Aus den aufgeführten Möglichkeiten hier nun einige Beispiele. Diese Beispiele sind nach den eben dargestellten organisatorischen Merkmalen geordnet, nicht nach Lernzielen oder Jugendalter. Daß auch bei den Beispielen Magazine überwiegen, ist kein Zufall, sondern Anzeichen für die praktische Bedeutung dieser journalistischen Form.
zu 1.B – Gebauter, dokumentarischer Film
Die Leiden der Telekom – Randale im Telefonhäuschen – ein Film
Idee Ein Artikel in der lokalen Tageszeitung bringt eine Gruppe von Jugendlichen auf die Idee, eine Reportage über Vandalismus und Zerstörung an Telekom-Eigentum zu machen.
Durchführung Drei der Jugendlichen zwischen 14 und 16 hatten an einem Ferienseminar des Offenen Kanals Kiel teilgenommen und daher schon Vorerfahrung. Eine Mitmacherin ist neu dazugekommen. Der OK Kiel stellt für die Planungsphase seinen Seminarraum sowie ein Telefon zur Verfügung. Es wurden Terminabsprachen mit dem Pressesprecher der Telekom sowie dem Störungsdienst getroffen. Die jungen Filmemacher wurden zu einer Inspektionsfahrt der Techniker durch Kiel und Umgebung eingeladen.
Sendung Zwei Wochen später wurde der Film zu Sendung angemeldet. Auf dem OK-Schnittplatz entstand ein aktueller und spannender Beitrag, besonders aufgrund der eindrucksvollen Bilder „von der Straße“.
Björn Roggensack, OK Kiel
zu 2.A – fiktionaler Rohfilm
„Fly of life“ – ein Musical
Idee Der Jugendchor der Kirchengemeinde Kiel/Wellsee inszenierte ein selbstkomponiertes Musical. Als Bühne und Probenraum nutzt der Jugendchor das Gemeindehaus. Der Chor wünschte sich eine Aufzeichnung des Stückes.
Durchführung Die Jugendredaktion des OK Kiel ist eine seit Herbst 1995 selbständig arbeitende Gruppe. Die Mitarbeiter des OK stellten einen Kontakt zwischen dem Jugendchor und der Jugendredaktion her. Nachdem das mobile Fernsehstudio des Offenen Kanals Kiel reserviert wurde, übernahmen die Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren Kameras, Ton, Aufbau und Organisation der Aufzeichnung. Bei der Regie unterstützte sie ein Mitglied des Chors.
Sendung In dieser bewährten Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen einem Veranstalter und einer Redaktionsgruppe ist im April 1996 einmal mehr ein Musicalmitschnitt entstanden, der am selben Abend im Offenen Kanal gesendet wurde. Die hohe Motivation auf allen Seiten ist bei solchen Aufzeichnungen meist eine Garantie für das Gelingen.
Olaf Mertens, OK Kiel
zu 2.B – gebauter, fiktionaler Film
Verbotene Liebe – soap opera im OK
Idee Inspiriert durch die diversen „soap operas“ der privaten und inzwischen auch öffentlich-rechtlichen Sender entstand zwei Jugendlichen die Idee, eine ironisch-satirische Version einer Folge der ARD-Serie „Verbotene Liebe“ zu produzieren.
Durchführung Das Filmprojekt begann mit der Analyse einer Originalfolge der Serie, beinhaltete also eine theoretische Auseinandersetzung mit Inhalt und Aufbau einer „daily soap“. Die Schauspieler wurden aus dem Freundeskreis der Produzenten engagiert, ein Drehbuch wurde geschrieben, Drehorte gesucht und gefunden – wofür gelegentlich Eltern ausquartiert und Genehmigungen eingeholt werden mußten.
In technisch hoher Qualität entstand ein Fernsehspiel, das mit großem Arbeitsaufwand auf den Schnittplätzen bearbeitet und fertiggestellt wurde. Allerdings gab es zum Original doch einige Unterschiede…
Sendung Die erste soap opera des OK Kiel ging im April über den Sender, natürlich zur besten soap-Sendezeit um 19.00 Uhr. Die satirische Bearbeitung eines solchen Themas garantiert eine intensive und umfassende Auseinandersetzung. Bei diesem Projekt hielten sich Spaß, Lerneffekt und kreatives Schaffen vor und hinter der Kamera die Waage. Die Rückkoppelung der Beteiligten, aber auch vieler Zuschauer, war sehr positiv.
Torben Sachert, OK Kiel
zu 1.C – Dokumentarisches Magazin
Inside Out – Jugendknastfernsehen im OK Bremen
Idee Mit und durch die Hilfe von Multiplikatoren war es im OK Bremen möglich, Medienarbeit auch in nicht dafür prädestinierten Institutionen zu etablieren. Ein Beispiel dafür ist die Videoredaktion in der Jugendvollzugsanstalt Blockland im Bremer Westen, in der 15- bis 23-jährige Strafgefangene einsitzen.
