in Minuten zur perfekten überdachten Bühne mit 5×3 Metern Fläche wird, Multifunktionsraum: Materialtransport, Dunkelkammer, Arbeitsfläche, 2. Schnittraum, Präsentation… einfach unentbehrlich!

und:

  • 2 Gruppenzelte, Steilwand, Modell „Rotes Kreuz“, 6×4 Meter
  • 3 Pavillons 3×3 Meter Modell „Baumarkt“, nichts für norddeutschen Wind, mehr Camp-Optik, bei Sonne zu hell für Monitore
  • 16 Bierzeltgarnituren, Tische/Bänke, vielseitig nutzbar und wirklich robust
  • 2 Transparente 4m x 1m mit Aufschrift „Videocamp“ und „Fischauge’96“
  • kleine Schlafzelte, Sonnenschirme etc.

Produktionstechnik:

Kameras:

Die Offenen Kanäle in SH sind ausgestattet mit 16 Kilo schweren semiprofessionellenn Kameras der Marke Ikegami. Wir entschlossen uns hingegen, kleine Kameras aus dem gehobenen Amateurbereich zu verwenden (Panasonic MS 4), die robust genug und einfach zu bedienen sind und die keine unverdaulichen technischen Feinheiten zum Thema machten. Vor allem aber sind diese Kameras mit einem Gewicht von 4 Kilo überhaupt für Kinder zu handhaben. Kreatives, einfallsreiches Hantieren mit der Kamera war möglich. Ein gut dokumentiertes, lockeres Gespräch darf nicht durch sendetechnische Anforderungen verhindert werden. Schon arbeiten in ganz Europa Fernsehsender mit kleinen, unauffälligen Hi8-Kameras. – Immer noch war für die unterste der angesprochenen Altersgruppen (8-10 Jahre!) die Kamera eher ein Monstrum, denn ein Werkzeug zur Umsetzung der Ideen und Einfälle.

Ton:

Mikrofone aller Arten. Grundsätzlich standen Mikrofone (meist sehr empfindliche Kondensator-Typen) nur an der Angel zur Verfügung. D.h die Mikros waren an einer 2m Bambusstange befestigt, die von einer 2. Person, incl. Kopfhörer-Kontrolle bedient wurden. Unser Gedanke dabei: Das typische Handmikrofon bereitet dem Hape Kerkerling-Interview, dem Videogruppen-bekannten Siezen des eigenen Vaters dem Weg. Hier nun war das M. nicht länger Gesprächsführer. Aus Interviews mit Frage und Antwort wurden so leichter gleichberechtigte Gespräche.

Strom:

Die schnurlose Stromversorgung von Videokameras ist zeitlich meist stark eingeschränkt. WIe nun solen Jugendliche frei arbeiten können, wenn alle 30 Minuten der Akku gewechselt werden muß? Wir arbeiteten mit 12-Volt – Motorrad-Akkus. Diese wurden, in eine passende Tasche verpackt am Gürtel oder über die Schulter gehängt getragen und haben geben Energie für mindestens 5 Stunden Betrieb. Über Nacht geladen konnte so den ganzen Tag mit einem Akku pro Team gefilmz werden- eine sehr große Erleichterung. Mit der Faszination der kleineren Kinder jedoch, die Akkus tragen zu dürfen, also auch ein „tragendes“ Element der Crew zu sein, hatten wir kaum gerechnet. Das Camp selbst war sofort von einem Netz von Stromkabeln und Verteilerdosen durchzogen.

Schnitt:

In einer großen Stagebox, etwa 200 Kilo schwer schlummerte das Herzstück der Technik: Ein semiprofessioneller Hartschnittplatz. 1000fach in den OK erprobt stand hier die beste aller denkbaren Möglichkeiten zur Verfügung, ein in sich geschlossenes, fertig verkabeltes System. Mit Player und Recorder, mit Schnittprogramierungseinheit, mit Tonmischpult. Dazu 6 S-VHS Consumer-Recorder, die mit Monitoren zu 2 weiteren Schnittplätzen für einfachere Videos aufgebaut werden konnten. Und als Sichtplätze für die verschiedenen Filmcrews.

Trick:

Ein Videomischer, der 2 Bildquellen übereinanderlegen konnte und zahlreiche Effekte des gehobenen Amateursideobereiches beherrschte.

Super8-Film:

Super8-Filmkameras mit sämtlichen manuellen Möglichkeiten, Sichtgerät, Projektoren (meist gerade nur einer funktionstüchtig), Schnittmonster(Klebepressen) und ein für die Entwicklung von Kodachrome-Material zusammengestelltes Photolabor (Chemikalien, Dosen, Verdunklungsfolie für den Bühnenraum)

weiterhin:
Für die Präsentation verwendeten wir einen herkömmlichen
Video-Beamer, sowie eine kleine Verstärkeranlage Lautsprechern und Moderationsmikro. Als unempfindliche Leinwand diente ein großes Leinenlaken. Alle Geräte waren in stabilen Kisten verpackt. Bei einem Mobil, das auch noch Station auf der grünen Wiese macht von oberster Wichtigkeit. Und dennoch war die nächtliche Feuchtigkeit eines der größten Probleme: Wenngleich alle Boxen verschlossen waren, die platinenbestückten Geräte (Rekorder, Kameras…) nachts im Auto gelagert wurden, beschäftigte uns manchmel dioe morgendliche Fehlersuche bis an den Rand des Frühstückstisches. Auch die Kabel, Kleinteile etc. waren in beschrifteten Boxen verstaut, die dann nur geöffnet auf Tische ins Technikzelt gestellt wurden. Guter Zugriff und dennoch regalähnliche Ordnung.

Reparatur, Wartung:
Ein kleiner Werkzeugkoffer mit Lötkolben, Feinwerkzeug, Steckern, Meßgerät und Sicherungen reichte für sämtliche Reparaturen an den Geräten aus. Wichtiger war das technische Know-How, das durch die frühere Ausbildung eines MA zum Informationselektoniker glücklicherweise gegeben war.

 

3. Die Praxis

3.1. Ablaufplan und RealitätWie bereits erläutert standen bei Fischauge ’96 drei Überlegungen im Vordergrund:

  • Medienarbeit mit Jugendlichen auf dem Lande, d.h. dort, wo die Infrastruktur Offener Kanäle und anderer qualifizierter Medienarbeit kaum aktiv sein kann. Heißt aber auch: Themen der Jugendlichen auch im Zusammenhang ihres Lebensumfeldes Dorf, ländlicher Raum erarbeiten.
  • Medienarbeit mit Jugendlichen nicht als Reproduktion bekannter Fernsehmuster verstehen, sondern neben den inhaltlichenThemen der Jugendlichen auch filmische Aspekte betonen.
  • Filmische Gestaltung als Arbeit mit der Wahrnehmung, dem Bewußtsein begreifen, also durchaus auch in Bereichen arbeiten, die z.B. experimentelle Ansätze fördern oder auch bekannten journalistische Arbeitsweisen entgegenstehen.
  • und natürlich sollte diese Arbeit Spaß machen. Sie sollte in einer Form an die Teilnehmenden hrerangetragen werden, die ihre einzige Verbindlichkeit aus der echten Begeisterung der Kinder und Jugendlichen für ihr jeweiliges Film-Projekt zieht.

Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, wurden unterschiedlichtse Bausteine für die Arbeit im Camp entworfen. Sie alle fanden schließlich ihren Platz im entwickelten Ablaufplan.
Für ein 4-tägiges Camp entwickelten wir folgende Ablaufplanung:

1. Tag
Camp-Aufbau, Beginn 12.00 Uhr

1. Aktion:
Installation einer Überwachungskamera. Ein Meter hoher Mast wird gemeinsam  errichtet. An sein oberes Ende wird eine s/w Kamera geschraubt, ihr Bild auf einen Monitor am Fuß des Mastes übertragen.

Imbiß und Vorstellung
Der Ablauf der 4 Tage skizziert, besondere Aktionen werden hervorgehoben. Das Camp wird besichtigt (Schnitt-Mobil, Back tent, Material-Pool, Sichtplatz). Mit der beweglichen s/w Kamera porträtieren sich die Jugendlichen gegenseitig, stellen sich der Kamera vor. Die kleine Kamera ermöglicht einen anderen Umgang mit dem Bild, eine nebensächliche Selbstverständlichkeit.

Experimente 1
In Gruppen Video, Film sowie Film und Video werden Portraits der Gruppe unterschiedlich bearbeitet. Verschiedenste Möglichkeiten, dem Bild eine neue Ebene (die des Effektes, der Bearbeitung) hinzuzufügen, werden erprobt – wie verstärke ich welche Wirkung/Ausdruck des Bildes? Filmogramm, Videogramm, Super 8, Polaroid. ..)

Einführung Kamera-Technik 1. (Basis)

Dorf-Dreh 1
In 3-er Gruppen werden Aufnahmen für einen kurzen village guide gesammelt. Was gibt’s im Dorf; besondere Bauten, Geschäfte, Plätze, Kneipen, das Freibad…; ohne Vorkenntnisse in Dramatugie, Perspektive, Ton, WB etc.

Experminente 2
Diese Bilder werden in Gruppen mit weiteren Techniken bearbeitet. Am Schnittplatz erstellt eine Gruppe ihren village guide, Fortgeschnittene lernen den Schnittplatz kennen (Assemble-Schnitt).

2. Tag

10.00 Uhr  Frühstück

Technik 2
Im Schalker Kreisel werden Kamera, Mikrofon, Scheinwerfer und Sichtplätze vorgestellt, erklärt, ausprobiert.

Thema
Die Mitarbeiter haben aus den Themen der Teilnehmer, aus der Dorf-Struktur, aus vorbereiteten Ideen konkrete Ansätze für den Tag erstellt. Diese werden nur angeboten, wenn aus den Bildern der Jugendlichen oder aus ihren Ideen, Bemerkungen und Interessen zu wenig konkrete Ansätze zu erwarten sind. In Filmteams wird das jeweilige Projekt diskutiert und strukturiert. Ein Mitarbeiter begleitet fest die Gruppe, fragt nach, gibt Anstöße. In die Planung fließen auch Erfahrungen aus den Experimenten ein, das Bild neu zu konstruieren, neue Formen der Vermittlung eines Themas zu finden. Parallel verarbeitet eine Gruppe village-Bilder zu einem rasanten Dorf-Clip. Er leitet den event-Abend ein, kann Sendungsvorspann sein…. Diese Gruppe setzt sich explizit mit der Struktur, den Merkmalen eines Clips auseinander, präsentiert abends ihr Ergebnis, kann dann die Themen-gruppen beim Schnitt der Dorf-Aufnahmen unterstützen.

event-Besprechung

3. Tag

10.00 Uhr Arbeitsfrühstück

Thema und Bearbeitung
Die Dorf-Themen werden am Schnittplatz und im black tent verarbeitet. Parallel zum Schnitt werden Sequenzen verfremdet, reproduziert, ein Teil wird als photostory konstruiert, ein anderer arbeitete mit verfremdeten Tönen.

event-Vorbereitung
Das Programm für den Abend wird festgelegt, ähnlich einer Sendung wird der Ablauf geplant. Video-Präsentationen, Interviews, Auftritte, Aktionen. Aufgaben werden verteilt. Eine Gruppe fängt im Dorf statements ein (Video-Interview) und wirbt gleichzeitig für den Abend, ansch. Schnitt. Das Camp wird dekoriert, die Bühne vorbereitet. Im black-tent drehen einzelne Gruppen Aufgaben für die Video-Rallye. Diese erhält dann eine Gruppe im Laufe der Rallye.

event
Die Dorf-Prominenz ist geladen. Eltern, Geschwister, Nachbarn, Vereine…. Die Jugendlichen empfangen die Interview-Partner. Moderation, Interviews (auch gefilmte Fragen der Bewohner), Liveband, ein Jugendkompatibilitätstest für den Jugendausschuß, wie schwer ist die Bürgermeisterkette…
Video-Präsentation aller Filme mit kurzen storys zur Entstehung.
4. Tag

11.00 Uhr Frühstück und kollektives Aufräumen

Videoralleye
incl. Video-Aufgaben (s. 3. Tag black-tent)
incl. Staffelgeschichte
incl. Gruppen-Clip

Abschlußinstallation
Menschen-Leporello als Monitorinstallation
Video außerhalb von Fernsehen erleben.

18.00 Uhr
Perspektive, Erfahrungen und Kopien

tschüß
In einer schematischen Übersicht ergibt dies:

 1. Tag 2. Tag 3. Tag  4. Tag
Beginn 12 Uhr
Installtion und Einführung
10 Uhr Frühstück
Konzept und Methoden (Dorf-spezifisch)
10 Uhr Frühstück
Bearbeitung und Schnitt
10 Uhr Frühstück
Videorallye
 Experminete und Dorf-dreh  Dorf-Dreh und „village-clip“  event-Vorbereitung inc. statements, Schnitt  Abschluß (Installation)
 Experimente  und Schnitt  Bearabeitung und Schnitt (event)  event incl. Live-Schnitt  Perspektive, Erfahrungen, Kopien

Der Ablaufplan stellt für uns mit seiner gegliederten Einteilung der Stationstage das maximal Strukturierte dar. Daß ein Seminarplan keine Aneinanderreihung der geplanten Aktionen ist, erscheint selbstverständlich. Daß dennoch oft genug nur spärliche methodologische und nennen wir es hier „seminardramaturgische“ Überlegungen die Grundlage bieten war Anlaß genug, den entworfenen Plan in allen Vorbereitungsphasen und natürlich in der Praxisphase selbst zu diskutieren.Ein Grundgerüst in Form eines solchen Ablaufplanes für die Arbeit vor Ort ist notwendig. Eine Planungsstruktur, ein Grundgerüst führt zum einen in der Planungsphase zu einer Konkretisierung des Vorhabens. Gedankengebäude, Theorieansätze müssen hier in einen praktikablen Rahmen gebracht werden, die Überlegungen der Vorbereitung finden ihren Niederschlag in der Erstellung des Arbeitsprogramms.

Zum anderen macht der Ablaufplan mit seiner klaren Aufteilung der Aktionstage das Projekt für Außenstehende, z.B. auch für die Darstellung des Projektes bei den potentiellen Stationen erstmalig plastisch erkennbar. Ohne voll in die theoretische Auseinandersetzung einsteigen zu müssen ist dieser Plan Gerüst für Interessierte, die sich nur ein kurzes Bild von dem Geplanten machen wollen.

Ganz bewußt wurde die Bedeutung der Technik in der Hintergrund gestellt. Sehen es Offene Kanäle als einen Schwerpunkt ihrer Arbeit, das Fernsehen und seine Arbeitsweisen, aber auch den einhergehenden Mythos Fernsehtechnik durch deren eigenhändigen Gebrauch, eben durch „Selber-Senden“ zu entmystifizieren, so nimmt dort in den Offenen Kanälen dennoch das Erlernen technischer Abläufe, selbst der sicheren Bedienung einer Kamera einen großen Platz ein. Weißabgleich und Tageslichtfilter, Tonaussteuerung und shutter speed, Schärfentiefenrelation und Timecodegenerator sind zu beherrschen, bevor der Nutzer an der Umsetzung seiner Ideen arbeiten darf.

