HusFunk – Menschen mit Behinderungen machen Radio selbst

 Konzept

Gliederung

1
Vorbemerkung
2
Ausbildung
3
Umsetzung
3.1 Phase 1: Medienproduktion als Beschäftigung im Ausbildungspraktikum
3.2 Phase 2: Fortführung: Medienproduktion als Beschäftigung
4
Weiteres Vorgehen und Zeitplan

Medienproduktion als reguläre „Beschäftigung“ mit Menschen mit Behinderungen in den „Husumer Werkstätten“

1 Vorbemerkung

Bürgermedien bieten für Menschen mit Behinderungen viele, bisher oft noch nicht genutzte Möglichkeiten der Partizipation. Dabei geht es nicht primär um die Dar­stellung der Alltagswelt von Menschen mit Behinderungen, sondern um aktive und selbst­bestimmte Teilhabe an der Medienwelt. In der Praxis heißt dies, dass Medien­produzentinnen und -produzenten mit Handicap ihre Individualität und Persön­lichkeit jenen, die ihre Situation nicht kennen, präsentieren. Sie widmen sich dabei vor allem den Themen, die aus ihrer spezifischen Lebenswelt stammen, nicht aber unbedingt direkt im Zusammenhang mit ihrer Behinderung stehen.

Die Einrichtungen des Offenen Kanals in Schleswig-Holstein sind für jeden Bürger offen – auch für Menschen mit Behinderungen. Der OKSH gibt deshalb diesen Menschen eine Plattform für eine selbstbestimmte Medienproduktion. Das bedeutet: Schwerpunkt der Arbeit im Offenen Kanal bei diesem Projekt ist die inklusive Medienpädagogik statt des Mottos „Betroffene berichten über Betroffene“.Bundesweit konnten einige Projekte im Bereich der AV-Medien ermittelt werden, bei denen Menschen mit Behinderungen selbst elektronische Medien produzierten.

  • Parabol Medienzentrum, Nürnberg: Unter dem Titel „ausdrucksstark“ wurden von Juni 2004 bis Januar 2006 an 12 Standorten in Bayern Modelle aktiver Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlicher Behinderung für die pädagogische Praxis entwickelt, erprobt, evaluiert und publiziert.
  • Radio Tonkuhle, Hildesheim: Bei dem Pilotprojekt „Behinderte machen Radio“ nutzten von 2005-2007 Bewohnerinnen und Bewohner der „Diakonischen Werke Himmelthür“ eine Radio-AG in ihrer Freizeit.

  • ALEX TV, Berlin: Gehörlose gestalten und produzieren die Sendung Fingerzeig, eine TV-Sendung mit Gebärdenübersetzung.
  • Bodelschwinghsche Anstalten Bethel, Bielefeld: Bei Antenne Bethel, einem integrativen Einrichtungsradio in den Bodelschwinghschen Anstalten, produzieren Moderatoren mit und ohne Behinderungen und Techniker gemeinsam und ehrenamtlich Radiosendungen.
  • Hannoversche Werkstätten, Hannover: Bei dem Angebot „handcap on air“ recherchieren und produzieren seit 2003 Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam Sendungen, die seit 2009 über das Bürgerradio „Leinehertz 106einhalb“ verbreitet werden.
  • Katholische Jugendfürsorge, Regensburg: Immer am letzten Sonntag im Monat hört man bei den vier Regionalsendern Radio Charivari Regensburg, Radio Ramasuri Weiden, Radio AWN Straubing und Radio Trausnitz Landshut einen Beitrag von „Radio sag was!“. In diesem inklusiven Radioprojekt der Katholischen Jugendfürsorge berichten junge Menschen mit Behinderung von ihrem alltäglichen Leben.

Allen diesen Projekten ist gemein, dass sie von Menschen mit Behinderungen in ihrer Freizeit oder arbeitsbegleitend genutzt werden.

