Offener Kanal und ländlicher Raum (Juli 2007)

Was bedeutet der ländliche Raum für die Medienbildungsarbeit des OKSH?
Ländlicher Raum als Handlungsfeld für den OKSH
Schlussfolgerungen

1 Was bedeutet der ländliche Raum für die Medienbildungsarbeit des OKSH?

Nach § 2 Abs. 1 OK-Gesetz ist es die Aufgabe des OKSH, Gruppen und Personen, die nicht selbst Rundfunkveranstalter sind, Gelegenheit zu geben, eigene Beiträge im Hörfunk und im Fernsehen regional zu verbreiten. Dabei wird der Offene Kanal „vornehmlich in Ballungs­gebieten“ (§ 2 Abs. 2 OK- Gesetz) verbreitet. Es ist aber daraus nicht zu schlussfolgern, dass einzelne Teilgruppen der Bevölkerung, z.B. die Bewohner des ländlichen Raums, von der Nutzung des Offenen Kanals grundsätzlich fernzuhalten sind.

Aus diesem Grunde ist für den OKSH der ländliche Raum – und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb seines Sendegebietes – eine besondere Chance und Herausforderung. Es gilt, seine besonderen Mobilitäts- und Infrastrukturmerkmale konstruktiv für die Medien­bildungs­arbeit zu nutzen.

1.1 Was ist der ländliche Raum?

Ländlicher Raum lässt sich zum urbanen Ballungsraum abgrenzen:

  • Ungleichmäßige Siedlungsstruktur und Dominanz von Freiflächen
  • Geringe Bevölkerungsdichte und niedrige Durchschnittseinkommen
  • hoher Anteil von Pendlern und hoher Anteil von Wohnungseigentum
  • relativ einseitige Wirtschaftsstruktur

Diese Kriterien jedoch sind differenziert anzuwenden. Im stadtnahen ländlichen Raum etwa ist die landwirtschaftlich dominierte Beschäftigungsstruktur lange aufgelöst; Handwerk und Gewerbe heben die Einkommen. Auch im stadtfernen ländlichen Raum arbeiten selten mehr als 10% der Bevölkerung in der Landwirtschaft. Ländlicher Raum stellt keine geschlossen zu betrachtende Einheit dar. Es gibt starke Versorgungs- und Merkmalsdifferenzen zwischen stadtnahen ländlichen Räumen und abgelegenen Landstrichen, aber auch z.B. zwischen peripheren Räumen in Nordfriesland und im Kreis Segeberg. 1.2 Herausforderung an die Medienbildungsarbeit Medienkompetenz – die Fähig- und Fertigkeit, selbst bestimmt, kreativ und sozial verantwortlich mit Medien umzugehen – ist für die gesamte Informationsgesellschaft grundlegend – egal ob auf dem Lande oder in der Stadt. Medienkompetenz sichert die Option, sich am öffentlichen Diskurs zu beteiligen; sie verbessert die Chance, berufliche und private Perspektiven zu entwickeln.

Der Erwerb von Medienkompetenz steht jedoch nicht allen in gleichem Maße offen, er wird auch beeinflusst durch

  • das individuelle Bildungsniveau und das örtliche Bildungsangebot,
  • durch soziale, geographische und geschlechtsspezifische Faktoren sowie
  • infrastrukturelle Gegebenheiten.

Besonders die Bevölkerung im ländlichen Raum hinkte lange Zeit den Entwicklungen unserer Informationsgesellschaft hinterher. Fehlende medientechnische Infrastruktur, unzureichende Bildungsangebote für Beruf und Freizeit und mangelnde Kenntnisnahme dieser Defizite waren (nicht nur) hier Ursachen für eine ausbaufähige Medienkompetenz. Die technische Ausstattung im ländlichen Raum hat in den letzten Jahren rasant aufgeholt. Web-Videos und Kommunikationsportale können durch die fast flächendeckende Versorgung mit Hochgeschwindigkeits-Internet in fast jedem Winkel des Landes genutzt werden. Der (N)onliner-Atlas 2007 (veröffentlicht 25.06.2007) diagnostiziert nur noch gradueller Unterschiede im Zugang und dem Nutzungsverhalten gerade jugendlichen User. 50,0 % der ländlichen Online-Haushalte (= „in Orten unter 5000 Einwohnern“) nutzen Breitbandzugänge, in Ballungsräumen sind es zwischen 60,8 und 61,3%. Aber es liegt auf der Hand, dass die Möglichkeit, neue Medien zu nutzen, keinesfalls gleichzusetzen ist mit der Fähigkeit, dieses kompetent und angemessen zu tun.
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2 Ländlicher Raum als Handlungsfeld für den OKSH

Offensichtlich ist auch im ländlichen Raum die private Bereitschaft zur Nutzung von Medien (und dafür Geld auszugeben) vorhanden. Medien werden in der Freizeit auch im ländlichen Raum intensiv genutzt – ohne dass dies erkennbare Auswirkungen auf die individuelle Medienkompetenz hat. Dies korrespondiert mit den Defiziten an Fähigkeiten, die zur schulischen und beruflichen Nutzung von Medien notwendig sind.