Da die Nutzerbindung erfeulicherweise bei vielen dieser Einrichtungen recht hoch ist, also viele Menschen als „Wiederholungstäter“ mehrere Beiträge in Folge produzieren bleibt deren Ruf nach „besserer Technik“, gar „Profi-Equipment“ erfahrungsgemäß nicht aus. Nur: Hochauflösende, robuste Profikameras bringen für die echte Medienarbeit nicht nur mit Jugendlichen auch eine Reihe ganz anders angesiedelter Nachteile mit sich. Denn: Eine große Kamera, schnell 16 Kilo schwer, mit Wechseloptik, manuellem Tonpegel, Metallchassi und mannigfaltigen technischen Möglichkeiten, mag zwar bei Konzertmitschniten mehr Respekt gegenüber dem Filmenden bringen, sie schränkt aber mit ihrem ungeheuren Volumen die Bewegungsfreiheit und damit das Spektrum an Kamerapositionen und Bewegungen stark ein. Unser Ansatz, kleine Schulterkameras einzusetzen, die aus dem oberen Spektrum der Consumer-Geräte stammen sollte den Respekt vor der Technik nehmen, aber auch Technik-Fetischismus (viele bunte Knöpfe..) vorbeugen.

So war unter dem Punkt „Einführung Kamera-Technik I.“ tatsächlich lediglich eine Basis-Information über den Aufnahme-Knopf, den Akku-Wechsel etc. notwendig. Die sonst (und in vielen Bereichen zu recht) so verpöhnten Automatik-„Idioten“-Einstellungen kamen hier anfänglich voll zum Tragen: Die ersten „unbegleiteten“ Bilder der Jugendlichen irgendwo auf der Straße sollten gleich ein erster Erfolg werden. Funktioniert die Technik von selbst, so die Überlegung, ist eine Konzentration auf die Bildinhalte, die Themen, oder auch nur auf die Erfahrung selber Bilder zu produzieren möglich.

Gleich dieser Ansatz durchaus auch Sprüchen der Kamera-Werbung, so betont dies hier die Rolle und Aufgabe der einzelnen Mitarbeiter. Von Beginn an lag hier die Aufgabe bei der Rückkehr in’s Camp mit den Gruppen an ihren Bildern zu arbeiten, Fragen zu stellen, sie mit ihrer Herangehensweise zu konfrontieren etc.

 

3.2. Wie wurde der Plan von den Teilnehmern verändert ? – expemplarisch Bovenau –

Erste Station unserer dreiwöchigen Tournee:
Bei strömendem Regen sollte hier die erste Bewährung und Überprüfung unserer Überlegungen, der didaktischen Arbeit, des Ablaufplanes erfolgen. Glücklicherweise war es hier möglich, gleich zu Beginn aus den klammen Großgruppenzelten (Holzboden kostet Aufpreis…) in die geräumige Mehrzweckhalle umzuziehen. Denn schon um 11 Uhr standen unvermittelt 20 Kinder und Jugendliche auf der Schwelle: Technischer Aufbau in der Halle und der 1. Schritt unseres Camps, die Überwachungskamera, liefen parallel. 5 MitarbeiterInnen voll ausgelastet.Und gerade bei dieser ersten Station wurde sehr gut deutlich, wie die Jugendlichen im Arbeitsprozeß die unterschiedlichen Techniken und Angebote nutzten. Die Begegnung mit der „Überwachungskamera“, das Spiel, sich und andere auf dem Monitor zu erkennen, versteckt gefilmte Details und Gegenstände „im Fernsehen“ zu raten, faszinierte und begeisterte über eine Stunde und wurde im Laufe des Camps immer wieder, erweitert als Erkundung des Geländes, Beobachtung der arbeitenden Gruppen in der Halle etc., begeistert genutzt. Verdeutlichen wir an 2 wesentlichen Punkten die Divergenz zwischen Ablaufplanung und Realität:

1. Die (unbekannte) Welt durch den Sucher
Das Medium Video, die Arbeit mit der Kamera, die Möglichkeit, Ausschnitte des gewöhnlich Gesehenen durch einen Kamerasucher neu einzufangen, elektronisch (oder magnetisch!) zu speichern, ist die erste und fesselnde Attraktion überhaupt. Weniger die Faszination der großen Kameras, der vielen Schalter und Knöpfe steht dabei im Vordergrund. Vielmehr beobachten wir eine Faszination für das neue, alternative Sehen selbst. Durch die s/w-Darstellung des Sucherbildes ist die Distanz zur gewohnten Realität allgegenwärtig. Der eingeschränkte Blickwinkel, die beschnittene Beweglichkeit und auch die reine Unterstützung der Bildwahrnehmung. Zunächst arbeiten die TeilnehmerInnen am ersten Tag ja weder mit Kopfhörern, noch mit externem Mikrofon. Das Neue in ihrer Wahrnehmung liegt also ausschließlich im Bereich des Sehens, im „neuen Bild“. Der Ton, Geräusche, Gespräche ringsum bleiben unverstärkt und treten in den Hintergrund.

Die Ungebundenheit ohne Stromkabel und Stativ führte nicht selten (bei den allerersten Übungen) zu bekannten Orten oder umstehenden Freunden; doch diese bekannte Wirklichkeit war nun ganz anders: Der angrenzende Spielplatz erschien, um die Möglichkeit der ungehinderten körperlichen Bewegung, des Herumtobens beraubt, schnell uninteressant, die Freunde wurden aus zwei Metern Entfernung angeschrien, als müsse der Ton aus der subjektiven Kamerawelt hinausgelangen in die Welt der Freunde.

Ganz anders dann das Verhalten bei den anschließenden Dorf-Erkundungen, dem „Dorf-Dreh 1“. Die Videokamera als Speichermedium ist akzeptiert, die Absicht, dem Dorf Bilder für diesen Speicher abzutrotzen ebenso. Doch statt erklärende, beschreibende Bilder fär Außenstehende zu konstruieren, wurde der Blick durch die Kamera bei laufendem Videoband zu einem Blick durch einen Fotoapparat. Und gleichzeitig auch zum Blick in die ganz eigene, subjektive Wahrnehmungsrealität. Die Motive erschienen nur für Augenblicke, Sekunden waren lang. (Dabei wurden die Motive nicht etwa unachtsam, zufällig, sondern voller Interesse besucht, manchmal begeistet entdeckt und aufgenommen.)
Im „Vorübergehen“ streifte der Kamerablick Häuser, ein Pferd, den Sportplatz, den Onkel. Oder: Von Motiven wurde nur ein Ausschnitt, ein Bruchteil gefilmt; eine Häuserecke, ein Fahrradlenker, ein Briefkasten, eine Jacke… Ausschnitte aus der Wirklichkeit, dem bekannten Erfahrungsraum der Kinder und Jugendlichen: Die Regenrinne von der Villa, das Fahrrad von Nils, „die blaue Jacke ist mein Vater“…

Die Bilder wurden keinem Erkennungs- oder Bewertungssystem von Außen untergeordnet, nicht der Maßstab der Vermittelbarkeit, gar der Objektivität wurde angelegt. Die Möglichkeit, die Bildinhalte klaren, allgemeingültigen Begriffen zuzuordenen wurde verweigert. Was auf den Bildern zu sehen war, zeigte ganz direkt die Sicht der Jugendlichen ihrem alltäglichen Umfeld gegenüber. Ohne Abstraktionen, ohne extern erkennbare Zusammenhänge wurden Landschaften, Menschen, Gegenstände, „Ecken“ nur an Auschnitten, an subjektiv definierenden Merkmalen festgelegt. Bei der Sichtung dieses Materials entstand schnell die Notwendigkeit, die Bilder für Umstehende zu kommentieren, zu erläutern. Erst dieser Schritt, gewissermaßen die erste „Präsentation“, die Konfrontation der sehr subjektbezogenen Bilder mit den Wahrnehmungskompetenzen anderer Menschen führte „zurück“ (manchmal tatsächlich ein Rück-Schritt!) zu der Suche nach Allgemeingültigkeiten, nach Hilfen, die Bilder erklärbar, begreifbar machen können.

2. Kommen und Gehen
Was im Ablaufplan am zweiten Tag in „Technik 2“ und Thema gespalten auftaucht, wurde in der Praxis von einzelnen Mitarbeitern mit der jeweiligen Kleingruppe bearbeitet. Die Erläuterung der Technik wurde dem inhaltlichen Prozeß angepasst. Die Tonausrüstung mit Mikrofongalgen und Kopfhörer beispielsweise.

Eine fest strukturierte „Schulung“ der Gesamtgruppe an den vorhandenen Geräten erschien weder sinnvoll, noch durchführbar. Zum einen wäre so, oft mitten in einem kreativen Prozeß der Einzelgruppen die Bedeutung der Technik völlig unnötig hervorgehoben und betont worden. Zum anderen erlaubte die hohe Fluktuation im Camp, das ständige Kommen und Gehen von Kleingruppen, Filmteams und Einzelnen anfänglich kaum feste Programmpunkte. Fluktuation im Camp beschreibt dabei hier zweierlei:

  • Die einzelnen Filmcrews zogen durch’s Dorf, sichteten, bearbeiteten und verschwanden erneut, um additionale Bilder einzufangen. Und: Einzelne TN verschwinden zum Essen zu Hause, zum Zahnarzttermin…und erscheinen wenig später, um weiter an ihrem Projekt zu Arbeiten.
  • Das Camp, im Dorfzentrum plaziert und bewußt offen gehalten, zieht auch am dritten Tag noch Neueinsteiger an. An den Schnittplätzen arbeiten dann bereits die „permanenten“ Teilnehmer fieberhaft an der Montage ihrer Bilder aus zwei Tagen Drehzeit, sie bringen Freunde mit, ziehen „Zu-Schauer“ an, und schließlich möchten auch diese in die Arbeit einsteigen, den Umgang mit der Kamera erlernen, ihre Idee bearbeiten.

Sorgte der erste Punkt, die Freiheit des Arbeitsrythmus‘ für die angestrebte lockere und ungezwungene Athmosphäre im Camp, so galt es beim zweiten Aspekt, dem ständigen Zuwachs der Teilnehmer möglichst schnell die Kapazitäten des Camps, der Technik und vor allem der Betreuung durch die Mitarbeiter einzuschätzen. Konkrete Ideen der neuen Teilnehmer, originelle Ansätze und Einfälle reizten natürlich schnell zu Zusagen. Dennoch sollten ja alle begonnenen Filmprojekte auch tatsächlich zu Ende gebracht werden. Besser: Den Prozeß dieser neuen Gruppe dann auch unserem Anspruch nach wirklich zu begleiten war manchmal nur durch ein Komprimieren der Filmidee möglich. Ein Teilbereich des erträumten Film-Epos beispielsweise genau auszuarbeiten und diesen Ausschnitt dann aber auch wirklich zu produzieren.

3. Der Reiz des Zelluloid
Ein weiterer, in der Projektplanung wesentlicher Punkt nahm in der Realität der Camp-Praxis seinen eigenen Lauf: Polaroid und Super8-Film sollten das Spektrum der Möglichkeiten erweitern. Die Erweiterung um das stehende, eingefrorene Bild, die (inszenierte oder dokumentarische) Momentaufnahme: das Photo. Hier ganz unmittelbar als Polaroid. Ein Motiv, eine Handlung, eine Stimmung in ein unbewegtes Bild zu legen und auch: Das bekannte Medium Photo anders sehen: Nachcolorieren, pressen, gefrieren, Ausschnittte abfilmen, mittels Videokamera aus dem Photo eine Geschichte erzählen.

Das Medium Film, die Möglichkeit, die Aufteilung des Gefilmten in 9, 18, 25 einzelne Aufnahmen pro Sekunde ganz real sehen zu können. Das Filmmaterial ganz handwerklich schneiden, den Film „in die Hand nehmen“. Das Material, den Film mechanisch bearbeiten, mit Stiften, Skalpell, Flüssigkeiten, zwei Sequenzen mittels einem Klebestreifen aneinanderfügen.

Unterstützt werden sollte hier also der Ansatz des Experimentellen Arbeitens im Videocamp. Neben Effektmischer und elektronischer Bildrückkopplung sollte die Aura des Experimentellen durch ganz direkte, handwerkliche aber auch durch eben nicht vorgefertigte Effekte/ Versuche gebrochen werden. Der Druck auf die strobe-Taste am Effektmischer – zwar sehr effektiv verfremdend, aber doch vorgefertigter, vorgedachter Effekt. Neue Wege zu beschreiten sollte für die Jugendlichen auch heißen, ohne Einschränkungen Ideen zu entwickeln, auszuprobieren. Graue Theorie? Bleiben wir exemplarisch bei der ersten Station von Fischauge’96, in Bovenau: Der erste Tag verging ob der o.g. Faszination des „Bildermachens“ ohne die Einführung des Mediums Film, Super 8. Als einer der weniger Punkte die in der Großgruppe stattfanden, wurde am zweite Tag morgens zentral die Technik der Filmkamera, des Projezierens vorgestellt. Nur so konnte der, aufgrund des längeren Prozesses der Filmentwicklung nicht unmittelbar erkennbare Zusammenhang von Filmen und späterem Ergebnis verdeutlicht werden. Und: Mit dieser kurzen Einführung sollte das Thema „Film“ in die Verwirklichung von konkreten Ideen eingebracht werden.

Tatsächlich bildete sich hier in Bovenau wenig später eine feste Gruppe von Filmbegeisterten, die, anders als zu diesem Zeitpunkt im Videosektor, ihren Schwerpunkt in die Nachbearbeitung des Gefilmten legte. Wurde von den meisten Camp-Teilnehmern die Super8-Technik mehr im Vorübergehen, meist auch erst nach Beendigung eines Videowerkes wahrgenommen, schuf diese Gruppe in den folgenden Tagen einige Filmstreifen, die das Alltägliche der Motive durch wortwörtlich experimentierende Bearbeitung verfremdete und neu gestaltete.

Generell zeigte sich in den folgenden Stationen jedoch zweierlei:

  • Super 8, mittlerweile vom Volkshobby zum kuriosen Außenseiter- Medium verkommen, bedurfte immer der Einführung durch die MA, um überhaupt in das wahrgenommene Spektrum der Möglichkeiten seitens der Jugendlichen integriert zu werden.
  • Super 8 wurde, durch die Technik der Entwicklung vor Ort zwingend von der realistischen Darstellung in der experimentellen Bereich verschoben, vorwiegend von Gruppen benutzt, die, auch altersbedingt der Faszination des „Bildermachens“ distanzierter gegenüberstanden und die Möglichkeiten des Camps mehr interessiert, denn hypnotisiert wahrnahmen. Oder aber es wurde von Jgdl. gewählt, die ihre bereits gesammlten Video-Erfahrungen hier mit Super 8 um etwas ganz neue erweitern konnten (the ants…).