Das einzige Projekt in Deutschland, in dem Menschen mit Behinderungen Medienarbeit als „Beschäftigung“ nachgehen, gibt es in Hamburg bei „Barner 16“, einer Einrichtung der Stiftung Alsterdorf. Dort gibt es seit kurzem „17 video — Labor für Video-Pro­duktion“. Dort produzieren – nach eigener Aussage – Künstler mit und ohne Handicaps gemeinsam. In welchen zahlenmäßigen Verhältnis diese Personen­gruppen zueinander stehen und wie die konkreten Aufgaben verteilt sind, konnte nicht recherchiert werden.

Der OKSH selbst ermöglicht seit Jahren Menschen mit Behinderungen einen Zugang zu Radio und Fernsehen und hat dazu etliche Projekte selbst aufgelegt, angestoßen oder gefördert, die überwiegend den Freizeitbereich von Menschen mit Behinderungen betreffen, oder aber arbeitsbegleitend wirken.

  • Seit dem Jahr 2001 sind Radiomischpulte in den OKs in Kiel und Heide mit Braille-Schrift und einer Vorlese-Software versehen, so dass sehbehinderte Menschen selbst Radio machen können. Verschiedene Seminare zusammen mit dem Landesförderzentrum Sehen in Schleswig haben die Tauglichkeit dieser Maßnahme gezeigt.

  • In Kooperation mit dem Landesförderzentrum Hören, ebenfalls in Schleswig, gab es Unterrichtsmodule zur Videoproduktion im OK Kiel.

  • Seit 2007 ist im OK Lübeck die Gruppe „mixed pickles“ auf Sendung. Es handelt sich dabei um eine Radiogruppe des gleichnamigen Lübecker Vereins, in der Frauen mit und ohne Behinderungen und Mädchen gemeinsam aktiv sind. Seit 2010 gibt es ein Kooperation zwischen „mixed pickles“ und mit dem Kinder- und Jugendkulturhaus Röhre, die nun regelmäßig gemeinsam im OK Lübeck senden.

  • Seit Oktober 2012 macht der OK Lübeck in den Räumen der Vorwerker Diakonie eine „Radio-Disko“ für die dort lebenden oder dort arbeitenden Menschen mit Behinderungen, in denen diese ihre Lieblingsmusik Anderen vorstellen.

  • In dem Gebäude, in dem sich auch der OK Flensburg befindet, hat der Verein „Ohrring“ seinen Sitz, der sehbehinderte Menschen mit vorgelesenen Nachrichten auf Audiomedien versorgt. Der OKF assistiert bei der Produktion.

  • Seit der Eröffnung des Radio-Außenstudios auf Nordstrand im Februar 2012 findet dort und in der WfbM Husum arbeitsbegleitende Radioarbeit statt; in dieser Gruppe sind bis zu 10 Personen 2-3 Stunden pro Woche aktiv.

Mit dem hier beschriebenen Projekt „Menschen mit Behinderungen machen Radio selbst“ wird ein Weg in der Medienarbeit mit Menschen mit Behinderungen gegangen, der innovativ ist und über den bisher – mit der Ausnahme der o.g. Gruppe „17 video“ der Stiftung Alsterdorf – keine Erfahrungen vorliegen. Menschen mit Behinderungen soll erstmals die Möglichkeit gegeben werden, Radioproduktion als eine einkommenbringende, berufsähnliche Tätigkeit zu erleben („Beschäftigung“). Zwar handelt es sich um ein Einkommen, dass z.B. mit dem TV-L in keiner Weise vergleichbar ist, aber bei den in diesem Bereich üblichen 210 Euro/ Monat handelt es sich um die gleiche Entlohnung, die die „Kollegen“ im Gartenbau oder der Holzwerkstatt erhalten. Die Beschäftigung mit Radio erfährt auf diese Weise auch innerhalb des Werkstattbetriebs Anerkennung und Gleichberechtigung.

Die Unterteilung des Projekts eine Ausbildungs- und in eine Beschäftigungsphase soll klären helfen, ob des hier vorgestellte Modell grundsätzlich Eingang in die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen finden kann und diesen dabei gleichzeitig sinnvolle Ausbildung, Be­schäftigung, gleichberechtigte Teilhabe und Spaß im Arbeitsalltag vermitteln kann.

