Der Offene Kanal und seine Sendungen (März 2007)

1   Ausgangslage
2   Ein Sender auf zehn Säulen
3   Ausblick

1 Ausgangslage

Der Offene Kanal vom Dezember 1991 (Sendestart OK Kiel) ist heute nur bei genauem Hinsehen wieder zu erkennen. Die konzeptionelle Grundlage des Offenen Kanals hat zwar Bestand – Rundfunkarbeit mit Bürgern wird als pädagogische Herausforderung verstanden, die ohne sehbare Sendungen aber keinen Sinn ergibt. Dabei ist die pädagogische Heran­gehens­weise differenzierter geworden und hat sich Erkenntnisse der Jugend- und der Bürgerarbeit zu eigen gemacht. Insbesondere aber sind die Sendungen des Offenen Kanals deutlich anders als vor 16 Jahren.

Die Veränderung des OKs und seiner Sendungen liegt an dem konstruktiven Um­gang mit den Herausforderungen, denen sich der OK in den vergangenen Jahren gestellt hat:

  • Auf der seit 1989 inhaltlich fast unveränderten gesetzlichen Grundlage haben sich mit dem Konsens der nichtkommerziellen, lokalen Verbreitung eine ganze Anzahl von Sendeformen und Nutzungsmöglichkeiten entwickelt, die 1991 nicht vorherzusehen waren. In der Folge steht der OK inzwischen auf zehn „Säulen“.
  • Die Entwicklung der Medienlandschaft durch die Digitalisierung der Produktion und der Übertragungswege hat den Offenen Kanal technisch verändert und Vorhaben (z.B. Außenübertragungen) ermöglicht, die analog nicht finanzierbar waren.
  • Die Nutzungszunahme des Internets, insbesondere die Zunahme des „user generated content“, hat eine dem Offenen Kanal ähnliche Plattform auf einer anderen Ebene geschaffen. Schon nach kurzer Zeit ist jedoch deutlich geworden, dass die „Premium-Sendeoberfläche“ Fernsehen eine andere Bedeutung hat als die Verbreitung von Videobeiträgen via www und dass das Internet eine Ergänzung, aber kein Ersatz zum OK-Rundfunk ist.
  • All dies konnte nur umgesetzt werden durch das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie durch die Unterstützung durch den ehemaligen Träger des Offenen Kanals, die ULR, und durch die Politik.
  • Eine andauernde konzeptionelle Diskussion im Offenen Kanal mit dem Mut zu Veränderungen war von besonderer Bedeutung.

In der konstruktiven Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen hat sich der OK in den zurück liegenden Jahren zu einer akzeptierten und viel genutzten, lebendigen Einrichtung entwickelt.

Dem primären gesetzlichen Auftrag entsprechend stehen die nichtkommerzielle Gestaltung, Produktion und Verbreitung von werbefreien Sendebeiträgen in Hörfunk und Fernsehen durch Personen und Gruppen, die selbst nicht Rundfunkveranstalter sind (Nutzer), im Zentrum der Aktivitäten („Sendeselbersender“). Über den Offenen Kanal hat dieser Personenkreis diskriminierungsfrei und chancengleich einen unentgeltlichen Zugang zum Rundfunk und kann von der grundgesetzlich verbürgten Rundfunkfreiheit auch aktiv Gebrauch machen.

Daneben ist der Offene Kanal eine bedeutende Institution für die Vermittlung von Medien­kompetenz in Schleswig-Holstein.

Alle Aktivitäten im Offenen Kanal sind der in einem weiten Sinn zu verstehenden politischen Bildung zuzurechnen. Wer Sendebeiträge gestaltet und produziert, setzt sich mit gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedingungen auseinander.

Die folgenden Ausführungen beschreiben die Sendeaktivitäten des Offenen Kanals.
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2 Ein Sender auf zehn Säulen

Die Weiterentwicklung des Offenen Kanals zeigt sich vor allem bei einer strukturierenden Betrachtung, die beim Inhalt der Sendebeiträge und den unterschiedlichen Nutzungsarten ansetzt. Es lassen sich zumindest – ungewichtet und teilweise überschneidend – zehn Funktionalitäten – „Säulen“ – ausmachen. (Die „Perspektiven“ sind jeweil kursiv angefügt.) Dabei sind alle diese Säulen auf der Grundlage des OK-Gesetzes organisiert, d.h., einzelne Bürgerinnen und Bürger und nicht der OK sind für die Sendungen verantwortlich.

Bürgersender
Bürgerinnen und Bürger nutzen den Offenen Kanal, um Beiträge nach eigenen Vor­stellungen zu produzieren und zu verbreiten („Lokaler Bürgerfunk“). Die Themenpalette ist unbegrenzt (außer durch die üblichen gesetzlichen Regelungen). Bürgersendungen finden auf festen und offenen Sendeplätzen statt.

  • Die Seminarangebote des OK werden um aktuelle Themen erweitert (Weblog, Podcast, Multimedia).
  • Attraktive Angebote werden weiter ausgebaut (z.B. moderne Computerschnittplätze).
  • Gruppen werden auf neue und alte Themen angesprochen mit dem Ziel einer Livesendung.