Für die Konzeption der Medienbildungsarbeit muss berücksichtigt werden, dass der ländliche Raum für seine Bewohner Freizeit- und Familienstandort ist , während für die Ausübung des Berufes oft in mittlere und große Zentren gependelt wird. Medienbildungs­arbeit im ländlichen Raum kann deshalb ideal als attraktives Freizeitprojekt angeboten werden und muss die Spezifika der Lernsituation aufnehmen, dabei die Attraktivität der Medien nutzen und in einen konstruktiven und motivierenden Prozess umsetzen sowie zu einer reflektierten und qualifizierten Mediennutzung beitragen.

2.1 Thema Trägermedium

Verbreitung
Der Offene Kanal wird als Fernsehen im Kabel und im Radio terrestrisch verbreitet. Wegen der vergleichsweise geringen Siedlungsdichte ist die Verkabelung im ländlichen Raum unwirtschaftlicher und damit weniger weit verbreitet als in der Stadt.

Radio

  • Der ländliche Raum ist als Radio einfacher zu erschließen, die Aktivitäten des OKSH setzen deshalb einen Schwerpunkt bei der Radioarbeit.
  • Audiogeräte und -leitungen kosten nur einen Bruchteil von Videoequipment, mit Audio kann somit eine höhere Mediendichte als mit Video erreicht werden.

2.2 Thema Raum

Mobilität
Eine große Rolle für das Freizeit- und Medienverhalten von Menschen im ländlichen Raum spielt die individuelle Mobilität. Stationen des Erwachsenwerdens auf dem Lande lassen sich in die Formel kleiden: „Mit 14 ein Mofa, mit 16 ein Moped, mit 18 ein Auto oder Motorrad“. Individuelle Zeitbudgets weisen hohe Fahranteile auf, zur Schule, zur Arbeit, in der Freizeit.

Medienarbeit im ländlichen Raum muss sich deshalb einerseits auf begrenzte zeitliche Budgets einrichten, in dessen Rahmen die Nutzer Angebote wahrnehmen können. In die Projektarbeit müssen zeitliche Puffer eingebaut werden. Andererseits müssen die Angebote der aktiven Medienarbeit durch räumliche Nähe das Zeitbudget der Menschen weniger für Fahrten als für Medienarbeit selbst in Anspruch nehmen.

Angebote vor Ort
Der OKSH verfügt nicht über ausreichende Mittel, um im gesamten ländlichen Raum und dauerhaft Angebote zur Vermittlung von Medienkompetenz zu machen. Deshalb sind die Angebote des OKSH differenziert und schwerpunktartig, aber immer auf die Überwindung von Entfernungen angelegt. Dauerhafte Projekte bietet der OKSH überwiegend in seinem Sendegebiet an, initiierende Projekt auch außerhalb seines Sendegebietes.

  • Der OKSH macht dauerhafte Angebote vor Ort, vor allem Außenstudios mit vom OK angeregten und begleiteten Bürgerredaktionen.
  • Der OKSH offeriert initiierende Projekte vor Ort (Ferienpass-Radio, Floh im Ohr, Schulprojekte, SchülerMedienLotse).
  • Angebote der aktiven Medienarbeit werden auf den Rhythmus der „Landbewohner“ abgestimmt (Angebote im Winter und am späten Nachmittag).
  • Durch den technischen Fortschritt kann die Nachbearbeitung von Audio- und Videoaufnahmen auf dem Heim-PC stattfinden. Der OKSH bietet Kurse zur Anwendung geeigneter Software an.

2.3 Thema Organisationsstrukturen

Konzentration bringt Konturschärfe
Freizeitangebote im ländlichen Raum sind überschaubar. Das liegt an der oft fehlenden „kritischen Masse“ für bestimmte Angebote – für ein Fußballteam braucht ein Sportverein mindestens elf Gleichaltrige. Die Angebote aber, die es gibt, sind klar erkennbar und gut besucht. Dabei kann die Angebotsstruktur vor Ort stark schwanken – allein Landjugend, Kirche, Sport und Feuerwehr sind eine Konstante.

