10 Jahre Offener Kanal (2002)

Inhaltsverzeichnis

Grußworte

Dr. Ekkehard Wienholtz
Vorsitzender des Medienrates der ULRGernot Schumann
Direktor der ULR

Heide Simonis
Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-HolsteinCathy Kietzer
Stadtpräsidentin der Landeshauptstadt Kiel

Norbert Gansel
Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Kiel

Beiträge

Offener Kanal – von der technischen Plattform zum regionalen Bürgersender.
Peter Willers
Beauftragter für den Offenen Kanal der ULR

Jugendliche im Offenen Kanal
Brunhild Hansen-Schmidt
Leiterin des Offenen Kanals Kiel

Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld zwischen Schriftkultur und Multimedia.
Bjarne Truelsen
Leiter des Offenen Kanals Flensburg
Warum sich mit anderen herumschlagen, wenn Allein-Senden doch so einfach ist? Über Redaktionsarbeit im Offenen Kanal.
Michael Luppatsch
Leiter des Offenen Kanals Lübeck

Jungen machen Radio –Ein medienpädagogisches Projekt zur Gewaltprävention
Andreas Guballa
Leiter des Offenen Kanals Westküste

Das gemixte 7. Jahr: OK-MedienzirkusMedienarbeit im ländlichen Raum mit MultiMedia-Schiene
Henning Fietze
Medienpädagoge

Grußworte

Grußwort
Zehn Jahre Offener Kanal in Schleswig-Holstein sind zehn Jahre erfolgreiche Bürgermedienarbeit durch die ULR:

  • Von 1991 bis 1997 hat die ULR inzwischen vier Offene Kanäle aufgebaut. Dazu sind noch einige Außenstudios gekommen.
  • Die Nachfrage in der Landeshauptstadt war so groß, dass die ULR den OK Kiel 1999 räumlich und in der technischen Ausstattung erweitert hat.
  • Der OK-Medienzirkus mit seinen Aktionen „Fischauge“ und „Floh im Ohr“ ist inzwischen im siebten Jahr aktiv und fährt als rollendes Mediencamp über das Land, damit der ländliche Raum bei der Medienkompetenzvermittlung nicht ins Abseits gerät.
  • Multimedia hat auch im Offenen Kanal Einzug gehalten, die Konvergenz der Medien lässt sich dort täglich erleben.

Der Offene Kanal in Schleswig-Holstein ist ein Erfolgsmodell, weil er verschiedene Funktionen auf das Beste miteinander verbindet.

  • Da ist zum einen die Vermittlung von Medienkompetenz, seit Gründung des ersten Offenen Kanals 1991 gelebter OK-Alltag, nicht nur durch Aus- und Fortbildungsangebote für OK-Nutzerinnen und -Nutzer oder Lehrkräfte, in Kursen oder am technischen Gerät.
  • Da ist ferner die Vermittlung politischer Bildung. Wer sich aktiv eines Mediums bemächtigt, partizipiert im besten Sinne an der Mediengesellschaft.
  • Darüber hinaus ist Offener Kanal auch eine spezielle Form der Nahraumkommunikation, nicht erst, seitdem dort regelmäßig die Sitzungen des Schleswig-Holsteinischen Landtages, der Kieler Ratsversammlung oder der Lübecker Bürgerschaft zu hören und zu sehen sind.

Medien gestalten und produzieren in eigener Verantwortung – das erfordert Engagement und macht offensichtlich auch den Bürgerinnen und Bürgern von unter 18 bis über 80 Jahren, die dort tätig sind, Spaß. Beides ist zwar kein gesetzliches Ziel, ist aber auf jeden Fall ein Ergebnis der gesamten OK-Arbeit. Einsatz und Freude erleben wir aber auch persönlich immer wieder, wenn wir einen unserer Offenen Kanäle besuchen.

Zum zehnjährigen Jubiläum hat der Offene Kanal Kiel ein angemessenes Geburtstagsgeschenk bekommen: Das Radio 101.2 Kiel FM. Wir wissen, dass dieses Projekt ebenso eine Erfolgsgeschichte vor sich hat wie die vorhandenen Einrichtungen, und freuen uns auf viele weitere Jahre der Erfolgsstory „Offener Kanal in Schleswig-Holstein“.