Ein parallel gleichberechtigtes Dasein von Video und Super 8 war ohnehin nicht angedacht. Sowohl der hohe Verschleiß an Verbrauchsmaterialien und Projektionstechnik, als auch die vergleichsweise eingeschränkte Unmittelbarkeit ließen es schon in der Planungsphase nur als eine Erweiterung des Angebotes erscheinen. Dennoch scheint rückblickend eine stärkere Betonung der Arbeit mit Film sinnvoll. Nur müßte dann eine erweiterte Methode entwickelt werden, den Ansatz des freien Videocamps in verschiedenen Dörfern und die arbeitsaufwendige Alternative zum schnellen elektronischen Bild zu etablieren. So könnte etwa durch die Konzentration eines Camp-Mitarbeiters auf dieses Aktionsfeld die sinnvolle Auseinandersetzung mit den erweiterten Wahrnehmungs- und Gestaltungsalternativen durch das Filmen auf Zellouloid noch gefördert werden. Alternativ ist über eine eigenständige Aktionsform nur mit dem Medium Film (dann evtl. auch mit 16mm s/w Material nachgedacht worden.)

Ablaufplan und Realität – natürlich gibt es noch eine ganze Reihe echter Variationen des starren Ursprungsplanung. Wichtig jedoch noch zweierlei: Bestimmte schnell jede einzelne Film-Crew ihr eigenes Arbeits – respektive Lerntempo, so wurde dies seitens des Teams (wie bereits oben anhand der Einführung der jeweils nächsten technischen Etappe dargestellt) durch eine klare Aufteilung einzelner Mitarbeiter zu jeweils einer Gruppe unterstützt. Hier erwies sich die ausführliche Schulung der Mitarbeiter im Vorfeld des Projektes als sehr sinnvoll. Jeder Mitarbeiter konnte eine Gruppe von der ersten Berührung mit dem Camp, über die Entwicklung und Ausarbeitung einer Idee, bishin zur Nachbearbeitung der Materials begleiten. Dies zu leisten, und nebenbei noch das Gesamtgefüge des Camps im Auge zu behalten, Entwicklungen einzuschätzen, Neuankömmlinge einzuführen, Essen zu kochen, Kabel aufzuwickeln, kurz einen Wackelkontakt zu beheben, einer anderen Gruppe einen Tip von außen zu geben und dennoch den Anspruch der filmischen, inhaltlichen Arbeit mit der eigenen Gruppe zu erhalten stellte eine der Hauptanforderungen an die einzelnen Mitglieder des Teams: Aufmerksamkeit, Belastbarkeit, Kreativität und echte „Multitasking“-Fähigkeit.

Als erwünschten Nebeneffekt entwickelten so die einzelnen Gruppen sehr schnell die Fähigkeit, alleine an begonnenem weiterzuarbeiten, Entscheidungen zu fällen und sich ihre Arbeit im Tagesverlauf selber einzuteilen. Gab es einerseits ausgedehnte Spielpausen bei einigen, so erweiterten andere ihre Arbeitszeit bis weit in die Nachtstunden hinein. Etwa bei der Montage der Aufnahmen am Schnittplatz, oder aber auch bei der Suche nach Requisiten oder Drehorten für den nächsten Tag. Und eben hier lag die zweite große Eigendynamik der Aktion Fischauge’96: Ganz bewußt wurden die äußeren Rahmenbedingungen der einzelnen Camps weitgehend offen gelassen. Ein Programm gab es von 10 Uhr morgens bis etwa 21 Uhr. Darüberhinaus sollte das Camp durchgeghend besetzt sein. Die MA lebten während der 3 Wochen also tatsächlich auf dem Campgelände, zogen mit den Wagen ins nächste Dorf und schlugen hier neben den Arbeits-und Materialzelten auch ihre eigenen kleinen Schlafunterkünfte auf.

Den Jugendlichen des Dorfes war ihre „Anteilnahme“ am Leben außerhalb des produzierenden Programms freigestellt. Will heißen: Außer eines gemeinsamen Frühstückes war auch eine Übernachtung, das Kochen für alle in der Camp-Küche, Einradfahren, Schwimmengehen, neue Plakate für das folgende Dorf entwerfen, nächtliches Openair-Kino… möglich. Ohne Kosten für die Teilnehmer, ohne vorherige Anmeldung und ganz den jeweiligen Gegebenheiten, der Stimmung und Dynamik vor Ort angepaßt entwickelten sich einzelne Stationen so zu einer mehrtägigen Jugendfreizeit, in deren Mitelpunkt jederzeit klar die Film-Arbeit stand, die aber so auch das Video-Camp zu einer zentralen Anlaufstation im Dorf machten.

Die Arbeit mit Bildern möglichst allen zu öffnen hieß für uns auch, ganz direkt unser Camp als Treffpunkt, als Kommunikationsplatz anzubieten.

 

 

3.3. Das Bild

Der Schwerpunkt der Arbeit von Fischauge’96 lag in der Auseinandersetzung mit der Welt der Bilder. Die journalistischen Möglichkeiten des Fernsehens, unterschiedliche Sendeformen oder gekonnte Anmoderationen standen hinten an. Die Thematik, die Auseinandersetzung der Kinder und Jugendlichen mit der bewußten Gestaltung eines Bildes, mit der visuellen Komposition eines Filmes durchzog die gesamte Praxisphase.

Aus dem Umgang mit der Überwachungskamera, aus der Arbeit mit den Möglichkeiten, dokumentarisch oder inszeniert zu filmen, leiteten sich weiterführende Überlegungen ab. Der Umgang der Kinder und Jugendlichen mit der Realität und der neuen Erweiterung, diese aufzunehmen, zu speichern sowie ihre Ansätze, daraus einen Film zu montieren, erforderte eine gezielte und überlegte Arbeit des Teams. Denn, so soll im folgenden dargestellt werden, in der Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen, in ihrer Art, mit dem Medium Video, mit der Welt der Bilder umzugehen, liegt eine große Ressource brach. Ein Potential im Spektrum der engagierten und kreativen Möglichkeiten in der Gesellschaft, das es zu unterstützen und zu fordern gilt und dessen Thematisierung praktisch wie abstrahiert neben einer großen Resonanz sogar noch allen Beteiligten viel Spaß gebracht hat.

 

3.3.1. Überwachungskamera

Ganz zu Beginn jeder Station stand bei Fischauge ’96 eine Runde, in welcher der erste Kontakt mit dem Medium Video, der erste Kontakt mit einer Kamera, mit Bildern, mit dem Gefühl, selber gefilmt, abgebildet zu werden im Mittelpunkt stand. Für diese Runde wurde eine alte Kamera, die früher in einem Parkhaus installiert war, verwendet. Diese Kamera hat weder einen Suche, noch Knöpfe, Schalter, Beschriftungen, Mikrofon etc. Sie ist reduziert auf die reine Funktion, Bilder zu erzeugen, durch ihr Objektiv „erblickte“ Bilder elektronisch umzuwandeln und durch ein dickes Kabel auf einen Monitor zu schicken. Diese Kamera wurde verwendet, weil so alle Aufmerksamkeit von der Technik weg, hin zu den Bildern gelenkt wurden. Im folgenden wird diese Kamera, entsprechend ihrer ürsprünglichen Bestimmung „Überwachungskamera“ genannt.Eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen. Sie alle sitzen in einer Reihe. Hätten die Bänken im Kreis gestanden oder im Dreieck. Sie hätten genau so gesessen, in einer Reihe. Sie hätten die Bäke nebeneinander gestellt, vielleicht um sich zu schützen vor der großen Halle in Bovenau, vielleicht vor den Fremden, die aus dem Regen draußen immer mehr Greäte in die Halle schleppten, Videorekorder, Kameras, Scheinwerfer, Kabel, Monitore, Stative…. und sogar eigene Tische. Sie beobachten den Aufwand und rücken dabei zusammen wie für ein Gruppenphoto. Nur wäre aber der Ausschnitte des Photoapparates nicht genug, einige wären außer des Bildes geblieben. Also ein Stück zurück getreten. Nur so werden sie alle erscheinen, aber durch die Entfernung, den Abstand werden sie ihre Gesichter nicht erkennen können , so weit entfernt, im Bild ganz klein. Das Videobild könnte besser passen, ein Schwenk vielleicht…

Und so gibt es ein Portrait aller Gesichter, erkennbare Gesichter. Zu erkennen ihre Kleidung, ihre Reihenfolge. Es ergibt sich ein Universum, in dem die Wirklichkeit auch tatsächlich wiedergespiegelt wird. Eines, das sich trösten kann, wenn es vom Blick der Kamera gesehen wird. Doch auch dieser Trost kann aufgeweicht werden, diese Idee vom „guten“ Abbild der Realität: Fast alle Gesichter erscheinen unscharf, der Bildinhalt gesättigt von den Tönen von Haut, von einem Auge, einem Mund, einem Stück Stoff, alles nur möglich im Bereich von Tele – nichts Neues. Münder, Gesichter, Köpfe, Hände die nicht nach dem Schwenk erscheinen, sondern wir, die Mitarbeiterinnen, die das Spiel mit der Überwaschungskamera eingeleitet haben, näheren uns ihnen, nähern uns mit der Kamera. Sie spricht sie an. Und sie, die Jugendlichen, werden unmittelbar zu einem Bild: Ein Fernseher steht ihnen gegenüber. Als Rezeptor, als zweiter Fixpunkt. Sich erkennen im gleichen Moment, da sie von der Kamera erblickt werden. Nicht ein Erkennen in ihrer Gänze; sich erkennen in ihrer eigenen Aufspaltung, Zerstückelung, in ihrem Zerfall: Portraits nicht von zusammenhängenden Menschen; Portraits von Augen, Beinen, Händen. Augen von wem? Beine von wem? Hände von wem? Nur sie selber wissen es, sie erkennen ihre eigenen Teile wieder. Teile, die sich gerne vor der Kamera verstecken würden. Weil dieses Teil zu erblicken schockiert, entsetzt? Oder weil es so intim ist? Nein, es war ihr ewiges Selbstbild, mit dem sie durch das Dorf spaziert sind. Nur diesmal waren sie nicht diejenigen, die dabei umhergeguckt haben, sondern sie selber wurden erblickt, angeguckt – sie wurden zu einer öffentlichen Figur. – Und dies nicht in ihrer schönsten Form. Auch nicht dem Gegenteil. Es war eine Form, die näher an ihnen war, als vieles zuvor: Ein verwackeltes Bild, ein unscharfes Bild, das Bild steht Kopf, die Teile verlassen das Ganze. Dieses Ganze, das gegenüber dem Monitor lacht, beobachtet, manchmal schüchtern ist ob dieser verstreuten Teile, die auch von anderen gesehen werden können. Aber wahrscheinlich muß genau das erst verboten werden, dieses allgemeine Recht. Obwohl es kein Gesetz dafür gibt. Niemand öffnet die Tür, wenn jemand auf Klo sitzt.

Es liegt in der Natur einer Überwachungskamera, alltägliche Situationen zu beobachten. Bei diesem Speil wird sie aufmerksam auf die Form, die Gestalt der Kinder. Und die hatten nicht sanderes darzustellen, als sich selbst. Nur das Bild im Fernseher stand zur Ablenkung von sich selbst bereit. – Doch, Namen gab es noch. Und dies war die zweite Runde des „Kinderspiels“: Mein Name vor der Kamera. Nicht von uns initiiert. Sie hantiertenschon selber mit der kleinen Kamera. Nicht auf der Schulter, wie sonst, sondern in den Händen. Auch die Aktion, durch den Sucher zu blicken wurde ín dieser Runde mißachtet. – Nun wurde der Blick „medialisiert“, die Botschaft des Bildes wurde aufgenommen und weitergetragen: Das Bild wurde gestaltet durch den Blick der Anderen, durch die Anweisungen nach dem Blick, der Sicht der Anderen: Der, der die Kamera hatte, mußte diese nach links, nach oben, nun nach rechts schwenken, um zu ermöglichen, ein Bild zu erkennen. Der Blick des Kameramenschens vertraut dem Blick der Anderen. Es ist ein Blick, der trotz aller Hinweise nie genau sein wird, nie alle Einwürfe erfüllen wird. Besser: Sein letztes Stadium ist vielleicht das ungenaueste: Der Kopf fehlt, die Beine, die Augen, die Hände erleben das gleiche Glück.

Doch auch in dieser Ungenauigkeit werden die Jugendlichen die Motive erkennen, den Ring am Finger, die Schuhe, den Pferdeschwanz, eine Dose, ein Stuhlbein, ein Kabel, eine Bananenschale. Das war ein Spiel, das Bild, das Abbild der Dinge zu erkennen. Und es war das dritte Spiel, nicht um ihnen zu zeigen, „wie“ man Bilder macht, und eine Ästhetik des Video festzulegen, sondern mehr, um die Möglichkeiten eine Ästhetik zu behandeln, zu konstruieren, vorzuschlagen. Der Anfang eines Kindergemäldes, mit Durchgestrichenem, Wegradiertem. Aber das Spiel steht immer an der Grenze beendet zu sein. Dieses Bild der Überwachungskamera kann immer nur die Oberfläche des Gesehenen leicht berühren. Die Beziehung der Kinder zur Realität wird hier immer noch nicht in eine narrative Struktur eingesetzt, sondern sie schwebt in der Ebene des Blickes, eines Blickes, der erkennen kann.

Die Vorschläge der Kamera lieferten durch den Blick und seine Erkennen, bereits bekanntes. Eine Funktion mit großem Wert. Nur war dieser Bezug sehr kurz, im Erkennen lag nie eine Beobachtung. Sie wollten allein wissen, wo die Teile zuzuordnen wären, zu wem das erfaßte Teil gehörte. Und im Moment dieser Auflösung, starb diese Einstellung, eine neue wurde gesucht. Das Ergebnis sind dann fragmentäre Bilder, die sich in einem Bruchteil einer Sekunde bauen und wieder vergehen.

Sie verlangten nach anderen Bildern als der Freundin, sie blickten umher, um neue Motive zu finden. Landschaftsaufnahmen, nicht spannend… Zurück zu den freunden. Diese grimassieren jetzt, um besonders zu werden, um ein Ereignis zu werden, das wirklich filmenswert ist. Und selbst sie könnennicht die Kamera an sich binden, im Augenblick des Erkennens hastet der Blick weiter…

Die Überwachungskamera etabliert einen Kontakt zwischen Bild, Gegenstand und Betrachter, der erst im Augenblick der Erkenntnis Wert erhält, legitimiert ist,aber und auch genau dort wieder stirbt.

 

 

3.3.2. Realität – Abbild – Bild

Die Überwachungskamera, die Art der Bilder, die aus ihr entstanden, gaben uns schon eine Ahnung der nachfolgenden Bilder der Kinder und Jugendlichen: Die Realität wird angeguckt, ohne Scham, schnell vergessen, um ein anderes Stück von ihr gucken zu können, ewig andere Bilder – das Videoband schenkt 3 Stunden… Unendlichkeit. Sie laufen mit der Kamera im Dorf herum, normal in allen besuchten Dörfern. Sie besetzen ihre Dörfer, sie werden es sich aneignen und schließlich nach sich selbst konstruieren. Nur zuerst müssen sie ein Bild aussuchen. Nach welchen Kriterien wählen sie ihre Themen, später ihre Bilder aus, die sie filmen wollen? Am Anfang war die Sensation der Neuigkeit der Kamera. Alles was durch den Sucher gesehen wird, erscheint anders, mindestens schwarz/weiß. Sie haben die Kamera besetzt, wie ein Fahrrad. Und genauso konnten sie auch mit ihr spazierengehen. Ohne ein Verbot. Ohne tausende von Auflagen, von Vorausetzungen; nur: nicht aus der Hand legen, werfen, schleudern – bei Regen unter den Schirm. Die Mystik von Labilität und Wert entfällt. Die Kamera ist ein Teil ihres Spieles geworden, ein Teil ihrer selbst, manche haben sie geliebt.