Kooperation und Integration

  • OKSH-Seminare werden in die Programme der örtlichen Volkshochschulen integriert.
  • Eine besondere Rolle spielt dabei die Kooperation mit örtlichen Medienwerkstätten bzw. Einrichtungen mit „Medienabteilungen“. Aktivitäten des OKSH außerhalb seiner Senderstandorte sind sämtlich Kooperationsprojekte.
  • Landjugend, Kirche, Sport und Feuerwehr sowie die politische Gemeinde sind die wichtigsten Ansprechpartner für OKSH-Aktivitäten.
  • Besondere Aufmerksamkeit verdienen und erhalten „Markttreffs“, Infrastruktur­einrichtungen, die das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume landesweit initiiert und fördert.

2.4 Thema Kontinuität

Urteile und Vorurteile
Das Vorurteil, der ländliche Raum sei ein Hort des Konservativen, ist ebenso beständig wie falsch. Zutreffender ist sicherlich, dass Wandel im ländlichen Raum anderen Gesetzen unterliegt als in einem Ballungsraum – nicht jeder Hype wird mitgemacht. Globalisierung bedeutet aber auch, dass Medien die Botschaften weltweiter Trends in alle Winkel des Landes tragen. Wie aber mit dem Neuesten umgegangen wird, ist auf dem Lande anders als in der Stadt. Damit einher geht die fehlende Notwendigkeit, Selbst­bewusstsein und -achtung durch die Übernahme vermeintlicher Trends zu erlangen – Beständiges besteht nicht trotz sondern gleichzeitig mit iPod, Eminem und Nike.

Zielgruppenansprache
Beständiges ist bekannt und damit klar zu erkennen. Dies vereinfacht die Arbeit des OKSH – Zielgruppen sind beschreibbar, ansprechbar und motivierbar.

  • Vorhandene Träger der Freizeitangebote verdienen besondere Aufmerksamkeit.
  • Meinungsführer, auch informelle, sind für Medienarbeit gut anzusprechen.
  • Fast alle – bereits vorhandenen – Multiplikatoren verspüren ein Kommunikations­bedürfnis an die Allgemeinheit.

2.5 Thema Sozialstruktur

Sozialkontrolle und Wirklichkeit
„Während große Städte das Eintauchen in den Dschungel des öffentlichen Lebens und in die Vielfalt des Fremden ebenso gestatten, wie sie den Rückzug in das Private und Anonyme ermöglichen, gibt es eine Trennung von öffentlicher und privater Sphäre in den ländlichen Regionen nicht mit derselben deutlichen Ausprägung. Im Dorf mit seiner überschaubaren Sozialstruktur, gab es immer schon die Überlagerung des Privaten durch das öffentliche und damit eine relativ starke soziale Kontrolle.“ beschreibt BAACKE die Situation im ländlichen Raum. Agrarisch geprägte Jugendliche leben sogar im „Spannungsfeld zweier Welten: einerseits in der modernen, über Bildung, Ausbildung, Medien und Konsum ver­mittelten urbanen Welt und andererseits in der stark traditionell geprägten ländlichen All­tags­welt mit den ihr eigenen Kommunikationsstrukturen und kulturellen Orientierungs­mustern“.

Niedrigschwellige Angebote

  • Der OKSH macht Angebote für beide Welten, für die dörfliche Erlebniswelt und für die Medienwelt und kombiniert diese.
  • Der OKSH erwartet keine Teilnahmegebühren oder Teilnehmeranmeldungen.
  • die Angebote des OKSH führen bei jedem Treffen zu einem Erfolgserlebnis – keiner muss „durchhalten“, um Ergebnisse zu sehen oder zu hören.

2.6 Thema Ereignisdichte

Ruhiges Leben
„Hier ist ja nichts los“ – das stimmt nicht. Im ländlichen Raum sind Freizeitangebote anders als in der Stadt, erfordern aber eine klare Entscheidung. Partyhopping via SMS funktioniert nicht. Das Leben selbst ist ruhig, aber vorhanden.

Umwelt erobern

  • Das soziale Umfeld stellt Drehorte, Themen und Interviewpartner vor der Tür, erreichbar und im Überfluss zur Verfügung.
  • Aktive Medienarbeit kombiniert „nahe“ Themen und „ferne“ Medien miteinander.
  • Mediennutzer begeben sich mit Aufnahmegeräten in Lebensbereiche, die ihnen sonst verborgen bleiben, und artikulieren eigene Interessen und Bedürfnisse.
  • Aktive Medienarbeit fördert Prozesse der Wiederaneignung von Heimat sowie ein lokales und regionales Selbstbewusstsein.
  • Eigenproduktionen erlauben den Blick auf Selbstverständliches und bieten die Möglichkeit, eigene Erfahrungen zu verarbeiten und darzustellen – der Blick durch die Kamera oder die Isolation eines Geräusches mit dem Mikrofon wird zum Erlebnis.
  • Die Aneignung von Heimat durch Medienarbeit belebt die lokale Kommunikation in der Familie, unter Nachbarn und im Dorf.