Dr. Ekkehard Wienholtz
Vorsitzender des Medienrates der ULR
Gernot Schumann
Direktor der ULR

Die Bürgergesellschaft in den Medien

Dem Offenen Kanal in Schleswig-Holstein gratuliere ich herzlich. Er hat zehn Jahre lang erfolgreiche Arbeit geleistet und sich zu diesem Geburtstag zu Recht selbst ein schönes Geschenk gemacht. Im Offenen Kanal Kiel wird nun neben Fernsehen auch Radio gemacht. Die Kieler werden das neue OK-Radio leicht finden; es läuft auf 101,2 im UKW-Bereich – eine Zahl, die gut zu merken ist.

Der Grundstein des Offenen Kanals ist im Dezember 1989 gelegt worden. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hatte das Landesrundfunkgesetz neu gefasst. Die Unabhängige Landesanstalt für das Rundfunkwesen (ULR) wurde beauftragt, im Hörfunk und Fernsehen jeweils mindestens einen Offenen Kanal einzurichten. Die Offenen Kanäle sollten jeder Person und Gruppe ermöglichen, sich stärker an Diskussionen über Kultur, Politik und gesellschaftlichem Leben auf lokaler und regionaler Ebene zu beteiligen. Das war das Ziel des neuen Gesetzes.

Die ULR hat den Auftrag zügig und engagiert angepackt. Heute bestehen Offene Kanäle für Kabel-Fernsehen in den Regionen Kiel und Flensburg sowie für Hörfunk in den Regionen Lübeck, an der Westküste und neuerdings in Kiel. Im Landesrundfunkgesetz ist auch die Finanzierung geregelt. Sie kommt aus einem Anteil der Rundfunkgebühr, der für besondere Aufgaben des Rundfunks verfügbar ist und von der ULR für die Offenen Kanäle eingesetzt werden kann. Der kleine Betrag, den jeder monatlich mit seiner Rundfunkgebühr für den Offenen Kanal aufbringt, ist gut angelegtes Geld.

Inzwischen reden die Bürgerinnen und Bürger kräftig mit. Der Offene Kanal ist zu einem Markenzeichen der Bürgergesellschaft geworden. Es geht darum, alle Menschen in Schleswig-Holstein am politischen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu lassen. Ich bin sehr damit einverstanden, wenn so die Bürgerinnen und Bürger über die Belange ihres Landes mitbestimmen, eigenverantwortlich ihre Anliegen vorbringen und dabei kein Blatt vor den Mund nehmen.

Das Bürgermedium Offener Kanal ist damit viel mehr als eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Hier wird Demokratie gelebt. Die Mediengesellschaft wird zu einem guten Teil von den Bürgerinnen und Bürger selbst gestaltet. Wer selber mitmacht, lernt auch, mit den Medien besser umzugehen. Das ist bei der Flut der Programme schon fast überlebenswichtig. Wie können wir erreichen, dass unsere Bürgerinnen und Bürger mit den Medien selbstbewusst und selbstbestimmt umgehen? Benutzen die Medien uns oder benutzen wir die Medien?

Medienkompetenz ist also ein großes Thema unserer Zeit. Die Landesregierung ist sehr an einer Stärkung der Medienkompetenz interessiert. Folgerichtig ist deshalb auch die Förderung der Medienkompetenz im neuen Landesrundfunkgesetz als Aufgabe der ULR betont worden. Neben anderen Initiativen und Fördermaßnahmen, etwa der Unterstützung von Projekten der Aus- und Fortbildung oder Fachtagungen, kommen wir vor allem mit dem Ausbau der Offenen Kanäle diesem Ziel näher. Wie nirgendwo sonst können Jung und Alt im Offenen Kanal Medienkompetenz erwerben. In der medialen Informations- und Bürgergesellschaft von heute ist es wichtiger denn je, mit den Medien verantwortlich und kompetent umgehen zu können. Die jüngste Diskussion über „Gewalt“ in den Medien macht diese Aufgabe noch brisanter. Medienkompetenz soll dazu befähigen, Medienangebote auszuwählen und zu nutzen, zu verstehen und zu bewerten. Um die Angebote der Medien richtig beurteilen zu können, muss Medienkompetenz auch durchschauen können, wer welche Angebote macht und warum. Die Bedingungen der Medienproduktion und Medienverbreitung müssen in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang durchschaut werden können.