Sie haben auf die Kamera aufgepasst, wie auf den eigenen Schulfüller. Sie haben sie mit einander getauscht, es mußte nicht ein Fachmann sein, sie zu benutzen, deswegen wurden keine Rollen verteilt und festgelegt. Und doch hat dies nicht den Streit verhindert, der enstand entweder weil alle Kinder in einer Gruppe gleichzeitig die Kamera haben wollten und es blieb niemand übrig um das Mikrofon und den Akku zu halten, oder weil sie gegenseitig blöd fanden was der anderer gerade filmte. Trotz aller kleine Tragödien haben sie tausende von Bildern gemacht . Von der Kirchturmspitze bis zu den Bäumen am Dorfende, der Garten, ein Denkmal, die Post, das Reitturnier, das Restaurant, das Sägewerk… das Dorf als Raum. Sie erobern alle Orte des Dorfes, nein, sie gehörten bereits zu ihnen. Sie waren schon da, sie gehören zu ihrem alltäglichen Leben.

Nur: Jetzt mussten sie diese Orte anders besetzen. Mit ihren Blicken, die hinter der Kamera steckten und der Raum des Parkes, der Post, der Kirche, der Feuerwehr… zieht davor vorbei. Es ist ein Blick, der nicht mehr durch den Blickwinkel der Augen beschränkt ist, sondern durch die Augen hinter der Kamera, die beschränkt sind durch den Sucher, durch seine Form eines Rechteckes. Die Realität wird nicht in ihrer Gänze beobachtet, sondern lediglich Stücke von ihr. Denn das Kind und der Jugendliche sollen entscheiden was aus dieser Realität aufgenommen wird. Welcher Teil aus diesem Ganzen soll ein Bild werden, zum Bild „erhoben“ werden. Wo erscheint in dieser ganzen Realität das Ereigniss, das aufgenommen werden soll.Die Kinder gehen auf die Jagd, fangen die Realität ein, zerstückeln sie, sie wird ein Bild. Was für ein Bild? Eines, das ihre Erfahrunglosigkeit im Bereich dieser Bilder zusammen mit ihre Begehren, ihrer Kreativität und ihren Vorkenntnissen von den schon zu tausenden verinnerlichten Fernsehensbildern vereint.

Eine Gruppe aus Waabs zog los, um die wichtigste Straße des Dorfes aufzunehmen; die Bäckerei, die Kirche, die Schule, der Kindergarten, leere Räume, nur reine Architektur, Teile von ihr, Formen. Von der Kirche das Portal und die Kirchturmspitze, vom Kindergarten die bunten Fenster, von der Schule das große Tor. Teile, die sie erkannten haben als Symbol der Orte, aber als wir diese Bilder sahen, da konnten wir kaum den Charakter der Gebäude an den abgebildeten Ausschnitten erkennen. Es gab keine Spur auf dem Bild, daß Bezug dazu gegeben hätte. Aus dem Abbild wurde nicht der Inhalt des unsprünglichen Bildes, sein Zusammenhang deutlich. Diese gefilmten Bilder konnten aus irgendeinem Dorf stammen.

Dieser Charakter des Bildes läßt bei den Kindern ihr eigenes Unvermögen, ein Stück der Realität zu beobachten, sich ihm bewußt zu nähern spüren. Und ein einziger möglichst statischer Kameraausschnitt steht dafür. Nicht die beste Darstellung gesucht, nicht den Inhalt, manchmal das Geheimnis des Gegenstandes heraustellt. Es gibt bei ihnen eine dringendes Verlangen, einfach nur Bilder zu machen. Auf das Band legen sie undifferenziert Inhalte nacheinander. Bilder, die nur einen Augenblick Zeit haben zu existieren: Sofort kommt das nächste dran. Ein Stimme liegt darauf, benennt das Motiv im Bild. Zweimal wurde das Motiv benannt, ein mal durch das Bild, und noch ein mal durch die Stimme. Als ich sie fragte, warum diese Methode,antworteten sie: Weil das Bild sonst langweilig gewessen wäre, und noch mehr hätten die Leute nicht verstanden was wirklich im Bild zu sehen ist.

Nicole, ein Mädchen aus Waabs ist auf Bilderjagd gegangen, zusammen mit Sonja. Sie haben den Spielplatz gefilmt, die Pferde und auch die Tante beim Nähen. Ihre Tante hat sich der Kameraarbeit zur Verfügung gestellt – totes Bild, ohne Intensität, schlimmer als eine Postkarte. Doch plötzlich nach diesen Bildern, Steine, Strasse, Wiese, Schule hat sich Nicole gefreut und sagt zu mir: „Warte, warte. gleich kommt das Bild, wo wir Kuchen essen!“ Ich habe darauf gewartet. Dann erscheint die Tante im Bild, die bittet hinein, zuerst eine natürliche Aktion. Es scheint, als ginge alles so weiter. Das nächste Bild, am Tisch: Fünf Kinder, die sich beeilen, die letzten Kuchenreste zu vernichten. Wo ist der Rest der Situation? Vor dem Essen, die Vorbereitung, den Tisch decken, die Anweisungen der Tante, vier Kinder, die um die Tante herumlaufen mit Gabeln und Tellern und Flaschen. Ich fragte sie: „Warum hast Du nicht das Vorher gefilmt?“ Sie antwortete: „Weil ich doch den Tisch decken mußte!“ Nicole erzählte alles, was passierte und sie nicht aufgenommen hat. Ihre Worte konnten das Bild ersetzen und deswegen war es so einfach, mit der Aufnahme aufzuhören in einem wichtigen Moment.
Vor dem Monitor sitzend, kündigen sie uns was das folgende Bild darstellt.

Die erklärenden Worte erschließen den Sinn der Bilder.

Was sie sehen ist, was sie kennen.
Und was sie kennen ist, was sie benennen.
Darum, das dies erkannt werde.

Aber sie merken nicht, daß das Bild von ihren Erläuterungen abhängig bleibt. Sie sind einfach begeistert, sie lieben diese Bilder, zumal ihre ersten – die für manche schon ein Film sind. Dieser Affekt ensteht nicht aus dem Bild selbst, sondern aus dem Bezug zur Realität.

Und das ist als Ereignis der Realität was sie aufnehmen und begeistert zeigen. Denn hier ist nicht wichtig, ob das Bild unscharf ist, verwackelt, zu kurz, um wirklich zu existieren. Sein Wert besteht, weil sie, die Kinder das Dorf oder Teile von ihm, Teile ihres alltäglichen Lebens erkennen können.

Wie nun können diese Beziehungen zu den Bildern, diese assoziative Verbundenheit von Außenstehenden, vom Team empfunden werden? Können sie überhaupt von uns „Anderen“ geteilt werden? Im dem Moment, wo wir Anderen, die Mitarbeiter, das Publikum, Fremde mit diesen Bildern konfrontiert werden ergibt sich eine neue Notwendigkeit, und erfahrungsgemäß auch ein Ansporn für die „Bildermacher“, den Bildern eine erweiterte Struktur zu verleihen. Aus den zerstückelten Bildsplittern gilt es, Sequenzen zu bauen – zu montieren… zu schneiden. Manchmal auch einfach Sequenzen zu erkennen, die schon bei in der Aufnahme für sich ein abgeschlossenes Werk sind. Hier werden Zusammenhänge erarbeitet, hier wird aus der erlebte „Sprachlosigkeit“ der eigenen Bildern Fremden gegenüber nach einer Sythaxis der Bilder, einem Bilderfluß, einer neuen Mitteilungsebene durch das Aneinanderfügen, das Montieren einzelner Bilder zu einem koheränten Film gesucht.

Nur wo sind die Menschen? Entfernt, durch den Abstand im Bild ganz klein. Einige flüchten, man sieht ihre Rücken, einige verbieten, gefilmt zu werden, einige winken und gehen vorbei. Der Mensch ist un-faß-bar. Er flieht und die Kameraleute waren zu schüchtern, sich wirklich zu nähern. Das erinnerte an Daniel, ein Kind aus Waabs. Die Kamera ist unauflöslich vor seine Augen gebaut. Die Kamera hat gesehen, was die Kamera erblickte und die Augen, was die Kamera sah. Ein festes System für Stunden, Tage… kein Versuch, die Sachen auszusprechen, sie bei ihrem Namen zu nennen. Besser die Sachen zeigen, zu beobachten, sie eine Gecshichte erzählen zu lassen der für sie sich eine Gecshichte einfallen zu lassen. Als sein Vater aus dem Haus in den Garten geht bleibt die Kamera am Auge, ohne ihn aus dem Blick zu lassen. Ein Gespräch geht ganz natürlich weiter. Diese banale Situation hatte das Recht, aufgenommen zu werden. Igerndwelche Fragen an irgendwelche Leute auf der Straße zu stellen war seine Aufgabe und auch die der Kamera. Nicole hatte ihre Aufnahme unterbrochen, um den Tisch zu decken. Und was ist wertvoller? Kann das Tischdecken gegen die Kameraarbeit, gegen das Aufnehmen dieser Aktion umgetauscht werden? -Dieses erste Bild, das dokumentarische Bild hat einen ungeheuren Wert. Denn sie erkennen bekanntes, Nicht mehr. Sie erzählen „Hier ist die Kirche und hier ist der Park“ und sie füllen den Sin mit ihrer Sprache.

Was ich sehe ist , was ich kenne.
Und was ich kenne ist, was ich benenne.
Darum, das dies erkannt wird.

Es besteht immer noch die Unmöglichkeit den Blick des Bekannten zu differenzieren vom Blick der Kamera, der nochmal alles aufbaut.

 

 

3.3.3. Das Ereignis in der Realität zeigen – Team-Arbeit

Das Rechteck des Suchers beschränkt die Realität. Aber es gibt keine Grenze, die bestimmt, was aufgenommen werden kann. Alles ist würdig ein Bild zu werden. Aber was ist unwürdig, ein Bild zu werden? – All das, was peinlich, doof, absurd, langweilig erscheint! Was als Ereignis in der Realität erscheint, um aufgenommen zu werden ist beeinflußt vom Bild des Fernsehens. Dieses Fernsehbild hat ständig etwas zu erzählen. Es ist dauernd voll Information über Dinge, Geschehnisse, die neu gestaltet werden. Der Wert des Fernsehes liegt nicht in seiner Wahrheit, sondern in seiner Macht, Bilder zu gestalten. Denn der Eindruck, den die Jugendlichen aus dem Bild des Fernsehens filtern, entsteht nicht aus einem einzelnen Bild (einer schlüssigen Einheit), sondern vielmehr aus Bildern, die zusammen konstruiert wurden, die füreinander gestaltet wurden. Für die eine spezifische Art des Lichts, ein Stil der Kameraführung, der Montage, der Musik gefunden wurde. Elemente, aus denen gemeinsam sich die Synthaxis der Bilder ergibt. Sie alle gemeinsam lassen es entstehen: Das Bild nicht als Abbild der Realität, sondern als eine neue, artifiziale, künstliche Realität. Und diese Künstlichkeit suchen sie nun in ihrer eigentlichen Realität, die so vieles langsamer, langweiliger ist, als das konzentrierte Bild des Fernsehens. Weniger Farbe, weniger Überfälle, weniger zerstörte Autos, weniger Tote, weniger Wetterberichte…Also ist in ihren Dörfern, die dieser angespannten, künstlichen Realität so vollständig entbehren, etwas ganz anderes zu suchen…zu finden. Was könnte das sein? Die leeren Räume, die Menschen, die ganz klein aussehen durch den Abstand im Bild. Einige flüchten, man sieht ihren Rücken, einige verbieten, gefilmt zu werden, einige winken und gehen vorbei. Der Mensch ist un-faß-bar. Er flieht und die Kameraleute sind so schüchtern, sich wirklich zu nähern.

Eine Gruppe aus Waabs hat die Methode der versteckten Kamera entdeckt. Doch nur flüchtig, für Menschen, die ebenfalls vorbeigehen. Keine Aktion. Wann beginnt der Moment, in der die Realität das „Recht“ hat, ein Bild zu werden? Für diese Gruppe begann das Bild in dem Moment, als das Motiv vor der Kamera erschien: Kein Vorher, kein Nachher, keine Entwicklung, nur das Motiv, das auftaucht und verschwindet. Die Videokamera als Photoapparat. Viele Versuche daraufhin, etwas Neues zu filmen. Etwas, das von dieser Realität des Dorfes isoliert existieren kann: Interviews, meistens frustrierende, weil die Menschen nichts mitzuteilen haben, sich verweigern. Die Suche wird verzweifelter. Sie finden nichts Filmenswertes, nichts, das dem innewohnenden Rasanzprinzip des Fernsehens entspricht. – Und eben hier wieder die Rolle der Mitarbeiter: In diesem Kataklismus (Flut) der vermeintlich wertlosen Bilder stecken eine Vielzahl kleiner, sogar „spektakulärer“ Bilder, Mitteilungen, Aktionen…Filme. Verborgen buchstäblich wie der Wald vor lauter Bäumen, aber eben auch verschüttet, durch den oktroiert-akzeptierten Filter der massenkompatiblen Wahrnehmung, der Fernsehmuster. Aus dem Vorgang des Sehens eine Sensibilität des Erkennens des Ereigniss, der Schönheit eines Bildes zu erarbeiten.

Das Bild ist nicht schön wegen seiner starken Farbe, sondern weil es gelungen ist, eine kleine Geschichte zu sein, trotz seines Minimalismus‘. Denn es enthält das grundlegende Prinzip, um ein Bild zu werden: Eine Beobachtung des Motives, diesem Zeit zu geben, um die Aktion sich entwickeln zu lassen.

David, 12 Jahre, Jevenstedt, filmt einen Mann mit Hund. Weit entfernt auf der anderen Straßenseite, im weitwinkligen Bild ganz klein zu erkennen. Der Mann kommt näher, nicht direkt zur Kamera. Der Blick von Davids Kamera zieht mit, folgt langsam dem Duo. Näher herangekommen zoomt die Kamera geradewegs auf das Maul des Hundes, einige Sekunden das wackelnde, leicht unscharfe Bild der Zähne, feucht, groß, beängstigend … so nah. Dann wieder langsam eine Totale, der Mann geht vorbei, durch ein Gartentor…und bleibt verschwunden.

Ein Film, ein abgeschlossenes Werk. Das Erkennen eines Ereignisses, einer Aktion im ganz gewöhnlichen Umfeld. Davids erster Film blieb nicht sein einziger in dieser Station. Er versuchte einen neuen zu machen,weil für ihn aus diesem einfachen Abbild der realität kein „richtiger Film“ werden konnte. Eher schon aus einer gespielten Aktion, ganz fernseh-kompatibel.