2 Ausbildung

Es ist unstrittig, dass bei der Durchführung des Projekts keine professionellen Radiomoderatoren ausgebildet werden. Bei diesem Projekt werden durch die Vermittlung von Medienkompetenz vielmehr via „Beschäftigung“ allgemeine Lebenskompetenzen vermittelt, die für Menschen mit Behinderungen eine große Bedeutung haben. Die Projektteilnehmenden erfahren eine berufliche Schulung, die allerdings nicht profitabel einsetzbar ist.

Dabei ist für die Medienproduktion mit Menschen mit Behinderungen und durch sie die Radioarbeit besonders geeignet.

  • Die Vorbereitung einer Sendung erfordert die reflektierte Sicht auf die eigene Welt und die Frage, was davon andere interessieren könnte. Die Wahl eines Themas bedeutet gleichzeitig die Beschäftigung mit diesem. Letztlich wird durch die Beitragsproduktion die Sicht auf das Lebensumfeld erweitert.

  • Die Durchführung einer Sendung fordert die Sprechfähigkeit heraus. Undeutlich reden, unvollständige Sätze – all dies findet sofort die Kritik der Kollegen.

  • Jede Sendung ist ein eigenes Projekt. Wöchentlich muss bis zu einem festgelegten Zeitpunkt ein Produkt erstellt, eine Sendung vorbereitet sein.
  • Und mit jeder durchgeführten Sendung gibt es ein nachhaltiges Erfolgserlebnis – „Ich war im Radio“.

3 Umsetzung

Konkret will der OKSH in Husum und in enger Kooperation mit den Husumer Werkstätten sechs Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen organisieren, die regelmäßig Radiosendungen gestalten. Diese Beiträge werden in einem Außenstudio des OKSH produziert, die dieser neu in den Husumer Werkstätten einrichtet. Dort können Beiträge und Sendungen vorbereitet und live über die Frequenzen des OK Westküste verbreitet werden. Träger der Maßnahme ist der OKSH.

3.1 Phase 1: Medienproduktion als Beschäftigung im Ausbildungspraktikum

In einem ersten Projektschritt sollen bis zu sechs Arbeitsplätze als Praktikumsplätze eingerichtet werden. Diesen sechs Personen wird von einem Sozialpädagogen assistiert, um die ihnen übertragenen Aufgaben wahrnehmen zu können. Organisiert wird die Beschäftigung als Praktikum in einer externen Firma (in diesem Fall dem OKSH); da der OKSH in Husum über keine eigenen Räume verfügt, stellen die Husumer Werkstätten diese zur Verfügung.

Angestrebt bei Projektbeginn wird eine halb- bis einstündige Sendung pro Woche, in dem die Beschäftigten Beiträge, Moderation und Musik über das Radio ausstrahlen.

Der typische Ablauf der Arbeitswoche ist wie folgt vorgesehen:

Montag Themenwahl; vorbereitende Arbeiten
Dienstag und Mittwoch Aufnahmen machen und bearbeiten
Donnerstag Vormittag Endbearbeitung Beiträge; Moderation und Musik auswählen
Donnerstag 14.00 Uhr Livesendung
Freitag Vormittag Sendungen gemeinsam anhören; Nachbesprechung

1-2 Monate nach Projektbeginn soll geprüft werden, ob statt einer auch zwei oder sogar drei Sendungen pro Woche möglich sind. Es ist zur Zeit nicht vorhersehbar, ob diese Ausweitung möglich sein wird.

Die umfangreiche Tätigkeit als Betriebspraktikum soll nach 2,5 und 5 Monaten jeweils ausgewertet werden, um die Erfahrungen zu erfassen und eine Empfehlung für die Fortführung des Projektes entwickeln zu können. Die konkrete Art der Fortführung hängt von den Erfahrungen in dieser ersten Phase ab. Insbesondere kommt es darauf an zu erkennen, welchen

  • Zeitaufwand Menschen mit Behinderungen benötigen, um zu einer Radioproduktion zu gelangen,
  • zeitlichen Abstand die einzelnen Befassungen mit Radio benötigen bzw. nicht überschreiten dürfen, damit die Radioproduktion ohne unnötige Wiederholung von Arbeitsschritten stattfinden kann,
  • welcher Arbeitsumfang sich mit den Beschäftigten in der Praxis dauerhaft und sinnvoll durchführen lässt,
  • welche Gerätschaften für die Menschen mit Behinderungen gut bedienbar sind,
  • welche Radioformen vermittelbar und dauerhaft reproduzierbar sind.