Als Regierungschefin eines Landes muss ich gemäß dem Auftrag der Länder die Freiheit der Berichterstattung gewährleisten und dass sich alle frei und ungehindert eine Meinung bilden können. Diese Freiheit wird – wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert – durch einen Ordnungsrahmen, gesichert. Das Medium Offener Kanal bildet auch hier einen wichtigen Baustein.

So wird auch der Name „Offener Kanal“ seinem Namen gerecht. Denn er steht für Offenheit gegenüber allen Inhalten, Absichten und Formen seines Programms. Damit ergänzt er ideal die professionellen Programme in Hörfunk und Fernsehen. Durch die vielfältigen Beiträge fördert er den öffentlichen Meinungsbildungsprozess über lokale und regionale Politik, aber auch über Wirtschaft und Kultur.

Der Offene Kanal steht für Meinungsvielfalt – ein wichtiges Regelungsziel der Rundfunkfreiheit. Der Staat hat den Auftrag, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, allen gleiche Chancen einzuräumen, die sich mit ihren Inhalten an die Allgemeinheit richten wollen. Hier spielt auch der Minderheitenschutz eine wesentliche Rolle. Wir sind aufgefordert und auch willens, die Minderheiten bei der Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit zu berücksichtigen.

Der Offene Kanal bietet Minderheiten eine Plattform, die diese noch entschiedener nutzen sollten. Friesische, dänische und niederdeutsche Beiträge im Offenen Kanal können das ergänzen, was die großen öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveranstalter anbieten. Auch Organisationen der Migrantinnen und Migranten sollten den Offenen Kanal noch stärker nutzen, um mit eigenen Beiträgen die Integration zu fördern.

Der Erfolg des Bürgerfunks in Schleswig-Holstein ist dem Engagement des Beauftragten der ULR für den Offenen Kanal und seinen 20 Mitarbeitern zu verdanken. Zusätzlich können jährlich mehr als fünfzig Praktikantinnen und Praktikanten beim Offenen Kanal lernen. Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihren Einsatz in den letzten zehn Jahren.

Allein der Offene Kanal Kiel sendete im vorletzten Jahr 2.114 Stunden, davon 373 Stunden live. 70 Seminare für Nutzerinnen und Nutzer mit mehr als 250 Personen sind betreut worden. Zum Arbeitspensum gehören eine Schulfernsehwoche und das Projekt „Offener Kanal und Schule“, ein Kieler-Woche-Radio, die Mediencamps „Fischauge“ und „Floh im Ohr“, regelmäßige Berichterstattungen aus dem Landtag, der Norddeutsche Bürgerradiopreis „Ätherrauschen“ und die Zusammenarbeit mit anderen Offenen Kanälen in Norddeutschland und darüber hinaus. Eine beachtliche Leistung. Höhepunkte der Arbeit sind regelmäßig die Live-Berichterstattungen bei Kommunal- und Landtagswahlen. Häufig lag der Offene Kanal mit seinen Prognosen besser als die großen Forschungsinstitute.

Die Zahlen belegen: Der Offene Kanal liegt im Trend. Freiwilliges Engagement hat Konjunktur. Die Landesregierung wird den Offenen Kanal deshalb gern weiter unterstützen. Wir werden weiter seine Finanzierung aus dem Rundfunkgebührenanteil sichern und seine frequenzmäßige Ausstattung – wo nötig – verbessern.

Gerade wegen der kulturellen Vielfalt liegt die mediale Zukunft nicht in Europa, sondern in den Regionen. Der Offene Kanal leistet hier einen wichtigen Beitrag.

Für das Geburtstagskind Offener Kanal wünsche ich mir eine stärkere Unterstützung durch die anderen Medien. Vor allem deshalb, weil der Offene Kanal nicht auf die Werbemöglichkeiten der großen Anstalten oder Verlage zurückgreifen kann. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die privaten Rundfunkunternehmen, auch die Zeitungen im Lande könnten den Offenen Kanal fördern, wenn sie über sein Engagement mehr berichten, auf interessante Programmbeiträge im Offenen Kanal deutlicher hinweisen und besondere Beiträge auch einmal in ihren Programmen reflektieren würden.

Für die nächsten zehn Jahre alles Gute!