Irena, Monique und Anja, 15, Bovenau, laufen durch ihr Dorf und sprechen mit einem kleinen Mädchen, vielleicht 2 Jahre alt. Ein etwas einseitiges Gespräch, es bedarf einiger Animation, überhaupt Laute aus dem Mund des Mädchens, Alina sein Name, zu entlocken. Und sie filmen alles , die Gesamtheit der Begegnung, vom großen „Hallo“ bis zum „Schlußwort“ des Papas. Nur: Nicht genug, in der Montage suchen sie verzweifelt nach einer Rahmenhandlung, etwas, das die Präsentation dieser Begegnung legitimieren könnte. Gefunden werden Bilder einer alten Villa am Dorfrand, eine Begegnung mit Sommergästen. Später im Film „Villa Alina“, zusätzlich mit Musi aus der Dose verfeinert, nimmt Alina nicht mehr ein als den Platz des süßen Mädchens irgendwo in diesem Dorffilm.

Den kleinstmöglichen Nenner einer Aktion, eines Ereignisses zu finden, die Sensibilität für unterschiedliche Ebenen der Ereignisse – in keiner Realität liegt das Ereignis des Bildes fertig vorstrukturiert herum, auch das Geschehen muß, im Filmischen allemal, gefunden und gebaut werden. Die Methode, dieses Ereignis erkennen zu helfen, liegt dabei nicht in der Autorität der Person des Mitarbeiters, kein Bild wird legitimiert durch die ihn als Instanz. Er kann unterstützen in der Beobachtung, in der Ausdauer, einem Ereignis Raum zuzugestehen. Denn sie merken, daß das Bild unscharf ist, die Kamera taumelnd schwankt, daß „irgendwie alles so super schnell geht!“. „Man kann so schnell garnix erkennen“ mäkeln die Betrachter. Doch daraus den Schluß zu ziehen, daß das vorliegende Bild, die Einstellung selbst zu kurz gefilmt wurde, liegt noch fern. Und wieder die Mitarbeiter. Ein Hinweis nur, eingeschoben manchmal als eine echte Erkenntnis: Das Bild von der Realität, die gefilmt werden soll, braucht seine Zeit. Zeit zu existieren. Zu existieren? – Sich aufzubauen, für die Kamera, für die Speicherung auf der Kassette, Zeit sich aufzubauen, um sich überhaupt späteren Zuschauern mitteilen zu können… um seinen Charakter zu entfalten; um einen Eindruck zu hinterlassen.

 

 

3.3.4. Das dokumentarische Bild

Aus der Ansammlung unterschiedlichster Bilder können wir, die Mitarbeiter schon einige herausfiltern, die bereits jetzt eine Einheit bilden, abgeschlossene Werke, aber auch Bilder, die miteinander verbunden werden können. Bilder, die fähig sind , Teile eines Ganzen zu sein. Ein Ganzes bedeutet für die Kinder und Jugendlichen „ein Film“.David aus Jevenstedt setzt seine Suche fort, um seinen Film zu finden. Er begleitete Torben, 12, zu einer alten Frau im Dorf. Vor der Tür ihres Hauses standen also 2 Kinder mit jeweils einer Kamera. Der Grund des Besuches war für Torben zuallererst die alte Uhr aus den 20er Jahren, die bei der Oma im Wohnzimmer stand. Doch es ergaben sich dort natürlich weitere Bilder : Das Photo von Mann und Kindern, die Puppe auf dem Bett, die Küche, der große Fernseher, das alte Hygrometer für das Korn aus der alten Mühle der Familie… Es wurde nicht klar, wer hier wem folgte, wessen Kamera dem Blick der anderen. Mal Torben David, mal David hinter Torben. Und der Unterschied in den Bildern lag wirklich nicht in der Wahl der Motive, sondern nur im Ausschnitt der Kamera. Sie filmten hintereinander, nebeneinander exakt dasselbe. Hätten sie doch nur gleichzeitig den gleichen Standpunkt besetzen können! Die Bilder wären identisch gewesen.

Der Akku von Torbens Kamera war leer, also verabschiedeten sich beide von der Oma und verließen ihren Drehort. Zurück im Camp, legte David dieses Ereignis beiseite. Für ihn ließ sich aus dem Besuch kein Film machen, die Bilder „gaben nicht genug her“. Er fragt also Torben, der am nächsten Morgen wieder aufbrach, die Oma zu besuchen, was er denn an dieser Geschichte so spannend fände. Für Torben war das immer noch die alte Uhr, das Hygrometer, schon aus diesen Bildern konnte für Torben ein Film werden. Nochmal die Ebene, auf der ein Bild als schön empfunden wird, weil man seinen Inhalt schon kennt und darin wiedererkennt. Der Affekt zu den Bildern als Legitimation! Also: Die Uhr war schön, weil sie der Oma gehörte, die ihnen in der Weihnachtszeit immer Süßigkeiten zugesteckt hat! Das wurde ihm nach dem ersten Gespräch mit uns über seine Bilder klar.

Der zweite Besuch führte seine Aufmerksamkeit jedoch nicht zu den Gegenständen, sondern zu den Worten der Oma. Sie sprach über ihre Familie, über Geschehnisse im Dorf, über die Schaukel in ihrem Garten. Und sie hat auch selber Fragen gestellt. – Das fragmentarische Stadium wurde überwunden und die Bilder selber erhielten ein neues Schicksal…dokumentarische Bilder zu werden. Nicht deshalb, weil man in ihnen die Realität erkennen kann sondern, weil sie die Ereignisse in der Realität einfangen. Weil sie ihre eigene innere Logik schaffen/konstruieren: Torben hat die ganze Situation bei der Oma aufgenommen, ohne Pause. Geleitet wurde sein Kamerablick durch die Wege und Bewegungen der Frau durch ihr Haus, in den Garten,während sie sich mit Torben unterhielt. Auch durch die Blickrichtung der Frau und zu wem sie gerade sprach. Torben bewegte die Kamera schon routiniert, sie war ihm schon bekannt und vertraut. Das ganze Dorf hatte er schon mit ihr erblickt. – Die Oma fragte das Team um Torben nach ihren Namen. Der Junge, der eigentlich den Mikrofongalgen bediente, saß jetzt auf der Schaukel und antwortete, daß er der Sohn vom Bäcker sei. Und auch die Stimme von Torben war zu hören. Kurz: Sie hatten keine Furcht, in dem Film selber zu erscheinen. Sie waren nicht einfach die Filme-Macher, sondern sie nahmen Anteil an den Ereignissen und so an der Dokumentation. Wie so oft in den Dokumentarfilmen der unterschiedlichen Stationen war die direkte Anteilnahme am Geschehen das Mittel der Kinder und Jugendlichen, sich den Personen zu nähern, mehr zu erfahren. Sie versuchten nicht etwa dies durch unbekannte Mediation, durch fernsehbekannte Konstellationen zu erreichen. Die Kamera ermöglichte eine Annäherung, die ohne diese meist nicht stattgefunden hätte; doch in der Art, jetzt für die Kamera die Beziehung zu vertiefen, griffen sie wiederum auf ihr gewohntes Verhaltensinstrumentarium zurück.

Daniel, ein anderes Kind aus Waabs.
Die Kamera ist unauflöslich vor seine Augen gebaut. Die Kamera hat gesehen, was die Kamera erblickte und die Augen, was die Kamera sah. Ein festes System für Stunden, Tage… kein Versuch, die Sachen auszusprechen, sie bei ihrem Namen zu nennen. Besser die Sachen zeigen, beobachten, sie eine Geschichte erzählen lassen als sich eine Geschichte für sie einfallen zu lassen. Als sein Vater aus dem Haus in den Garten geht, bleibt die Kamera am Auge, ohne ihn aus dem Blick zu lassen. Ein Gespräch geht ganz natürlich weiter. Diese banale Situation hatte das Recht, aufgenommen zu werden. Irgendwelche Fragen an irgendwelche Leute auf der Straße zu stellen, war seine Aufgabe und auch die der Kamera.

Ein Bild dauert nicht so lange, wie der Jgdl. es will, sondern so lange, wie das Bild zu existieren verlangt. Hier fühlt man die Ruhe, die Stille eines Blickes, der wartet, der dem Bild Zeit gibt, der einer Situation Raum läßt, sich zu entwickeln. Das Bild kann hier dem Schicksal der Fragmentation entgehen. Es gibt keine Benennung der Bilder. Der Mensch im Bild erfüllt den Anspruch einer Aktion. Alle Dokumentationen bauen auf solche Begegnungen mit Personen, mit Fremden oder Menschen, die sie nur einmal gesehen haben. Also kein leerer Raum mehr. Die 15-jährigen Mädchen beginnen mit der Frage. „Dürfen wir mal kurz eine Frage stellen?“, später werden die Kinder diese Fragen auslassen, einfach ein Gespräch in den Weg stellen. Ohne Fragen über das große Geheimnis des Lebens, aber Sätze, die eine Nähe ermöglichen, die nicht selten eine Einstellung zum Leben, Ansichten erkennen lassen. Gespräche, die das Profil der Menschen, der Menschen im Dorf besser formen, als viele durchstrukturierte Portraits. Die Portraits hier beginnen im Zufall, eine einfache Begegnung, manchmal vertieft und ausgeweitet. Kein Stift, kein Papier, entweder die Realität treffen, oder umherlaufen und sich von ihr erwischen lassen.
Das dokumentarische Bild.

 

 

3.3.5. Das inszenierte Bild

Das inszenierte Bild als Möglichkeit, ein Bild zu werden, wurde von den älteren Jugendlichen mit Leichtigkeit aufgenommen. Für sie war dies, manchmal fast die einzige, besser: die einfachere Form, die es haben konnte. Bei ihnen existierte schon die Idee, zu dieser Realität ein phantastisches und unrealistisches Bild hinzuzufügen. Das Dorf war für sie schon klein geworden, es gab keine Neuigkeiten zu entdecken. Diesem Dorf war für sie nichts Schönes abzuringen. Und nicht einmal, das irgendein echtes Ereignis stattgefunden hätte. Bei ihnen war schon im Bewußtsein verankert, daß nichts passierte, alles war langweilig …oder aber peinlich. Kaum gab es die Möglichkeit, daß sie sich mit der Kamera auf den Straßen des Dorfes bewegten. Von Beginn an reizte nichts im Dorf, außer vielleicht sie selbst. Doch was anfangen mit sich, außer auf einer Bank zu sitzen?

Ein Porno-Video, vielleicht eine Provokation, aber die MA haben das akzeptiert, um daran zu arbeiten. Die Überlegungen dazu gediehen tatsächlich, nur die Darsteller fehlten. Auch die Möglichkeit, so ein Thema neu anzugehen, ernsthaft oder als Experiment, mit Wortcollagen, mit Barbie-Puppen…die Idee von Inszenierung verlangt ein anderes Niveau von Gestaltung, als das, was im dokumentarischen Bereich gilt. Hier genügte der Blick, der die Ereignisse der Realität auflöst und aufnimmt, sie sich aneignet und sie zu eigenständigen Bildern erhebt. Für das inszenierte Bild ist auch der Blick notwendig. Aber vorher muß einiges erarbeitet werden. Ein visual-schriftlicher, sehr komplexer Prozeß: Es muß eine Zeit geben, das Bild zu entwerfen, die Aktion innerhalb der Bilder auszudenken. Diese Arbeit auf der verbalen Ebene, eine Diskussion um’s Imaginäre. Eine Form des Bildes zu entwickeln, die stärker medialisiert ist. Es bedarf der Auseinandersetzung mit der Gestaltung eines unrealistischen Universums: Die Gestaltung des Szenarios, der Aktion, der Kameraführung, des Licht. Die Gespräche, Charaktere der Personen und vor allem die Geschichte, die erzählt wird, muß erarbeitet werden.Es wurden 4 Spielfilme gemacht. 4 Krimis. Und das entstand nicht zufällig, aus ihrer eigenen Vorstellung, sondern es wurde vom Fernsehen beeinflußt. Sicher kann man sagen, daß es vor dem Fernsehen schon Schriftsteller gab, die sich mit Kriminalgeschichten beschäftigt haben. Doch die Art und Weise, wie die Kinder die Charaktere in den Geschichten herausgestellt haben, läßt uns an den einfachsten Krimi der Fernsehgeschichte, an das üblichste aller Krimischemata denken: Ein Guter, ein Böser. Der Böse greift den Guten an. Der Gute wehrt sich, siegt und steckt den Bösen in’s Gefängnis. Schon von Beginn an ist die Story von einem Krimianfang geprägt.

Bei Davids Film „Mord im Park“ geht eine Gruppe, zwei Männer und eine Frau im Park spazieren. Ein Dieb stürmt aus dem Gebüsch, erschlägt einen der Männer und raubt der Frau ihre Handtasche. Die traute Harmonie wird zerstört.

Ähnlich bei „Action in the city“ aus Hohenwestedt:
Ein Polizist kauft Blumen auf dem Markt. Sein Bummel wird jäh unterbrochen, weil ein Passant um Hilfe ruft: Ein Bankräuber hat auf seiner Flucht einen Fußgänger umgestoßen. – Das Fernsehkrimimodell erscheint in Vollendung, wenn der Polizist seine Waffe zückt und etwas deplaziert , jedoch voller Inbrunst „Hände hoch!“ schreit, wenngleich der Dieb bereits das Weite gesucht und gefunden hat.

Der Krimi aus Westensee offenbart ein ähnliches Denken:
Besinnlich, im Sonnenschein füttert ein Mann am See die Enten. Irgend jemand schleicht sich an und erschießt ihn. Der Getroffene stürzt in’s Wasser.

Und „Superman“ in Jevenstedt steht in nichts nach:
Eine Clique von Jugendlichen geht nachts spazieren und beobachtet die Sterne. Plötzlich wird eines der Mädchen in den Wald geschleppt und entführt.

Bei allen vier Filmen erscheinen zuerst einmal harmonische Situationen. Dann taucht das Böse auf und schlägt zu. Darauf folgend dann die Verfolgung, die Guten rennen, das Böse hat sich schon versteckt. Bei David im Gebüsch, nach dem Banküberfall in einer Kirche, in Westensee idyllisch an einen Bach im Grünen, bei „Superman“ in seinem Verschlag.
Bei allen vier Geschichten wurde die Suche nach dem Bösen zusammengestrichen. Die Suche beginnt, die nächste Einstellung schon zeigt den Räuber im Versteck und die Guten davor..Suche beendet, der Showdown folgt. Die Jugendlichen überwinden Zeit und Raum (sie vollführen eine große Zeitellipse) , sie lassen den Weg, die Hindernisse, die lange Zeit der Suche des Guten beiseite. Und dennoch wird das Gute fündig.

Allen Filmen gemeinsam ist auch die Sprachlosigkeit der Handelnden. Die Aktionen stehen im Vordergrund, die Worte wurden nur primitiv eingesetzt, sparsam, etwa, um ein Gefühl darzustellen, Schmerz, Angst, Wut… In 10 Minuten (das, was ein Film von ihnen dauern kann) wird das Fernsehmodell einer Kriminalstory zusammengefaßt, synthetisiert. Für die Mitarbeiter schwer, aus diesem Modell auszubrechen, die Kinder und Jugendlichen an dieser Stelle zu etwas Neuem zu motivieren. Das Modell steckte fest verwurzelt in den Köpfen, annullierte jegliche Schicksalswendungen für ihre Personen, ihre Story. Die Mitarbeiter hier wieder nicht, um nur Knöpfe und Kabel zu erläutern, sondern auch, um weitere Ebenen der Moralität einzuführen, die Welt differenzierter als das bekannte „Gut und Böse“. Und wenn tatsächlich eine Story auf diese beiden Pole gegründet werden sollte, so konnte doch eine Variation in den einzelnen Charakteren geschehen, eine kleine Abwandlung des reinen Klischees. – Das Fernsehen war die Autorität, hat die Richtung einer Geschichte bestimmt, doch aus dieser Prägung entsteht auch die Kompetenz zu erkennen, daß ein Spielfilm immer aus verschiedenen Ebenen gebaut werden muß.