3.2 Phase 2: Fortführung: Medienproduktion als Beschäftigung

Die Entwicklung einer Fortführungsstruktur ist wichtig,

  • um allen Beteiligten, voran den Menschen mit Behinderungen, deutlich zu machen, dass es sich bei dem Projekt um eine ernstzunehmende Befassung mit Radio handelt, bei der sich Engagement lohnt,
  • um zu vermitteln, dass es sich nicht um ein „Spiel“ handelt,
  • um Erkenntnisse zu erlangen, ob und in welcher Form dieses Projekt auf längere Zeit – ohne „Sonderstatus“ – betrieben werden kann,
  • damit die Auswertung von Erfahrungen nicht theoretisch bleibt.

Aus praktischen Gründen wird hier von einer Fortführung von 2,5 Jahren ausgegangen, so dass die Projektdauer insgesamt 3 Jahre beträgt.

Da die Ergebnisse der Phase 1 nicht präzise vorhersehbar sind, müssen dem Konzept der Phase 2 verschiedene Vermutungen zugrunde gelegt werden, die gegebenenfalls – nach der Auswertung der Phase 1 – revidiert werden müssen. Diese Vermutungen sind:

  • Grundsätzlich stößt das Angebot bei behinderten Menschen auf ein positives Echo. Bisherige Erfahrungen mit Radioangeboten im Freizeitbereich der Zielgruppe sind positiv: die Anregung, Radioproduktion als „Beschäftigung“ anzubieten, kam sogar aus einer Freizeit-Radiogruppe.
  • Bei der hier angesprochenen Klientel könnte es Probleme geben, nach einer Eingewöhnungszeit bei einer eher geistigen Tätigkeit ganztags zu arbeiten. Es wird nämlich angenommen, dass langfristig die Medienproduktion ein Ausmaß an Konzentration erfordert, dass zu einer erkennbaren Erschöpfung führt und sich deshalb diese notwendige Konzentration sich nicht über einen ganzen Tag halten lässt. Die „Beschäftigung“ im Radioprojekt wird deshalb in Phase 2 als Halbtagstätigkeit angelegt.
  • Hinzu kommt, dass – nach Auskunft von Fachpersonen in den „Husumer Werkstätten“ – für die Zielgruppe für eine Alltagssituation eine Mischung aus eher geistiger und eher körperlicher Tätigkeit als hilfreich angesehen wird. Auch aus diesen Gründen ist für die Phase 2 eine Teilung des Arbeitstags vorgesehen, jeweils halbtags in der Radiogruppe und halbtags in einer anderen Gruppe.

Nach allem soll das Projekt deshalb nach der Aus­bildungs-/ Praktikumsphase als reguläre „Beschäftigung“ mit halbierter Stundenzahl fortgeführt werden. Die Rahmenbedingungen sind wie folgt

  • Tätigkeit der behinderten Menschen mit 3 Stunden pro Tag (plus Pausen, also Halbtags)
  • Die andere Hälfte des Tages Beschäftigung dieser Personen in einem anderen Projekt der WfbM; die Organisation und Finanzierung dieses Teils der Beschäftigung ist nicht Teil dieses Konzepts.
  • Dabei ist es unerheblich, ob die Radioproduktion nachmittags oder vormittags stattfindet.
  • Betreuung durch eine Assistentin oder einen Assistenten mit 0,5 Stelle/ TV-L 9.

4 Weiteres Vorgehen und Zeitplan

Folgender Zeitplan ist vorgesehen:

Phase I:

1. März 2013-31. Aug. 2013

Auswahl der Teilnehmenden: Feb. 2013

Technischer Aufbau Feb. 2013

Projektstart: 1. März 2013

Sendestart: 1. April 2013

Zwischenauswertung: 15. Mai 2013

Auswertung Phase I: 1. Aug. 2013

Fortführungsplanung: 15. August 2013

Phase II:

1. Sept. 2013-28. Feb. 2016