Heide Simonis
Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein

Grüße der Landeshauptstadt Kiel

Seit nunmehr 10 Jahren ermöglicht es der Offene Kanal den Kielerinnen und Kielern von ihrem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auf einem lokalen Fernseh-Forum Gebrauch zu machen. Als Kommunikations- und Kulturfaktor ist er kaum mehr aus der lokalen Medienlandschaft wegzudenken.

Das Programm des Offenen Kanal Kiels ist eine gelungene Mischung aus Spontaneität und Kontinuität: das Tierschutz- steht neben dem Polizeimagazin und Beiträgen aus Kiel und Umgebung. Wirtschaft, Umwelt, Sendungen für ausländische Mitbürger, Informationen für Kulturinteressierte oder Konzertmitschnitte – das Programm ist vielseitig und informativ. Senioren entdecken die Geschichte ihrer Stadt und publizieren das Gefundene im Offenen Kanal. Jugendliche entdecken das Medium Fernsehen und produzieren Live-Sendungen für ihre Altersgruppe. In Projekten wie „Offener Kanal und Schule“ nutzen Lehrer und Schüler den Offenen Kanal als Unterrichtsinstrument mit medienpädagogischen Lernzielen. Von besonderer Bedeutung für die politische Meinungsbildung in der Stadt ist die regelmäßige Live-Übertragung der Kieler Ratsversammlung. Damit ist der Offene Kanal auch ein Instrument der politischen Bildung. Politische Entscheidungsfindung wird hier transparent gemacht.

Rechtzeitig zum Zieleinlauf des Volvo Ocean Race und zur Kieler Woche geht nun auch das OK-Radio an den Start: ein weiterer Schritt zu noch mehr Teilhabe am kulturellen und politischen Geschehen in der Landeshauptstadt Kiel. Dem neuen Medium wünschen wir allzeit frischen Wind. Dem alten auch weiterhin die gewohnte Vielseitigkeit.


Cathy Kietzer Stadtpräsidentin


Norbert Gansel Oberbürgermeister
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Beiträge

Peter Willers
Offener Kanal – von der technischen Plattform zum regionalen Bürgersender

1. Am Anfang war das Wort!
Als im Herbst 1989 die von Björn Engholm geführte Landesregierung den Entwurf eines neuen Landesrundfunkgesetzes vorlegte, enthielt es als einziges nicht kommerzielles Element den „Offenen Kanal als lokalen Bürgerfunk“. Das war vor 13 Jahren so und ist es heute immer noch, allerdings viel programmatischer, als es auf den ersten Blick aussieht. Das „lokal“ hat sich inzwischen zu „regional“ gemausert – eine Konsequenz der technischen Reichweiten der Offenen Kanäle und der konkreten Lebens-, Arbeits- und Pendelgewohnheiten ihrer Nutzerinnen und Nutzer. Die Entwicklung der Offenen Kanäle zu Bürgersendern ist in den letzten Jahren gelungen und wird noch weiter voran gehen.

Am 16. Dezember 1991 startete der erste Offene Kanal in Schleswig-Holstein, der OK Kiel – Fernsehen. Vieles wurde im Vorfeld heftig diskutiert. Kann man Bürgerinnen und Bürgern die Ehrfurcht einflößende und sonst nur Spezialisten vorbehaltene Aufgabe zutrauen, Hörfunk und Fernsehen zu produzieren? 2002 wissen wir: Ja, man kann, und das sogar sehr gut. Die Bürgerinnen und Bürger bedienen sich virtuos und kompetent der Möglichkeiten des Mediums. 1991 aber standen ganz andere Fragen im Mittelpunkt:

  • Professionelle Journalisten fragten sich, ob man denn überhaupt ohne Abnahme durch den Chefredakteur, Vorgaben einer Redaktionskonferenz und ein von oben erlassenes Sendeschema Beiträge gestalten könnte. Der OK-Alltag zeigt, dass Bürgerinnen und Bürger sich durchaus eigenverantwortlich zu artikulieren wissen.
  • ULR-Gremienmitglieder konnten sich nicht vorstellen, dass Bürgerinnen und Bürger Beiträge ohne Qualitätseinbußen gestalten können. Die technische Performance der einzelnen Sendungen ist durchaus unterschiedlich – es ist eben noch kein Meister vom Himmel gefallen. Aber es wäre falsch, von der einen oder anderen technischen Unzulänglichkeit auf den Inhalt zu schließen. Besonders erfreulich ist, dass es in vielen Beiträgen um Themen und um Fragestellungen geht, die andere Medien nicht aufgreifen.
  • Viele glaubten, die Nutzerinnen und Nutzer würden, sobald man ihnen eine Fernsehkamera überließe und einen Sendekanal öffnete, die Hosen runterlassen, den Nachbarn beschimpfen oder sogar politisch Anstößiges von sich geben. Die Programmaufsichtspraxis zeigt: Kommerzielle Fernsehveranstalter verstoßen im Vierteljahr öfter gegen Rundfunkrecht als alle vier Offenen Kanäle in Schleswig-Holstein in zehn Jahren. Die Nutzerinnen und Nutzer sind offensichtlich wesentlich gesetzestreuer als die Skeptiker angenommen haben.
  • Der Hauptstreitpunkt 1991 aber war die Frage nach festen Sendeplätzen. Bis dato hatten die anderen 15 Offenen Kanäle, die es in Deutschland 1991 gab, Sendeplätze zwingend nach dem Prinzip der Warteschlange vergeben. Chancengleicher Zugang und feste Sendeplätze würden sich nicht vertragen. Allein die Satzung für den OK Hamburg sah vereinzelte feste Sendeplätze vor. In Schleswig-Holstein dagegen ging es um die friedliche Koexistenz zwischen festen und freien Sendeplätzen, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Sehgewohnheiten der Zuschauerinnen und Zuschauer. Schnell stellte sich bei der Disposition von Studionutzungszeiten und Sendeplätzen heraus, das feste Sendeplätze auch aus praktischen Gründen erforderlich sind: Eine Livesendung braucht Studio und Sendeplatz, und zwar zur gleichen Zeit. Und so gruppierten sich um die Livesendeplätze andere (feste) Sendeplätze für vorproduzierte Beiträge und um sie herum freie Sendeplätze. Die Praxis zeigt, dass ein Nebeneinander beider Dispositionsformen völlig problemlos möglich ist, weil es genug Sendezeit gab und gibt, aber keine Konkurrenz oder gar Verdrängung. Und seit der Gellner-Studie¹ steht auch fest, dass feste Sendeplätze nicht zu einer Verkrustung der OK-Strukturen oder zur Dominanz einzelner Nutzer oder Nutzergruppen führen. Heute redet in der OK-Welt niemand mehr über dieses Thema.
  • In Schleswig-Holstein gab es schon vor der ersten Indienststellung eines Offenen Kanals Fortbildungsveranstaltungen, etwa Einführungen in die Benutzung der Kameras oder die Bedienung der Schnittplätze. Und schon hagelte es aus der bundesweiten OK-Welt Proteste. Fortbildung sei doch ein Eingriff in die Gestaltungsfreiheit, jeder Tipp, jeder Hinweis eine Bevormundung. Das Seminarangebot hat sich in Schleswig-Holstein nach und nach entwickelt, nachfragebedingt: von vier Seminaren im letzten Halbjahr vor dem Sendestart des ersten Offenen Kanals bis zu heute etwa 50 Veranstaltungen pro Halbjahr. Der Besuch der Seminare ist freiwillig, die Nachfrage ungebrochen, die Bürgerinnen und Bürger wollen sich selbst medienkompetent machen. Auch dieses Thema ist heute bundesweit nicht mehr in der Diskussion.
  • Ein Offener Kanal im Hörfunk wird in Schleswig-Holstein über Antenne ausgestrahlt – 1992 ein Sündenfall! Der Offene Kanal gehört ins Kabel! Seit dem Start des OK Lübeck im Jahr 1992, dessen Beiträge ausschließlich im Hörfunk, und zwar über Antenne und als ortsübliches Programm auch in Lübeck im Kabel verbreitet werden, steht fest: Auch das damals scheinbar altmodische Medium Hörfunk ist hoch attraktiv, die Bürgerinnen und Bürger sind seit 1992 in Lübeck, ab 1997 in Heide und ab 2002 auch in Kiel an einem Offenen Kanal im Hörfunk genauso interessiert wie an einem Offenen Kanal im Fernsehen.