Davids erste Filmversion wurde von der Fernsehnorm überlistet: Eine Stunde im Wald vergeht. Dann kehrt das Team um David zurück. In der Kamera dreimal der Krimi, wie er sagt. Wirklich: Dreimal hintereinander hat er seine Geschichte aufgenommen.
Doch bei ihm hat die Struktur der Fernsehfilme anders gewirkt: Die Differenz zwischen Dreharbeit und Ausstrahlung, die unterschiedliche Chronologie der montierten Teile blieb ihm verborgen. Der Film als feste Einheit, die im Kontinuum in Zeit und Raum steht, also eben so entsteht. Und so wurden seine drei Versionen gedreht. Der Kameramann mußte wirklich schnell sein, um die Spaziergänger bei ihrem Bummel zu filmen, der Überfall, die Frau, die zu Boden gestoßen wird, und danach sofort den fliehenden Dieb zu erreichen, die Verfolgung, die Prügelei… Um all dies in einem Stück zu drehen, mußte der Kameramann hin und her sprinten. Aber nein: Auf dem Bildschirm im Camp erschienen Bilder, wild und fast ohne erkennbares Motiv. Warum? Der Dieb lief zu schnell, und also wählte der Kameramann das Fahrrad, um ihn zu verfolgen! Wie also hier das Bewußtsein für die veränderte Arbeitsweise beim inszenierten Bild zu erarbeiten?

Ein Storyboard entstand. Auf einem großen, einem sehr großen Stück Pappe zeichnete die Crew mit der Mitarbeiterin die einzelnen Motive der Erzählung. Für jede neue Aktion ein neues Bild. Und danach dann die Entscheidung der Reihenfolge der Dreharbeiten. Zwei Abläufe, die Story und die Gleichheit der Drehorte. Also können die erste und vierte Szene, beide spielen auf der Lichtung, hintereinander gedreht werden. Weiter: Die Bildausschnitte der Kamera, die Perspektive, der Blick. Wo auf der gezeichneten Totalen geschieht die neue Aktion? Ein Schlag auf den Kopf des Diebes, mehr ist nicht neu, mehr ist nicht wichtig in diesem Augenblick, also ist ein kleinerer Bildausschnitt möglich. Und dieser wird ergänzt, auf dem überdimensionalen Storyboard.

Diese gewählte Methode war hier die einzige Möglichkeit, die Geschichte, die Erzählung der Jgdl. in eine schriftliche Form zu bringen, sie zu visualisieren und die Möglichkeit der Bearbeitung, der für sie zufriedenstellenden Umsetzung zu finden. – Die Einheit wird geteilt und die unterschiedlichen Ebenen der Erzählung erscheinen plastisch dargestellt.

Das war klar für die Gruppe, die „Superman“ drehte. Diese Gruppe aus Jevenstedt hat die Kamera über Nacht ausgeliehen. In einem Keller drehten sie die Geschichte von einer Clique, die eine Party feiert. Um Mitternacht unternehmen alle eine Nachtwanderung. Ein Mädchen bleibt ein wenig zurück und wird prompt entführt. Der Rest der Clique sucht und ist verzweifelt. Was bleibt, ist der Ruf nach …“Superman“! – Und Superman erscheint sofort, doch ein tolpatschiger, wie sich herausstellt. Er stolpert und stottert und dennoch gelingt ihm die geniale Rettung des Mädchens. Eine große Wiedersehensfeier beschließt den Film. – Das ist die Chronologie des fertiggestellten Filmes. Doch die Dreharbeiten laufen in einer anderen Reihenfolge: Die Gruppe weiß bereits, daß die Filme im Fernsehen, die als ein kompaktes Ganzes erscheinen, aus vielen verschiedenen Teilen, aus Szenen zusammengesetzt wurden. Und so bauen sie ihre Geschichte ebenfalls aus Teilen zusammen, die in einer anderen Reihenfolge aufgenommen werden. Sie sind sich bei den Dreharbeiten schon über diese Möglichkeit der letzten Phase der Bilder bewußt: Sie wissen um die Aufgabe der Montage.

Doch schaffen diese Teile in der visuellen Form darzustellen, was die vorher verbal entworfene Geschichte erzählt? Vor allem der Aspekt der Parallelität, das „Währenddessen“ muß begreifbar gemacht werden. Die Montage des Kidnapping bei „Superman“ gestaltete sich schwierig, weil hier bei den nächtlichen Dreharbeiten nicht an diesem Problem gearbeitet wurde. Die Spaziergänger suchen, zeitgleich flieht der Entführer mit seiner Geisel. Das Spektrum der Kenntnisse der Fernsehmuster macht hier vor der Blick hinter Kulissen halt. Das „Wie“ z.B. dieser Konstruktion der Parallelität war unbekannt. Die komplexen Möglichkeiten der Montage galt es zu entdecken.

 

 

3.3.6. Die Montage

Die Kinder und Jugendlichen wissen schon, daß sie die Bilder, die ihnen nicht gefallen, aus ihren Bändern „rausmachen“ können, sie weg schneiden. Diese beiden Worte werden verwechselt. Sie stellen sich vor, daß das Bild aus der Originalcassette verschwinden wird. Noch ist unbekannt, daß der Prozeß aus dem Überspielen von einer Kassette zur anderen besteht. Vom Original werden die Bilder, die sie mögen auf eine zweite kopiert. Also mußte dieser erste Satz der Mitarbeitern zu den Filmern, „Das kannst Du dann ja wegschneiden.“ geändert werden in “ Die Bilder, die zusammenpassen werden auf eine andere Kassette kopiert.“ Das hatte dann mehr Sinn für sie. Überspielen, das war bekannt, von den Eltern oder vom Cassettenrekorder. Denn so, am Schnittplatz angelangt, war es sehr schwer, den jetzt folgenden Arbeitsschritt zu erklären.

Wie sich den Abläufen der Technik öffnen, wenn manchmal noch die (Ehr-) Furcht bestand, jeder Schnitt sei endgültig, jedes Bild sei nach einmaligem Gebrauch aus dem Originalmaterial gelöscht, unwiederbringlich verschwunden, eben weggeschnitten. Der eigentlichen Montage, dem durchdachten Schnitt ging also mit jeder Filmcrew zunächst eine grundsätzliche Erklärung voraus, besser: An altem Material wurde gespielt, Sequenzen bleiben erhalten, können verdoppelt werden… wichtiger: nichts von unseren Aufnahmen geht verloren.Wie werden diese Bilder nun zusammengesetzt? Welches Bild soll dem anderen folgen? In welcher Ordnung soll das geschehen? Nach welcher d Chronologie, nach welcher Ordnung des Sinns?

Das ist ein Prozeß, der ungleich abstrakter geschieht als die Aufnahme mit der Kamera. Man guckt durch den Sucher, drückt auf den roten Knopf und das Gesehene wird abgespeichert. Die Kamera ist das intermediäre Gerät zwischen Augen und Realität, schon bekannt manchmal von den Eltern, aus der Schule, aus dem Urlaub. Der Schnittrekorder ist zwar ebenfalls intermediärer Vermittler – zwischen den Bildern auf der Kassette und dem fertigen Film. Nur ist die Arbeitsweise dieser großen Maschine kaum erkennbar, kaum, daß es Bekanntes zu sehen gäbe…eigentlich nur die beiden Fernseher ganz oben, die Schnittmonitore. Der Rest sind bunte Knöpfe und Regler, teilweise beleuchtet. Man drückt sie und irgendwo wird die bestimmte Funktion ausgeführt. Eine kleine Sicherheit ergibt sich daraus, daß vorher schon andere Jugendliche vor dieser Maschine gesessen haben und – man konnte es genau sehen – sogar mit dieser Maschine begeistert gearbeitet haben. So schlimm kann’s also doch nicht sein.

Zuerst muß das Bild gesucht, ausgesucht werden. Ganz konkret, ohne eine Hilfe muß alleine entschieden werden. Man programmiert die Bilder, die ausgesucht wurden und drückt den Knopf „Schnitt“. Die gewählten Bilder werden aus dem Originalband auf den Master überspielt. Doch dieser Prozeß bleibt unsichtbar. Ohne Spektakel, ohne Geräusche und Warnungen werden die Bilder in einen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang gebracht, es wird eine Kontinuität von Raum und Zeit gebaut. Drei kurze, überschaubare Schritte.
Doch für die jüngeren Jugendlichen ein echtes Problem: Die Reihenfolge der Schritte, die Notwendigkeit, sich neben der schon ohnehin aufwendigen Entscheidung, welches Bild, welcher Kameraausschnitt, welche Perspektive folgen soll, auch noch mit den technischen Abläufen auseinanderzusetzen. Eine gute Methode für die Kinder war oft, eines in die Bedienung des Players, ein zweites in die Handhabung des Rekorders einzuführen. Als eingespieltes Team dann ein überraschend zügiges Arbeiten, mit Freiraum, über die Bilder nachzudenken, sich konzentrieren zu können auf den eigentlichen Sinn des Arbeitsschrittes, auf die Erstellung des Filmes. Schneiden oder Bilder aneinandersetzen bedeutet nicht nur, Knöpfe zu drücken. Hier, bei der Montage, können die Bilder in eine neue Achse von Zeit und Raum eingesetzt werden. Sie können den Sinn der Bilder hier noch einmal gänzlich neu bestimmen: Die Reihenfolge der Handlung, den Ton verändern, ganze Handlungsstränge plötzlich auslassen, Bilder in Farbe und Geschwindigkeit verfremden, verzerren, entstellen. – In diesem Prozeß werden die Bilder manipuliert!

Auch beim ersten Schritt des Prozesses, bei der Aufnahme konnten die Bilder manipuliert werden, durch Bewegung, eine ungewohnte Perspektive, die Kamera wird schief gehalten, steht Kopf, wird unscharf gestellt… doch zu Beginn war, trotz des Spieles mit der „Überwachungskamera“, der Respekt noch zu groß. Der Respekt zum einen vor der heiligen Kuh der altbekannten, allgegenwärtigen Fernsehbilder, der Respekt aber auch vor der Ausrüstung, der teuren Kamera, dem Mikrofongalgen… und erst mit der Zeit wurde ihnen, auch am selbstverständlichen Umgang der Mitarbeiter mit der Technik bewußt, daß der Unterschied zwischen Vorsicht & Verantwortung für das Arbeitsgerät und hinderlicher, einschränkender Ehrfurcht vor der Technik bei diesem Projekt sehr wichtig war. (Später dann wurden die Kameras von den einzelnen Gruppen regelrecht betreut. Von der Reinigung der Linse nach den Aufnahmen bis zu „reservierten“ Plätzen für das Equipment einer Gruppe. Schwierig manchmal, wenn dann eine weitere Gruppe den Akku, die Kopfhörer, gar die Kamera nutzen wollte.) Doch in der Nutzung wurden schon bald Ideen nicht mehr durch selbstkonstruierte Verbote eingeschränkt. Keine Kamera leidet, wenn über Kopf gefilmt wird, wenn das Makro benutzt wird, wenn vom Monitor abgefilmt wird. – Der Eingriff in gesetzte Bildstandards mußte also erst erarbeitet werden.

Die Intervention auf technischem Gebiet geriet schwer, im menschlichen Bereich jedoch war diese Schwelle ungleich niedriger: Der Mikrofongalgen im Bild, die fragende Stimme im Hintergrund, die Hand des Filmers beim Öffnen eines Gartentores. Oder die Filmer nahmen am Prozeß selbst Teil, sie agierten im Film, gingen durch’s Bild, schaukelten im Garten, begutachteten eine Küchenausstellung… Und all dies machte dann dem Publikum das „Hand-Werkliche“ deutlich. Der Film, von Menschen gemacht, nicht von einer unsichtbaren Stimme, einem unnahbaren Produzenten. Es wurde bewußt, daß reale Menschen hinter dem Film stehen; die Anonymität, die Undurchdringbarkeit der Fernsehproduktionen wird aufgelöst, ohne ein Kult-, Comedy-, Star-Image aufbauen zu wollen. Menschen, auch die filmenden, sind einfach dabei und also auch zu sehen.

Ja, die Erarbeitung des Bildes gehört in den Bereich der handwerklichen Arbeit. Der Macher und seine Arbeit sind nah, obwohl er nicht die Bilder wirklich berühren kann, sondern allerhöchstens durch die Maschinerie, durch Knöpfe und Regler. Die Filmcrews setzten sich vor den Monitor und notieten die Zähler verwendungswürdiger Bilder. Die erste Form sich den Aufnahmen noch einmal anzunähern.

Für einige war hier die Arbeit zu Ende: Nicht Unlust, sondern ein anderes Bewußtsein von Film bestimmte dies. Für Timo, gerade 8 Jahre alt, war der Film erst fertig, wenn seine (glücklicherweise „nur“ 120 Minuten lange) Kassette voll war. Sein Ziel, so stellte sich heraus, war es, eine ganze Kassette voll eigener Bilder aus dem Dorf zu haben!

Doch für gewöhnlich folgte bei den Jugendlichen nun die Montage: Und die bedeutet mehr, als ein Bild an das vorhergehende zu setzen. Die Bilder werden zu einer narrativen Struktur zusammengeschnitten, die sich aus den Bildern selbst anbietet. In den Bildern liegt die Fähigkeit, die der Filmende im Augenblick der Aufnahme besaß. Die Form, die Art, die Realität, das Ereignis vor der Kamera zu sehen, die Position des Filmers dieser Welt gegenüber, aber auch die Form, diese mit der Kamera zu gestalten.

In der Aufnahme wird durch die Art der Bildgestaltung auch eine Struktur der Montage, die Struktur des späteren Filmes vorherbestimmt. Kohärente Aufnahmen, ein entwickelter eigener Stil (im gegebenen zeitlichen Rahmen), die Bilder zu gestalten, eine Form zu finden, die Aktion, das Ereignis aufzunehmen, ermöglichen den Jugendlichen in der Montage zu einer Abstraktion zu finden. Aus den eigenen Bildern nun einen Film zu bauen, erfordert eine ganz neue Auseinandersetzung mit dem Material und wird erst wirklich möglich, wenn auch die Aufnahme selbst mehr war, als ein zufälliges Hinwegwischen über Menschen, Bäume Häuser, über Gespräche, Begegnungen und Aktionen.

Hier in der Montage bietet sich die große und letzte Möglichkeit, an der Synthaxis, der Struktur des Filmes zu bauen. Der Wert der Beobachtung selbst ist geschrumpft. Erforderlich (und infolgedessen ein neuer Aufgabenbereich für die Mitarbeiter, mit den Kindern und Jugendlichen daran zu arbeiten!) ist hier, die Intensität eines Bildes zu entdecken, also die Stärke eines Bildes, die es im Zusammenhang mit anderen in einer Sequenz, im späteren Film entwickelt. Das Bild ist in seinem Zusammenhang zu bewerten, und nicht mehr allein aus dem persönlichen Affekt zu ihm, zu seinem Inhalt, zum Dargestellten.