Lokalsender
Im OK werden die Berichterstattung der Presse sowie des professionellen Rundfunks (Hörfunk und Fernsehen) im lokal-regionalen Bereich ergänzt. Auf diese Weise trägt der OK unmittelbar zur Meinungsvielfalt bei. Die ausgestrahlten Beiträge beschäftigen sich mit Themen aus dem aktuellen Geschehen in Politik, Wirtschaft und Kultur des Sendegebiets. Eine besondere Rolle spielen die Live-Übertragungen von Landtag, Ratsversammlungen und Kreistag.

  • Liveübertragungen können durch preiswertere Leitungen (z.B. ADSL) technisch qualitativ weiter verbessert werden.
  • Die Ausstrahlung solcher Liveübertragungen als Internetstream wird 2008 erstmalig getestet, wenn Rechtefragen geklärt sind.
  • Datenleitungen werden zum Anschluss privatisierter Kabelnetze genutzt.

Ereignissender
Durch Mitschnitte von politischen, kulturellen und informierenden Veranstaltungen im Sendegebiet und die ungekürzte Ausstrahlung der Produktionen werden diese Veranstaltungen medial verstärkt und spiegeln zugleich das Leben im Sendegebiet wider.

  • Die Qualität dieser Mitschnitte wird durch verstärkte Schulung der Produzenten – unter besonderer Berücksichtigung der Praktikanten und Auszubildenden – weiter verbessert.
  • Leichtere, kleinere und einfacher zu bedienende Aufnahmetechnik setzt zukünftig Ehrenamtliche verstärkt in die Lage, unabhängig vom OK-Personal elektronische Berichterstattung zu betreiben.

Servicesender
Der OK gibt Informationen anderer Stellen und Einrichtungen neutral weiter, etwa eine Auswahl der der Bundesagentur für Arbeit vorliegenden Stellenangebote, Hinweise auf Veranstaltungen oder auf Medienkompetenzaktivitäten.
Die Zusammenarbeit mit bürgernahen Einrichtungen im Sendebebiet wird ständig und in Zukunft noch intensiver erweitert und vertieft. Die Ausstrahlung von Informationen zu Öffnungszeiten, Servicediensten und Angeboten wird in den Infotafeln sowie im neu gestarteten Videotext weiter ausgebaut.

Ausbildungssender
Der OK dient der beruflichen Ausbildung und Qualifizierung, etwa in der Kooperation mit Berufsschulen, Hochschulen und Fachhochschulen oder verschiedensten Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung. Im OK können zukünftige „Profis“ Erfahrungen sammeln und Konzepte testen, ohne Werbekunden zu vergraulen.
Seminare und Kursangebote von Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, die in den Bereich der OK-Kompetenzen fallen (Pädagogik, Technik, Journalismus), sollen noch stärker in Zusammenarbeit, häufig auch in den Räumlichkeiten des OK, stattfinden.

Schulsender
Der OK unterstützt, meist projekthaft, die Wissensvermittlung in der Schule, insbesondere in dem Bereich der Medienkompetenzvermittlung. Da Medienerziehung immer Themen braucht, lassen sich mit der vom OK praktizierten Methode der „aktiven Medienarbeit“ fast alle schulischen Themen motivierend und effektiv bearbeiten. Hinzu kommen besondere Projekte für Schulen, etwa die Schulfernsehwoche SchOKK, die Lehrkraftausbildungen oder die Ausbildungen von Schülerinnen und Schülern zu „SchülerMedienLotsen“.

  • Das Live-Radiostudio an der Schule, wie gerade am Johannes-Brahms-Gymnasium in Pinneberg gestartet, wird Modell und durch andere SchülerMedienLotsen kopiert.

Werkstattsender
Der OK trägt dazu bei, dass bei medienkompetenzfördernden Aus- und Fortbildungs­angeboten des Offenen Kanals die Theorie durch Praxis vertieft werden kann. Diese Kenntnisse werden durch Aktivitäten in den Räumen des Offenen Kanals, aber auch durch solche vor Ort, z.B. beim rollenden Mediencamp „Fischauge“, vermittelt.

  • Auch wenn das Netz medienkompetenzvermittelnder Institutionen mit dem OK schon eng verknüpft ist, so gibt es immer noch Einrichtungen, in denen Medienprodukte entstehen, die nicht zur Sendung gelangen. Diese Einrichtungen gilt es aufzuspüren und zur Kooperation anzuregen.
  • So wie einerseits „user generated content“ in Form von Videos Einzug ins Internet hält, können auch – abseits von Pannenvideos – um Internetvideos herum Sendungen gebaut werden.