¹ Gellner, Winand; Christian Köllmer und Mario Römer: Offene Kanäle und gleichberechtigter Zugang, Trier 1996

Gut gelaufen!.
2.1 Auf die Sendungen kommt es an!
Der Offene Kanal, als bürgerbezogene Einrichtung ja automatisch ein Teil der Soziokultur, ist inzwischen – auch in seinem Selbstverständnis – ein fester Bestandteil der deutschen Medienkultur. Richtete sich in der OK-Gründerzeit aber die Sicht der OK-Verantwortlichen allein auf die Nutzerinnen und -Nutzer, so sind heute die OK-Sendungen als zentrales Merkmal der öffentlichen Erscheinung in der OK-Theorie und -Praxis der ebenso wichtig. Die Rezipientinnen und Rezipienten stehen auf Augenhöhe mit den Nutzerinnen und Nutzern.

Offener Kanal außerhalb der OK-Studioräume: Da schlägt das Medium zwei Fliegen mit einer Klappe. Einerseits können die OK-Aktivisten Sendungen vor Ort machen, teilweise mit erheblicher Hilfestellung der OK-Mitarbeiterschaft, andererseits erreicht der Offene Kanal auf diese Weise eine hohe öffentliche Präsenz, die oft wertvoller ist als so mancher Werbezettel.

  • Bei OK vor Ort finden auf der OK-eigenen mobilen Bühne Interviews und Diskussionen sowie sportliche, kulturelle und politische Veranstaltungen statt. Live im Hörfunk oder als Aufzeichnung des mobilen Studios finden diese als Sendebeiträge Eingang in das OK-Programmgeschehen.
  • Eine OK-Spezialität sind die Landtags-, Kommunal- und Bürgermeisterwahlen, bisweilen sogar noch mit einer Hochrechnung verbunden. Hierzu werden bis zu 150 junge und ältere Menschen durch die OK-Mitarbeiterschaft für ein Sendevorhaben koordiniert. Die gemeinsame Sendung mit einer oft sehr schnellen und dennoch exakten Hochrechnung ist Höhepunkt und Abschluss dieser Projektarbeit.
  • Bei Großveranstaltungen wie zur Kieler Woche mutiert der Offene Kanal zum Veranstaltungssender. Hunderte von Bürgerinnen und Bürgern machen gemeinsam Radio und Fernsehen, rund um die Uhr, oft live und immer in Farbe.
  • Nach den guten Erfahrungen des OK Lübeck mit der Übertragung der dortigen Bürgerschaft im Radio werden in Kiel seit einiger Zeit die Ratsversammlung und der Landtag live im TV übertragen. Für Beides konnte inzwischen auch eine bildtechnisch zufrieden stellende Lösung gefunden werden. Mit diesen Übertragungen trägt der Offene Kanal zur Verbesserung der Transparenz der Politik in Stadt und Land sowie zur Vermittlung politischer Inhalte an Bürgerinnen und Bürger bei.
  • Die Dokumentation von Veranstaltungen mit dem großen und dem neuen fernsteuerbaren Mobilstudio macht den Offenen Kanal in seinem Einzugsbereich gleichermaßen präsent und bringt als lokal-regionaler Dokumentations- und Ereigniskanal (kleiner „Phoenix“) auf besondere Weise die Aktivitäten einer Region in das Medium Fernsehen.

2.2 Nimms leicht!
Schon vor dem Sendestart hatte sich der OK Kiel intensiv um die Aus- und Fortbildung seiner Nutzerinnen und Nutzer gekümmert, das Seminarprogramm hat sich inzwischen medial (um Multimedia und Hörfunk), quantitativ (etwa 50 Veranstaltungen pro Halbjahr) und thematisch (z.B. um Darstellungsformen, Experimente und Kulturbetrachtungen) ausgeweitet. Die Vermittlung von Medienkompetenz, erst seit 1995 auf der politischen Agenda, ist im Offenen Kanal ein alter, aber gern getragener Hut.

Durch die Mitarbeit in der Ausbildungsinitiative „Mediengestalter“ spielt der Offene Kanal jetzt auch eine Rolle bei der berufsbezogenen Vermittlung von Medienkompetenz, die über die Talentschmiedefunktion hinaus geht. Kiel FM, das Radio im OK Kiel, soll bei der Aus- und Fortbildung von Radioprofis zum Einsatz kommen und teilweise als Aus- und Fortbildungsradio arbeiten. Dieser Bereich wird in der Zukunft sicher eine größere Bedeutung erlangen.