2.7 Thema Bildungsinfrastruktur

Kenntnisse der Multiplikatoren
Angebote der Medienbildung fehlen – dies liegt auch an fehlenden Kennt­nissen und Fähig­keiten vorhandener Multiplikatoren und an einem Mangel an Multiplikatoren insgesamt.

Kurse durch OKSH
In Abhebung von Schule und Betrieb, von Lebensbereichen mit eindeutigen Hierarchie­strukturen, ist die Arbeit in Medienprojekten durch die selbst organisierte, -­verantwortete und -gestaltete Tätigkeit der Teilnehmenden gekennzeichnet.

  • Der OKSH bietet – für Erwachsene mit Führerschein im OK, für Jugendliche ohne Führerschein vor Ort – Kurse für potentielle Multiplikatoren der Medienbildung an.
  • Ein Schwerpunkt wird auf die Erzieherfortbildung gelegt.
  • Der OKSH gestaltet Medienmodule innerhalb der Ausbildungen anderer (z.B. Jugendgruppenleiter, Erzieher, Sozialpädagogen, Lehrer, Vikare, Seniorentrainer).

2.8 Thema Lernsituation

Pflicht und Kür
Schule bietet auch im ländlichen Raum durch seine zuverlässige Angebotsform die Chance zur kontinuierlichen Arbeit. Die schulseitig vorhandenen Kenntnisse und Infrastrukturen sind aber höchst unterschiedlich, und zwar von Ort zu Ort und von Schulart zu Schulart. Trotz der löblichen allgemeinen Anforderungen der Lehrpläne an die Vermittlung von Medienkompetenz ist die Umsetzung ungleichmäßig. Schülern werden auf diese Weise ungleiche Startvoraussetzungen in die Medienwelt mit auf den Weg gegeben.

Medienangebote der öffentlichen Jugendarbeit im Dorf sind selten, örtliche Jugendarbeiter sind überlastet und bestreiten das gesamte Spektrum pädagogischer Angebote in einem einzigen Jugendtreff oder -raum. Aktive Medienarbeit hat in diesem Zusammen­hang meist keinen Platz im Angebotskanon. Hinzu kommt eine unzureichende medienpädagogische Vorbildung dieser Jugendarbeiter.

Ganztagsmedienarbeit
Die wichtigsten Maßnahmen liegen nicht in der Hand des OKSH. Die Verzahnung zwischen Schule und Freizeit erschließt im ländlichen Raum Jugendlichen neue Erfahrungsformen. Auch die Erarbeitung von Konzepten für die Umsetzung der Lehrplananforderungen steht erst am Anfang.

  • Der OKSH mischt sich in die Lehrplanerstellung und -umsetzung ein.
  • Aufsuchende Medienarbeit kann Potentiale vor Ort katalysieren: Impulsprojekte schaffen erhöhte Aufmerksamkeit im Dorf, langfristige Techniküberlassung (Außenstudios, Ausleih-Schnittplätze etc.) schafft Nachhaltigkeit.
  • Mit Tagungen und einzelnen Veranstaltungen auf Landesebene und in der Region schafft der OKSH Aufmerksamkeit für die Verbesserungschancen der Lernsituation.

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3 Schlussfolgerungen

  • Die Potentiale des ländlichen Raumes (z.B. Tourismus, alternative Energien) motivieren, dort die Medienbildungsarbeit auszubauen.
  • Aufsuchende Medienarbeit ist auf dem Lande der geeignetste Ansatz für aktive Medienkompetenzvermittlung.
  • Projektarbeit in kurzen, überschaubaren und in regelmäßigen Abständen wieder­holten Bausteinen ist für Medienarbeit auf dem Lande ein vorzüglicher Impuls.
  • Für Medienarbeit im ländlichen Raum sind dezentrale Produktions- und Sendestudios notwendig, die einen raumnahen Zugriff auf Medien ermöglichen.
  • Tätige Multiplikatoren werden verstärkt medienpädagogisch ausgebildet, um nicht länger auf Angebote von außen angewiesen zu sein.
  • Die besonderen Chancen von Multimedia werden im Auge behalten und ständig für die Nutzung der aktiven Medienarbeit überprüft.
  • Auch Multimedia muss dezentral und ohne ständige Betreuung nutzbar sein. Schulen, Bürgernetze und Kulturserver sind gute Schritte auf diesem Weg. Ob ein eigenes Onlineangebot sinnvoll und realisierbar ist, wird geprüft.

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