Projekt Studenten der Hochschule für Sozialwesen bereiteten im Rahmen einer Lehrveranstaltung „praxisorientierte Medienarbeit“ in Zusammenarbeit mit dem OK Bremen gemeinsam ein Rahmenprogramm und eine Livesendung vor. Eine von zehn Gruppen war die „Knastgruppe“, bestehend aus 4 Studenten, einem Sozialarbeiter der JVA und ca. 15 inhaftierten Jugendlichen.
Videobeitrag Der Inhalt der Beitrages der „Knastgruppe“ sollte von den Häftlingen selbst bestimmt werden. Einzige Vorgabe war die Leitlinie des Themas der Livesendung „Ich und meine Stadt“ und die Statuten des Offenen Kanals.
Die Häftlinge sollten selbst filmen, schneiden und ggf. mit Musik, Wort und Text unterlegen. Die Inhalte sollten subjektive Sichtweisen wiedergeben, ohne Zensur oder Fremdbestimmung von außen. Die Studenten sollten nur begleitende Funktionen haben und bei Problemen Hilfestellung leisten. Ansonsten sollten sie sich in der Gestaltung des Beitrages zurückhalten.
Das Material, die technische Ausstattung und Know How stellte der Offene Kanal zur Verfügung. Die Nachbearbeitung des Beitrages fand mit dem mobilen Schnittplatz des OK in den Räumen der JVA statt. Dadurch konnten sich auch Nicht-Freigänger an der Produktion beteiligen. Es entstand ein Clip, der versuchte, die alltägliche Stupide des Häftlingsalltags aufzuzeigen. Es wurde der Drogenkonsum in der Anstalt dargestellt, die Gewalt und die allgemeine Langeweile.
Von Seiten der Anstalt wurde der Beitrag, im Nachhinein, noch als zu geschönt empfunden, da die Häftlinge ihre persönliche Lebenssituation positiver dargestellt hatten, als sie wirklich war.
Livesendung Für alle Gruppen des Projektes bestand die Möglichkeit, sich an der Livesendung zu beteiligen. Die Zahl der an der Produktion Beteiligten, inklusive Gäste der Diskussionsrunden, betrug ca. 70 – 80 Personen.
Es gab 2 Tage zur Vorbereitung der Sendung, an denen u.a. auch alle Mitglieder der Videogruppe der JVA teilnahmen. Die Mitglieder der Videogruppe bekamen für die Produktion Sonderurlaub. Die technische Seite dieser Livesendung war fast ausschließlich in der Hand der „Knackis“, die sich außerdem maßgebend an der Dekoration des TV-Studios beteiligten. Desweiteren nahmen die Häftlinge zusammen mit dem Anstaltsleiter und einem Sozialpädagogen an einer der Diskussionsrunden teil.
Fazit Der Beitrag und die Beteiligung der Häftlinge hatte sehr positive Reaktionen auf allen Ebenen hervorgerufen. Die Häftlinge erwarben Kompetenzen im Bereich Fernsehen und Video, sowohl auf der technischen als auch auf der Produktionsseite.
Die Livesendug diente im Rahmen der aktiven Medienarbeit pädagogischen Prozessen und leistete integrative Arbeit. Die Häftlinge genossen die Anerkennung (zu der auch die Aufmerksamkeit der lokalen Medien beitrug). Die Häftlinge konnten neue positiv geleitete Grenzerfahrungen machen, und sich einer Verantwortung, und dem damit ihnen entgegengebrachten Vertrauen stellen. Diese Erfahrungen kannten die jugendlichen Häftlinge aus ihrer bisherigen Sozialisation nur beschränkt. Der Sozialpädagoge der JVA behauptete, daß er seine „Pappenheimer“ noch nie so konzentriert und verantwortungsbewußt erlebt habe.
Es arbeiteten durch diese Produktion Menschen zusammen, für die es sonst keine gemeinsame Basis gegeben hätte. Durch diesen gemeinsamen Prozeß konnten Vorurteile relativiert und neue Rollen erprobt werden. Einer der Häftlinge drückte das so aus: „So viele normale und nette Menschen auf einen Haufen habe ich noch nie gesehen“.
Stephan Hänke, OK Bremen
„Jugend und Schule“ – Thementage im OK Berlin
Projekt Am 27. und 28. April 1996 veranstaltete der OK Berlin die Thementage „Jugend und Schule“. Zwischen 9.00 Uhr morgens und 1.00 Uhr nachts gestalteten Berliner Schulen und Jugendeinrichtungen das Programm im Offenen Kanal.