Auch bei der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften leistet der Offene Kanal inzwischen in Schleswig-Holstein inzwischen einen wichtigen Beitrag. Seine altbekannten und -bewährten Video- und Audioführerscheine werden seit einiger Zeit um die „MultiMediaCard“, seit 2002 um den „Medienführerschein für Erzieherinnen und Erzieher“ ergänzt. Damit bietet der Offene Kanal zwar nicht flächendeckend, aber an vielen Orten des Landes, Fortbildungen für Lehrkräfte und Multiplikatoren in fast allen Medienbereichen. Die Arbeit auf diesem Gebiet muss in Zusammenarbeit mit dem IPTS weiter fortgesetzt werden.

2.3 Offener Kanal total multimedial!
Noch vor zehn Jahren waren Videorekorder selbstverständlich analog, Mischpulte, Mikrofone, Kassettenrekorder und Kameras natürlich auch. Inzwischen ist die Welt digital geworden. Im Offenen Kanal setzt sich die digitale Technik langsamer durch als im professionellen Bereich, nicht zuletzt wegen der Kosten, aber auch wegen der komplexeren Anforderungen an die Bedienung der Geräte. Digitale Videoschnittgeräte sind heute immer noch komplizierter als Bandschnittgeräte, dafür inzwischen allerdings im Preis deutlich günstiger. Beim Radio ist der Audioschnitt am PC schon längst gängige Praxis, Bandmaschinen gehören ins Museum.

Multimedia ist im Offenen Kanal in Schleswig-Holstein selbstverständlich. In allen vier Einrichtungen gibt es „MultiMediaLabs“ mit Internetzugang, die die Menschen intensiv nutzen – auch zur Vorbereitung ihrer Sendebeiträge. Hinzu kommt das mobile „MultiMediaLab“: Multimedia vor Ort im Jugendtreff, in der Bildungsstätte, im Zeltlager.

Die Arbeit mit Multimedia im Offenen Kanal hat aber auch deutlich gemacht, dass es in diesem Bereich große konzeptionelle Defizite gibt, Multimedia stellt methodisch-didaktisch andere Anforderungen als „nur“ Video oder Radio. Das liegt u.a. daran, dass Multimediaprodukte nicht zwangsläufig eine durchgehende Erzählstruktur haben, ihre Elemente sich beliebig kombinieren lassen und sie aus vielen kleinen Teilen bestehen, die jeder Mensch anders rezipiert.

Die Arbeit mit Multimedia ist eine konzeptionelle Herausforderung, die der Offenen Kanal theoretisch und praktisch angeht. Lösungen stellt er anderen Bürgermedieneinrichtungen sowie überhaupt den Akteuren in diesem Bereich zur Verfügung.

Multimedia im Offenen Kanal ist aber auch ein Merkmal für eine ganz andere Tendenz: Während es vor zehn Jahren ausschließlich um Hörfunk oder ausschließlich um Fernsehen ging, geht es jetzt auch um Videotext, um multimediale Online- und Offlineprodukte, um die aktive Nutzung der Texttafeln. Der Offene Kanal entwickelt sich zum Bürger-Funk-Haus mit vielfältigen Möglichkeiten für die Mediennutzung.

2.4 Einer für alle, alle für einen!
Als Medium braucht der Offene Kanal Inhalte. Kooperationen mit Jugendverbänden und Bildungsträgern, Kommunen und Ministerien, Kultureinrichtungen und Schulen, Veranstaltungszentren und Bühnen, Vereinen und Verbänden, mit spontanen Interessengruppen und historisch gewachsenen Organisationen haben sich zu einem natürlichen Bestandteil des OK-Alltags entwickelt.

Noch nicht bis zum Ende entwickelt sind die Kooperationsmöglichkeiten mit den Hochschulen und Fachhochschulen des Landes.

  • Der Offene Kanal kann im Zusammenhang mit den sich ausweitenden Medienstudiengängen in Zukunft eine größere Rolle bei der Vermittlung inhaltlich-praktischer Medienkompetenz spielen.
  • Insbesondere bietet sich die Bildung von dezentralen Redaktionen für ein Campus-Radio im OK Hörfunk an.
  • Der Offene Kanal als mediales Fenster der Studierenden ihrer Stadt sollte intensiver als bisher genutzt werden.