Das Bild, der entstehende Film löst sich von der alleinigen Beurteilung durch seinen Macher. Es wird gültig, ohne seine Erläuterungen, es wird ein wertvoller Film, der sich an ein Publikum wendet, der ohne die Person des Filmemachers etwas ausdrücken kann. Er kann durch sich anderen, dem Publikum etwas vermitteln. Der Film aber besteht in seiner eigenen visuellen Struktur. Er hat nun seine eigene Sprache. Er ist bereit, dem wartenden Publikum präsentiert zu werden.

 

 

3.4. Die Präsentation

Der letzte Abend einer Station. Fieberhaft bearbeiten noch einige Jugendliche ihre Videos, hier ein Tonproblem, dort ein Titel. Das hell erleuchtete Technikzelt mit dem großen Hartschnittplatz ist noch dicht umlagert. Draußen wird es langsam dunkel, die mobile Bühne wird verschlossen, an ihrer Seite wird eine Leinwand aufgehängt, etwa 5×3 Meter groß. Aus den großen Lautsprechern klingt schon erste Musik, der Videoprojektor taucht die Szenerie in ein unwirklich blaues Licht. Im Halbrund werden einfache Klappbänke aufgestellt. Die ersten Besucher sitzen schon und unterhalten sich, Eltern, Freunde, Dorfbewohner, manchmal der Bürgermeister, „Fans“ von der vorherigen Station.Sehr spät, so gegen 23 Uhr, ist es richtig dunkel geworden – die Präsentation beginnt. Licht aus, Spot an, „Hallo! Wir sind Fischauge’96!“ Ein Mitarbeiter moderiert den Abend, manchmal mit lauter Stimme, je nach Verfassung doch lieber mit dem Mikrofon. Eine kurze Erklärung, woher wir eigentlich kommen, ein Dank an die Erschienenen, im Durchschnitt etwa 70 Menschen. Der Rekord liegt bei 120! – Und dann der erste Film, per Videobeam in volles Leinwand-Format gepustet. Der Ton aus den Boxen schallt durch’s Dorf. Open-Air-Kino auf dem Dorfplatz. Nach dem ersten Werk: Rauschender Applaus, die jugendlichen Filmemacher stehen auf, treten in den Lichtkegel, ernten den Beifall für ihren Film.

Vor dem nächsten Werk eine kurze Moderation: Wie heißt der folgende Streifen, wie lang ist er? Und der Mitarbeiter berichtet kurz von der Entstehung, der Idee, Schwierigkeiten. Und darin kurz über unseren Ansatz, über das Bild. Den Anspruch, daß es wichtigeres geben kann als Stative und 5000 Watt, daß in diesem Camp jeder seiner Idee nachgehen konnte, alle von 0 auf 100% in die Materie eingestiegen sind. – Eine Vorbereitung manchmal, den folgenden Film bewußter zu sehen, aufmerksamer.

„Spot aus“ für den nächsten Film, Zwischenrufe, eine Frau erkennt sich, heimlich gefilmt. Der nächste Film wird von den Machern selber angesagt. Alle nach vorne, ihre Funktionen im Team, „Dank an unseren Jugendtreff, besonders an Roland!“, Vorschuß-Applaus, der Film, zwischendurch gibt’s vielleicht Popcorn oder später Grillwürstchen und eine Gute Nacht vom Team an alle.

Die Strahler gehen an, Ende der Präsentation, Gespräche, leider sofort routinierter Abbau. Vieles ist schon verstaut, jetzt noch die Bänke,die Zelte, den Bühnenanhänger ankoppeln, einige Jugendliche fassen kräftig mit an, alles geht schnell… denn morgen geht’s zur nächsten Station, dort um 10 Uhr Aufbau, um 12 Uhr Programm, naja, vielleicht erst um 1/21 ? Wesentlich: Die Präsentation natürlich als Ereignis, vielleicht als Höhepunkt, als konkretes Ziel der Arbeit. Doch sie ist sehr viel mehr als eine Show, mehr als nur ein Abschluß, hier, bei der Vorstellung der Filme vor Publikum, gehört diese Veranstaltung ganz wichtig mit zum Prozeß des Camps, mit zum Prozeß der Auseinandersetzung mit den Bildern.

Die Ergebnisse der letzten Tage, die fertigen Filme werden erstmalig öffentlich vorgestellt, sie werden präsentiert. Schon dies für sich ein Ereignis, das Stolz machen könnte, das Selbstbewußtsein ob des eigenen Werkes schaffen könnte. Aber die abendliche Präsentation ist auch die erste Vorstellung der Filme vor der schärfsten Jury überhaupt: Vor den Eltern, vor den Freunden, vor den Bekannten aus dem Dorf und oft auch vor den Film-Akteuren selbst. Und sie alle sehen dieses Werk mit gänzlich „anderen Augen“. Ihre Beurteilungskriterien entspringen einem komplett anderen Hintergrund: Ihre Erwartungen sind genährt aus

  • der Kenntnis, der alltäglichen , „wirklichen“ Realität im Dorf und
  • eben auch wieder von den herkömmlich rezipierten Fernsehmustern.

Und schon an diesen beiden so unterschiedlichen Ansprüchen wird die Wichtigkeit dieses Termines deutlich: Auch hier wieder die Erwartung der Zuschauer, das Dorfleben nun, da ja das Fernsehen da ist, gefiltert und aufbereitet zu sehen durch die Maske des spannenden, rasanten Fernsehens. Endlich einmal das langweilige Dorf ein wenig peppiger serviert.

Und die Erwartungen … verändern sich. Recht schnell wurde von den Zuschauern nicht mehr nach den Fernsehbildern aus Bovenau, aus Waabs, aus Westensee gesucht, sondern sehr bald standen zuallererst die Motive in den Filmen im Vordergrund. Die Oma Paschullke, die Post, da fährt ja Marlies vorbei…! Und erst danach war Muße, die Form, in die diese bekannten Motive integriert waren, wahrzunehmen. Oder aber: Ganz obenan stand erst einmal die Faszination, daß die Teilnehmer des Fischaugen-Camps, die Jugendlichen aus dem Dorf, alldies wirklich selber produziert hatten: Den Unterwasser-Clip, die verfremdeten Bilderrätsel, den spannenden Krimi mit Leiche und Musik oder das Gespräch mit dem Hühner-Walter, mit den Zugezogenen aus Hamburg.

Der Vergleich mit dem naheliegenden Medium Fernsehen wurde also verdrängt durch ein Anerkennung der Arbeit der Filmemacher. Eine Anerkennung, für einige sicherlich das erste Mal, die durchaus als Instanz zu sehen ist: Durch die Präsentation vor Publikum wurden Bilderfolgen nachträglich legitimiert, ein filmisches Werk zu sein: In Jevenstedt: Der „Oma-Film“ wird angekündigt, das Team steht auf und erhält Beifall. David steht mit auf. Doch schon in einer frühen Phase ist er aus diesem Projekt ausgestiegen, die Story gab keinen Film her, so meinte er. Die anderen haben dennoch weiter daran gearbeitet, sind noch einige Male zu der Oma gegangen, haben an den Wert ihrer Bilder, an den Wert ihrer Begegnung geglaubt. Und nun ist es ein Film, der gezeigt wird. Ein echter Film also, und daran will auch David seinen Anteil haben… er gehört wieder zur Filmcrew.

Und mehr noch: Viel wichtiger als die Bewertung durch das Publikum war für die filmenden Kinder und Jugendlichen, hier nach der stressigen Arbeit im Camp, erstmalig ihren Film bewußt, in Ruhe und auf großer Kino-Leinwand selbst anzusehen. Im Rücken das Publikum, das herzlich lachte, aufmerksam folgte und begeistert klatschte. Doch ein paar Jugendliche wünschten sich jetzt, bzw. in Gesprächen nach der Präsentation doch eine gewöhnlichere Kategorie für ihr Werk. Lieber doch Musik statt O-Ton, schneller alles oder einfach nur kürzer.

Ihr entwickeltes Gespür für Situationen im Dokumentar-Bereich war erschüttert worden. Jetzt, selbst erstmalig wieder in der reinen Rezeptionshaltung, begannen sie selbst auch wieder ihre althergebrachten Kriterien anzusetzen. Kein Weg, darüber mit einem großen Lob, einer Ermutigung hinwegzugehen. Der Prozeß der sensiblen Empfindung war bei einigen nur in der Abgeschlossenheit der eigenen Film-Arbeit vorhanden. Die Erfahrung, den erstellten Film einem großen Auditorium vorzustellen, vielleicht noch ein paar eigene Worte zum Film zu sagen, die Reaktionen der Freunde, Eltern, der Anerkennung der älteren Jugendlichen, der Dorfbewohner, war grundsätzlich positiv.

Die bewußte Rezeption des eigenen Werkes war es, die weiterführte: Arbeit mit Film, Arbeit mit Video ist langwierig, arbeitsintensiv. Und hier zeigte sich an diesen vereinzelten Reaktionen die Notwendigkeit fortgesetzter anspruchsvoller Angebote filmischer Betätigung, kreativer Auseinandersetzung mit den eigenen Themen und Ideen der Kinder und Jugendlichen. Eine Arbeit an der Wahrnehmung, eine Sensibilisierung für den Blick erfordert eine kontinuierliche Möglichkeit, sich begleitet mit den neuen Entdeckungen, den neu erworbenen Fähigkeiten zu beschäftigen. Und eben dies zu leisten sind weder ein einzelner Jugendtreff, noch die Eltern, das Angebot an Schulen etc. fähig und im Stande.

 

 

4. Ergebnisse

4.1. Arbeit und Arbeiter
Die Priorität von Fischauge ’96 lag in der Beziehung von Kindern und Jugendlichen zu Bildern. In einem ersten Schritt kommen sie in den unmittelbarsten Kontakt mit dem Objekt der Begierde. Sie bekommen eine Kamera in die Hand. Das bringt ihnen Spaß. Doch schnell merken sie: Auch von ihnen selbst muß etwas kommen, muß mehr geleistet werden als nur „Bilder machen“. Ihre Aufmerksamkeit, Geduld, Ausdauer, ihre Kreativität für Ideen und deren Umsetzung, im Bezug auf das Gestalten eines Filmes. Und all das verlangt eine Herausforderung mit sich selbst, eine Auseinandersetzung, die sich parallel zu der späteren eigentlichen Gestaltung eines Filmes entwickelt: Ein Bild aufnehmen, das Bild in eine Sequenz einbauen und so eine Sinneinheit konstruieren. Ein Film ist eine Sinneinheit.Das Bild verlangt verschiedene Niveaus in seiner Gestaltung, von Konzentration, von Diskussion mit den Mit-Filmern, außerdem die Fähigkeit zur Entscheidung, zur Improvisation. (Hier wurden keine technischen und ästhetischen Normen errichtet, um nicht diesen ersten Bereich der Gestaltung einzuschränken, zu lenken.) Alle diese Bausteine, diese inneren Prozesse ermöglichen dem Kind, dem Jugendlichen, sich der Welt der Bilder zu öffnen und auch, die Welt der Bilder dem Kind/Jugendlichen gegenüber zu öffnen. Die üblichen pädagogischen Prozesse folgen dem Prinzip, daß der Jugendliche derjenige ist, der der Welt der Bilder aufgeschlossen gegenüberstehen soll, also der, der hier erschlossen werden soll. Die jugendlichen müssen lernen, wie ein Film aufgebaut ist. Das Bild im Interview, in der Reportage, im Magazin, im Spielfilm. Dies alles sind Arten von Film, die eigene Normen beinhalten. Und für sie werden dann die Regeln erklärt, die existieren, um solch eine Form von Film zu realisieren. Dazu die technischen Hinweise für die Arbeit mit der Kamera: Der Schalter für den Weißabgleich, die Taste für das Zoomen, der Ring, unscharf zu stellen.

Zu dieser Gruppe von Regeln, die erinnert werden müssen, kommt eines dazu: Die Suche nach einem Thema, die Entwicklung des Themas. Hier ist nicht wichtig, ob dieses Thema etwas neues skizziert oder bekanntes wiederholt – wichtig ist, daß das gewählte Thema sich irgendwie in den Kreis der akzeptierten, normierten Themen einfügt. Doch woher dieser Anspruch, Normen zu erfüllen? Warum muß sich ein Thema und sogar das Bild einer Normierung unterwerfen? Schon vor hundert Jahren sind die Gebrüder Luminiere nach ihrer Entdeckung des Filmes von Café zu Café gegangen, um ihre Bilder vorzuführen. Und dies waren dokumentarische Bilder, die immer einfach die Namen ihrer Motive trugen: „Mitarbeiterinnen , die vor dem Tor ihrer Fabrik warten“. Die Kamera gibt den Betrachtern Zeit, aus einem einzigen Ausschnitt die Frauen zu beobachten. Und die Betrachter damals nahmen sich ihrerseits die Zeit, diese Bilder zu sehen.

Im Laufe der Zeit haben sich andere Formen von Bildfolgen entwickelt. Bald verstanden sie einen Film als eine Ganzes aus Fragmenten und der Schnitt, die Montage erscheint. Und mit ihr gemeinsam gestalten die Normen die Empfindung von Kontinuum in Zeit und Raum. Parallel zu dieser Suche nach Normen, die von den Pionieren des Filmes angestoßen wurde, gab es andere, (die sich ebenfalls Künstler zu nennen erdreisteten!) die verstanden, die Form des Bildes außerhalb der Norm zu verstehen. – Die Form des Bildes entsteht aus der Begegnung mit der Realität, das Bild nimmt seine Form, nach der Art des Inhaltes an. In jedem Film dieser Pioniere nimmt das Bild eine neue Form an. Damals schon, 1910, wurde das als Kategorie des Experimentellen klassifiziert. Diese zweite Form, sich mit Bildern auseinanderzusetzen, war in dem Projekt Fischauge’96 das Wichtigste für unsere Arbeit mit Kindern und Bildern. Denn das ermöglicht den Kinder eine individuellere spontanere Näherung an die Realität. Es ermöglicht aber auch die Ruhe, an den Bildern zu arbeiten, viel doch die zu erreichende Norm in der Arbeit fort. Eine Annäherung an die Realität, im Verlaufe derer der Zufall eine große Rolle spielt. Zufällige Bilder. Sowohl in der Art, das Bild aufzunehmen, als auch im Inhalt – vor den ersten Aufnahmen wurde kein Thema festgelegt.