Sendung In der Zeit von 12.30 Uhr bis 21.00 Uhr wurde „live“ aus allen Studios im Fernsehen und Hörfunk gesendet. Dabei bestimmten die Jugendlichen die Themen und Inhalte der Sendungen, bedienten die Technik selbst, führten die Interviews und moderierten das Live-Programm. Den Abschluß des Liveprogramms am Sonntag bildete eine Talkrunde mit dem Thema „Kein Geld für die Jugend“. Schulen und Jugendeinrichtungen berichteten über die Schließung von Einrichtungen, machten aufmerksam auf die Auswirkungen der Sparmaßnahmen des Senats und diskutierten die Auswirkungen dieser Entwicklung mit den jugendpolitischen Sprechern verschiedener Parteien.
Projektbegleitung Die Thementage gaben Schulen und Jugendeinrichtungen die Gelegenheit, ihre Projekte vorzustellen. Alle interessierten Bürgerinnen und Bürger waren eingeladen, am 27. und 28. April 1996 im Offenen Kanal in der Voltastr. 5 (Wedding) vorbeizukommen und das Geschehen vor Ort live zu erleben. Von diesem Angebot wurde reger Gebrauch gemacht. Das Rahmenprogramm der Veranstaltung bildeten ein Café, Schmink- und Bastelstände sowie Infostände verschiedener Jugendeinrichtungen. Hier bestand die Möglichkeit, sich zu informieren und Kontakte zu knüpfen.
Fazit Die meisten Beteiligten an den Thementagen haben aufgrund der guten Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit dem OK Berlin die Absicht geäußert, mit dieser Einrichtung weiterhin intensiv zusammenzuarbeiten.
Jürgen Linke, OK Berlin
Der Sucht auf die Pelle gerückt – Osterferienseminar für Jugendliche im OK Kiel
Idee Ferien bieten sich für Jugendseminare besonders an, da die Jugendlichen Zeit haben, und sie wenig damit anfangen können. Ich wollte diesmal kein übliches Videoseminar durchführen, bei dem das Thema nur Übungsthema ist, sondern konkrete Medien- und Präventionsarbeit leisten. Die beim Seminar entstandenen Medienprodukte sollten dabei sowohl beim Entstehungsprozeß medial motivieren, als auch zu späterer Arbeit mit anderen einsetzbar sein. Dabei war es erforderlich, das Genre und die Art der produzierten Beiträge so zu wählen, daß das vorgesehene Zeitbudget ausreicht.
Durchführung An fünf Vormittagen während der Osterferien wurden jeweils in kleinen Arbeitsschritten mediale und inhaltliche Arbeitseinheiten durchgeführt, wobei die inhaltliche Arbeit, zumindest was den Input anging, in der ersten Seminarhälfte den Schwerpunkt bildete. In Zusammenarbeit mit dem „Kieler Institut für Suchtprävention“, das einen Suchtberater für den inhaltlichen Teil dieser Arbeit einbrachte, fand der Einstieg in Thema statt, der während der Auseinandersetzung um die mediale Umsetzung vertieft wurde. Die bei Schnittarbeit typischen Fragen („was kommt ‚raus, was bleibt ‚drin?“) stellten dabei eine besonders intensive Art der inhaltlichen Auseinandersetzung dar.
Sendung Im Rahmen einer Magazinsendung der Jugendredaktion im OK Kiel wurde das Ergebnis des Seminars präsentiert und als Aufhänger einer Livediskussion zum Thema mit Gästen genutzt. Auch konnten die SeminarteilnehmerInnen vor der Kamera über das Seminar berichten
Fazit Die Jugendlichen setzten sich inhaltlich durchaus unkonventionell, aber mit großer Intensität, mit dem Thema „Sucht“ auseinander. „Suchtprävention“ konnte hierbei nicht nur durch die Auseinandersetzung mit der Sucht verwirklicht werden, sondern auch durch die entstandenen Spots und deren Veröffentlichung selbst. „Nebenbei“ erlernten die Jugendlichen sowohl den Umgang mit Kamera und Schnitt, als auch Organisation und Durchführung einer Live-Sendung.
Von der 11 Jugendlichen ab 13 Jahren sprangen die 2 Jüngsten vorzeitig ab, da sie mit der inhaltlichen Auseinandersetzung des ernsten Themas überfordert waren. Da ich ähnliche Erfahrungen bei vergleichbaren Medienprojekten anderer Träger gemacht habe, werde ich zukünftige Seminare dieser Art für Jugendliche ab 15 Jahren ausschreiben.
Auch wenn der Aufwand insgesamt sicherlich höher ist als bei einer konventionellen Behandlung des Themas, hat das Ergebnis, sowohl die objektiv entstandenen Produktionen, als auch die subjektiven Erfolgserlebnisse bei den Jugendlichen, diesen Aufwand gerechtfertigt.
Martin Ruppert, OK Kiel
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