Minderheitensender
Nicht erst seit dem Inkrafttreten des OK-Gesetzes, das dem OKSH die Förderung von Minderheitensprachen besonders anempfiehlt, hat sich der Offene Kanal intensiv um Minderheitensprachen gekümmert. Eine besondere Rolle spielen dabei die OKs Flensburg (für die dänische Sprache) und Westküste (für die friesische Sprache).Nach einer Reihe von unterschiedlichen Angeboten ist deutlich geworden,

  • dass für ein friesisches Radioangebot eine bessere Verbreitung im Sprachgebiet, also an der nördlichen Westküste, erforderlich ist und
  • dass damit eine Vorort-Schulung der Sprachkundigen zur Aktivierung des kreativen Potentials einher gehen muss, die von den Verbänden der Minderheit aktiv unterstützt wird,
  • dass ein Angebot für die dänische Minderheit sich nur in enger Kooperation mit den dänischen Schulen, Kindertagesstätten und anderen Bildungeinrichtungen dauerhaft aufrecht erhalten lässt.

Campussender
Einerseits zu Schulungszwecken, insbesondere in den Medienfachbereichen, andererseits als eine Möglichkeit, den eigenen Campus der Öffentlichkeit zu präsentieren, haben sich in Kiel und Lübeck in TV und Radio Sendeaktivitäten entwickelt, bei denen Studierende von ihrem Campus berichten. Diese Aktivitäten finden innerhalb des Curriculums oder in der Freizeit statt. Maßnahmen, die mit dem Curriculum intensiv verknüpft sind und deshalb auch eine hauptamtliche Anbindung haben, sind dabei besonders nachhaltig.

  • In Flensburg ist die Kooperation mit der Universität zu vertiefen.
  • In Lübeck ist neben der Kooperation mit Einrichtungen in den Mediadocks auch der Aufbau eines Außenstudios im eigentlichen Universitätsbereich zu prüfen.
  • In Kiel ist eine Neuauflage des Campus-TV Projektes geplant, bei dem mehrere universitäre Einrichtungen an einen Tisch geholt werden sollen.

Experimentalsender
Im Offenen Kanal sind in TV und Radio alle möglichen Experimente gestalterischer, journalistischer und technischer Art denkbar. Die Chancen, die der Offene Kanal als technische und gestalterische Plattform für experimentellen Rundfunk bietet, sind bei weitem noch nicht ausgereizt.

  • Einzelne Einrichtungen, z.B. technische Fakultäten und Studiengänge, sowie gestalterische Avantgarde sollen gezielt auf die speziellen Möglichkeiten des OK aufmerksam gemacht werden.
  • Seminare zur freien Nutzung von Rundfunkoberflächen sollen in das Seminarprogramm des OK aufgenommen werden.
  • Über den Landeskulturverband soll ein Wettbewerb für Künstler zur Entwicklung eines Kunstwerkes auf einer Rundfunkoberfläche initiiert werden.

An der Vielfalt dieser Funktionalitäten, die alle die Rundfunkoberfläche konstruktiv reflektieren, zeigt sich, wie unverzichtbar die konventionelle Sendemöglichkeit für den Betrieb des Offenen Kanals ist.
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3 Ausblick

Obwohl die Sendepraxis des Offenen Kanals gezeigt hat, dass eine konzeptionelle Ausweitung des Offenen Kanals zum „10-Säulen-Sender“ auf der seit 1989 inhaltlich fast unveränderten gesetzlichen Grundlage möglich war, wird aus den spezifischen Perspektiven zu den einzelnen „Säulen“ deutlich, dass sich die Diskussion über die konzeptionelle Zukunft des Offenen Kanals und seiner Sendungen an fünf Fragen orientieren sollte:

  • Es sind – weit mehr noch als bisher – Kooperationen mit Einrichtungen aus der Kultur, der Bildung und des bürgerlichen Engagements anzustreben, einerseits um ihnen – mit Hilfe des Offenen Kanals – ein Forum der Kommunikation bereitzustellen, andererseits, um ihnen die Chancen moderner Kommunikationsmittel nahe zu legen und auf diese Weise dem Offenen Kanal noch mehr Nutzungspotential zuzuführen.
  • Es muss die Digitalisierung der Produktions- und Übertragungswege weiter intensiv im Auge behalten werden, um die technischen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, für den Offenen Kanal zu erschließen.
  • Ein besonderes Augenmerk gebührt der dezentralen Produktion. Es ist heute schon möglich und technischer Alltag, am heimischen PC eine Radiosendung zu gestalten und via Internet im OK live als Rundfunk zu senden. Diese Möglichkeit eröffnet völlig neue Perspektiven für die pädagogische Radioarbeit. Zugleich ist – Bandbreite und Software vorausgesetzt – eine vergleichbare Entwicklung im Videobereich abzusehen. Diese gilt es rechtzeitig für Bürgersendungen, insbesondere aber für die pädagogische Praxis, zu erschließen.
  • Die Umbenennung der Kieler Sender – nicht der Einrichtung – in Kiel FM und Kiel TV war für die Akzeptanz des Offenen Kanals ein wichtiger Schritt, der auch für die Einrichtungen in Lübeck, Flensburg und Heide in Erwägung gezogen werden muss.
  • Die konzeptionelle Debatte über das Internet als Ergänzung des Bürgerrundfunks muss weitergetrieben werden, damit der Offene Kanal sämtliche Möglichkeiten der Medienpartizipation bereithalten kann.

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