In dieser ersten Phase der Konstitution der Bilder wurde nichts festgelegt, das die Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen bestimmt hätte. Alles stand zur Verfügung, um die Kreativität zu befreien, um eine freie Wahl zu ermöglichen. In einem interaktiven Prozeß, in dem beide Teile sich gegenseitig stimulieren und eine Art der gemeinsamen Existenz suchen, die in Richtung der Gestaltung eines Filmen außerhalb des Fernsehmodells entwickelt. Aber Achtung! Diese „Machtübergabe“ ist weder für die Filmenden, noch für die Mitarbeiter ein Freifahrtschein ohne jegliche gegenseitige Intervention. Zwei Faktoren gibt es, die die Präsenz des Mitarbeiters allein als denkenden Menschen erfordern. Mit seinen kulturellen Kenntnissen, mit ihrer Erfahrung in der Gestaltung von Bildern, mit ihren Gedanken, seine Überlegungen. Sie fordern eine Kompetenz außerhalb der Erklärung der blinkenden Knöpfe, der technischen Abläufe:

  • die Kenntnis von der Gestaltung der Bilder ist keine unvoreingenommene, „natürliche“, naive Ahnung, sondern sie ist freundlich begleitet von der visuellen Art und den Inhalten des Fernsehens.
  • das Zusammenspiel der Wahrnehmung des Blickes und der Kamera. Eine neue Beziehung: Es ist schon nicht mehr das nackte menschliche Auge, das umherblickt. Vor ihm ist ein weiteres Auge installiert: Jenes der Kamera, das die Realität nicht anderes erblickt, sondern das hier, angeschlossen an ein speicherndes Medium, eine neue Realität errichtet. Und das bedeutet unmittelbar, eine andere Sprache zu erlernen: Die neue visuelle Sprache.

Hier muß der Mitarbeiter den Kindern oder Jugendlichen eine neue Methode vorschlagen, durch die ihnen eine Koordination, (nicht eine Gleichstellung!) der Kamerabilder mit ihrem eigenen Blick gelingt. Und nur so kann erreicht werden, daß die Sprache der Bilder ihnen gegenüber eröffnet wird und, daß sie mit ihren Vorstellungen und ihren ganzen kulturellen Kenntnissen der Bildsprache gegenüber aufgeschlossen werden. Dieser Prozeß beginnt sofort, wenn der Blick durch die Kamera gewagt wird, wenn ein Bild aufgenommen wird und endet erst, wenn die Bilder miteinander montiert worden sind.

Nur: Über diesen Prozeß der Gestaltung der Synthaxis, der Struktur eines Filmes spricht das Fernsehen nicht! Es spricht von seiner reinen, eigenen Form! Von seiner Geschwindigkeit, seiner Schönheit der Farben, der visuellen Komposition, von der Kamerabewegung, der Beleuchtung, der Musik… Das Einzige, daß sich aus dem Fernsehen ableiten läßt, ist seine eigene Form. Man könnte es fast einen narzistischen Akt nennen. Die Bilder zitieren sich fortwährend selbst, um eine Schönheit aufzubauen, besser: Um eine eigenständige Ästhetik vorzugaukeln.So wie Orpheus in sich selbst gefangen bleibt und seine Schönheit im Spiegel des Wassers betrachtet, so existiert im Bezugssystem des Fernsehens einzig und allein die eigene Faszination über seine eigene Schönheit. Und das Publikum läßt sich davon gefangen nehmen. Es kennt nicht einmal die Struktur dieser einfachen Schönheit. Und so entsteht das Phänomen: Die Bilder erscheinen schön und sind doch unergründbar. Dieser Bereich gilt ebenso für das experimentelle Bild: Man kann seine Oberfläche, seine Form berühren, aber doch lassen es nicht die visuellen Prozesse seiner Entstehung erkennen. Auch hier: Ein hermetisch verschlossenens Ganzes.

Eine Methode dies greifbar, begreifbar zu machen muß gefunden werden. In diesem Projekt von dem Team der Mitarbeiter. Diese Methode muß ermöglichen, daß die Filmenden sich dem Inneren eines Bildes, eines Filmes nähern kann. Sich nähern auch der Gestaltung der Filmstruktur, den Elementen, die nötig sind, um den Sinn des Bildes im gesamten Film zu konstruieren. Dafür ist kein theoretischer Filmunterricht notwendig. Mit der oben ja bereits geschilderten einfachen Methode kann alldies ein Kind, ein Jugendlicher in der eigenen Arbeit an seinem Film entdecken.

Eines dieser Elemente ist der Rhythmus: Wesentlich für die Erarbeitung der Synthaxis eines Filmes und gleichzeitig auch unfaßbar, unsichtbar. Der Rhythmus beginnt bereits zu Entstehen, wenn die Realität zu einem Bild wird und er baut sich weiter, bis zur Montage am Schnittplatz. Doch der Rhythmus ist natürlich nicht auf den filmischen Bereich beschränkt. Er wohnt allen künstlerischen Produktionen inne, die aus einem Raum-Zeit-Kontinuum bestehen: Das literarische Werk, das theatralische Werk, das musikalische Werk (Zeit). Denn in diesem Kontinuum gewinnen die Einheiten des Sinnes ihre Intensität abhängig von dem Wo und dem Wann im Kontinuum (der Erzählung) und abhängig davon, neben welchen anderen Sinneinheiten sie eingesetzt werden. Und langsam gestaltet dies das Ganze, den Film.

Hier ist es, wo der Prozeß, ein Bild zu machen, in einen Prozeß des visuellen Schreibens übergeht. Und wo die Beschäftigung, bei uns: die Auseinandersetzung mit den Bildern, an die Teilnehmer des Projektes Forderungen stellt, so stellt jetzt dieses Niveau der Arbeit Anforderungen an die Mitarbeiter. Die Arbeit verlangt die Erfahrung in der Gestaltung von Bildern und zusätzlich die Präsenz dieser Erfahrung, neben den Erlebnissen und mittlerweile den Erfahrungen, die die Kinder/Jugendlichen entwickelt haben. Die Mitarbeiter müssen in der Lage sein, den Filmern eine Orientierung im harten Prozeß des Schnittes geben zu können. Denn immer noch bedeutet der Schnitt beispielsweise für die Kinder, ein Bild zu montieren, einfach weil ein Affekt zu ihm besteht, weil es etwas bekanntes zeigt, weil der Vater erscheint und es deshalb lustig ist oder jedenfalls schön.

Ein Beispiel:
Der Film eines Mädchens aus Waabs, Christina, 10 Jahre alt.
Auf dem Reiterturnier ihres Dorfes hat sie verschiedene Pferde auf dem Weg in den Parcour aufgenommen. Auch die Reiterinnen und den Pferdestall. Gemeinsam mit einem Mitarbeiter hat sie daraus einen 20-minütigen Film gebastelt. Viele Bilder wurden verfremdet und mit Musik unterlegt. Bravo-Dance-Hits.

Der Film entbehrt jeglicher narrativer Struktur, jeglichem Rhythmus, und die Intensität der Bilder selber geht verloren. Es baut sich keine simple Sinneinheit. Die Art, in der der Mitarbeiter den Prozeß zwischen den Bildern und dem Kind begleitet hat, schlug diesmal fehl: Der Prozeß, eine Struktur des Filmes zu gestalten, wurde komplett unterbewertet. Die Priorität wurde auf den Zuwachs an Selbstbewußtsein gelegt, daß das Mädchen allein durch die Fertigstellung/die Präsentation eines Filmes erlangen konnte. Und vorher auch auf das Selbstbewußtsein, das an jeder Bestimmung der Schnitte durch das Mädchen wuchs. Infolgedessen keine Beschäftigung mit der Länge eines Bildes, keine Thematisierung des Bildsinhaltes, der Verknüpfung unterschiedlicher Themen, der Sinnneinheiten im Film, keine Auseinandersetzung mit dem Fluß der Erzählung, mit Wiederholungen, mit Tempowechseln in der erzählerischen Struktur des Filmes.

Der Film wurde fertiggestellt, das Kind um eine stärkende Erfahrung reicher, doch das Zusammenspiel der Elemente, einem Werk einen Sinn, eine Einheit zu verleihen, blieb gänzlich verborgen. Für den Mitarbeiter war hier unklar, daß im gleichen Moment, in dem die Bilder montiert werden, um ein Film zu werden, daß im selben Augenblick der Film den Anspruch auf eine Form von Bildern hat, die losgelöst ist von der reinen Affektbesetzung der einzelnen Bilder bzw. deren Bildinhalten. Darum intervenierte er nicht bei der Wahl der Bilder, begleitete nicht die Wahl der Bilder nach dem Kriterium der Narration, der Intensität, der Dramaturgie. Fischauge’96 hier (wie in einigen anderen Fällen auch) als Jugendprojekt mit Freizeitcharakter. Und nicht als ein Projekt, daß versucht, die Kreativität der Kinder und Jugendlichen in Beziehung zu einem konkreten Objekt zu entwickeln. In diesem Fall, Filme zu erschaffen, die noch dazu ein eigenständiges Modell zu bauen im Stande sind, Filme, die eine Existenz beanspruchen außerhalb der Welt des Fernsehens. Die Auseinandersetzung der Filmer anhand dieses konkreten Objektes, von dem wir schon wissen, das es kein schlaffes ist, – unter der Oberfläche eine eigenständige Logik eine eigene Struktur – fordert heraus, Strategien zu entwickeln und fordert/fördert kreatives Potential, kreative Ressourcen.

Resultierte obige Arbeitsweise vorrangig aus der filmischen Unerfahrenheit, so steht dem im Ergebnis ein Filmschaffender manchmal in nichts nach. Ein erfahrener Filmemacher, der bereits sämtliche Normen des Fernsehens kennt, der die Elemente beherrscht und auch bemerkt, wann und wo das Bild in der Koheränz einen Fehler enthält. Denn wann verfällt ein Bild in einen Fehler? Wann ist ein Bild „richtig“ gemacht? Von welcher Instanz wird dies festgelegt? Auf welcher Grundlage? – Es ist das Fernsehen, das die Ästhetik des Bildes legitimiert. Das Fernsehen erhebt sich zur Autorität. Und wenn der Filmemacher seine Bilder und Filme gestaltet hat, dann wird er nicht fähig sein, den Jugendlichen und Kindern eine Orientierung zu geben, eine Strukturierungshilfe bei der Gestaltung einer Sythaxis ihres Filmes. Er kann nicht helfen auf der Grundlage der Normen der Bilder, die sie mitgebracht haben. – Aus diesen Bildern, die schon ober beschrieben wurden: Schnell, kurz, verwackelt, das Motiv nur schemenhaft erkennbar; Bilder, die scheinbar ohne Zusammenhang hintereinander weg gefilmt wurden. – Sondern dieser „Fernsehmacher“ wird nach den normkompatiblen Bildern suchen, er wird nach seinen, den sauberen Fernsehregeln suchen, kurz: Er wird die grundlegend falschen Kriterien anlegen.

2 Methoden: Nur die erste Methode zu akzeptieren, in der der Pädagoge dem Mädchen ermöglicht, einen Film nur aus seiner eigenen Emotion und seinem Willen zu bauen, oder nur die 2. Methode zu akzeptieren, in der das Kind seine Unfähigkeit spürt, einen Film zu machen, weil es die Normen des Fernsehens nicht erfüllen kann, hieße, das Projekt in die Polarisation zu treiben. Entweder, das Bild wird dem Kind, dem Jugendlichen untergeordnet, oder das Kind, der Jugendliche wird der Fernsehnorm untergeordnet.

Das Gefühl, etwas, einen Film selber produzieren zu können, und parallel das Wissen um die eigene Systhematik im Film zu erwerben, tut not.

Warum wollen wir in Fischauge’96 nicht nach der „Fernsehnorm“ arbeiten? Perfekte Filme nach Fernsehvorbildern zu produzieren, verstellt den Blick zu Improvisation, Spontanität, eigener Kreativität. Es verhindert, sein Tun (die Produktion dieses Filmes), überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt zu hinterfragen, ergo: zu neuen Gedanken, zu eigenen entwürfen, Formen von Film zu gelangen. Und auch: Die Möglichkeiten, die in der offenen Arbeitsform der Kinder und Jugendlichen liegen bleiben ungenutzt: Das schnelle Vertrauen, die Leichtigkeit, die Moralität der Erwachsenen in Momenten zu überwinden, die spielerische Art, sich des Mediums zu bemächtigen. Aus ihnen bildet sich ein wichtiger Teil der Bilder, die durch das Anlegen von Schablonen, und sei es nur die Form des „Beitrages“, eine Reportage, ein Essay, eine Umfrage…verhindert wären. Der persönliche Film kann möglich werden. Die persönlichen Filme von Nadine, Daniel, von Torben, von Schröder und Konsorten, von Franziska, von Hanna.

 

 

4.2. Fazit

Fischauge’96 ist drei Wochen über’s Land gezogen. Drei Wochen hatten Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, kompetent begleitet in die Welt der Bilder abzutauchen. In der Welt der Kinder und Jugendlichen, also direkt in den Dörfern mit einem dort ganz neuen, ungewöhnlichem Angebot aufzuwarten war ein voller Erfolg. Durch die Arbeit vor Ort hatten die Teilnehmer die größtmögliche Flexibilität, keine Anmeldung, kein Seminarplan, keine Kosten und keine thematischen Vorgaben. Eben dies verschaffte Fischauge’96 einen Freiraum, eine Akzeptanz die es ermölichte, unseren Anspruch an die Teilnehmer heranzutragen. Wer sich in dem Camp entschloß, mit der Kamera loszuziehen, der sollte auch diese Bilder anschließend sichten, eine Filmidee entwickeln, die Sequenzen montieren und seinen Film fertigstellen.Videoarbeit bedeutete hier mehr, als das eifrige Kopieren bekannter Schemata. Aus Interviews wurden Gespräche, aus einem schnellen Krimi, ein durchdachter erster Einstieg in die Filmwelt. Und durch diesen Ansatz entstanden Bilder, Filme, die über die gewohnten Bilder aus dem Fernsehen hinausgehen. Filme, die den Zuschauer fordern, sich Zeit zu nehmen, Bilder die den Anspruch erheben, bewußt wahrgenommen zu werden. Die Kinder und Jugendlichen von Fischauge’96 produzierten ihre Ideen, ihre Filme. Daß sie die Möglichkeit erhielten, sich diesen Bildern ohne falsche Anforderungen zu nähern war das Ziel. Die Ideen, die Wahrnehmung und Umsetzung der Einfälle wurde keinem starren Muster unterworfen.

Diesen Prozeß zum eigenen Film fachlich fundiert und aufmerksam zu verfolgen war Aufgabe des Teams. Hier ist es notwendig, sich im Vorfeld noch mehr selber mit der filmischen Arbeit auseinanderzusetzen. Der Vorbereitung des Teams, aber auch der logistischen Organisation sollte mehr Zeit zugestanden werden. Und auch die Zeit bei den einzelnen Stationen selber sollte entzerrt werden. So könnte etwa bei einer Dauer der Camps von je fünf Tagen noch besser auf die unterschiedlichen Arbeitsrythmen von Kindern und Jugendlichen eingegangen werden. Denn die Erfahrungen und Ergebnisse aus Fischauge’96 machen Mut. Es lohnt sich, die Herausforderungen und Ansprüche an die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen heranzutragen.

Es ist notwendig, weiter eine größere Partizipation Kinder und Jugendlicher an Entscheidungen zu fordern, die sie und ihr Lebensumfeld betreffen. Denn Kinder und Jugendliche können artikulieren. Und sie sind fähig, das zeigen die Prozesse in den einzelnen Camps und die fertiggestellten Filme, sich in kurzer Zeit gänzlich neue Methoden der Artikulation (und nichts anderes sind diese Filme ja auch) anzueignen. Sie können dieses Neue nutzen und nicht zuletzt für die Erwachsenen oft ungewohnte, vergessene oder gar unentdeckte Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Unentdeckte, neue Themen, andere Begegnungen, erweiterte Bilderwelten.