2.5 Landpartie!
Offene Kanäle haben ihren Standort verständlicherweise dort, wo die meisten Nutzerinnen und Nutzer leben und wo die Kabeleinspeisepunkte und Sendemasten sind – in Städten. In einem Flächenland wie Schleswig-Holstein darf trotzdem die Medien­arbeit im ländlichen Raum nicht zu kurz kommen. Der Offene Kanal der ULR hat dafür deutschlandweit beachtete Konzepte entwickelt, auf die wegen des Artikels von Henning Fietze an anderer Stelle in dieser Broschüre hier nicht weiter eingegangen wird.

3 Und los gehts!
3.1 Vom Beitrag zum Programm?
Der Rundfunkversuch in Niedersachsen, bei dem Offene Kanäle und der nichtkommerzielle Lokalfunk (NKL) gleichermaßen ausprobiert wurden, hatte zum Ergebnis, dass eine Mischform, der „Bürgerrundfunk“, in der beide Konzepte ihren Platz haben, die sinnvollste Form der Medienpartizipation von Bürgerinnen und Bürgern ist.

  • Offenem Kanal und NKL ist gemeinsam, dass sie beide

– nichtkommerziell und
– lokal sind,
– in Vereins- oder Anstaltsträgerschaft organisiert werden,
– „etwas andere“ Sendungen verbreiten und
– Medienkompetenz vermitteln.

  • Im Bürgerrundfunk kommen das OK-Element, das für den chancengleichen Zugang im Rundfunk steht, und das NKL-Element, dessen Schwerpunkt auf lokalen Informationen liegt, zu einer Symbiose. Diese Zusammenführung, wobei nicht jedes Element gleich stark vertreten sein muss, hat sich in Niedersachsen im Alltag bereits bewährt.

Ob diese Entwicklung in Schleswig-Holstein, wo es nie eine erkennbare Nachfrage nach NKL gegeben hat, bei der weiteren Entwicklung des Offenen Kanals eine Rolle spielen kann, bleibt der Zukunft überlassen. Das Landesrundfunkgesetz hat dem Offenen Kanal 1989 einen lässig sitzenden Anzug verpasst und damit viel konzeptionellen Spielraum für die Praxis der OK-Arbeit geschaffen. Der Offene Kanal der ULR hat die Chance genutzt und ist in diesen Anzug hineingewachsen, der immer noch passt und schmückt und keinesfalls aus der Mode gekommen ist.

3.2 Versuch macht klug!
Nirgendwo sind Experimente so einfach möglich wie im Offenen Kanal.

  • Journalistisch lässt sich ausprobieren und wagen, was sich im öffentlich rechtlichen oder privatwirtschaftlichen Rundfunk niemand trauen würde. Auch technisch ist der Offene Kanal eine bei weitem nicht ausgereizte Plattform für Experimente.
  • Frei von kommerziellen Zwängen können bestimmte formale Kriterien, wie sie für Reportage, Feature, Hörspiel, Dokumentation o.ä. bestehen, im Offenen Kanal unberücksichtigt bleiben, um neu auszuloten, was diese Genres publizistisch leisten können.
  • Aber auch Unerhörtes ist möglich: Warum nicht ein Klangwochenende, eine Geräuschsammlung, ein „Trance-Musik-Weekend“ oder – immer wieder neu – Avantgarde-Kompositionen?

Der Offene Kanal ist erwachsen geworden und zum Bürgersender gereift. Als Sende-Selber-Sender hat er eindrucksvoll gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger das Medium beherrschen und dass Medienmacht in ihren Händen gut aufgehoben ist. Der Offene Kanal der ULR hat in Schleswig-Holstein aber auch gezeigt, dass sich das Medium nur durch intensive Nutzung der gesetzlich festgelegten Freiräume weiter entwickelt, lebendig bleibt und damit der medial-aktive Teil der Bürgergesellschaft ist.
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Brunhild Hansen-Schmidt
Jugendliche im Offenen Kanal Kiel – Fernsehen

Als der Offene Kanal Kiel 1991 seinen Betrieb aufnahm, schien die Wahrscheinlichkeit groß, dass besonders junge Menschen das Angebot des Sende-Selber-Senders annehmen würden. Mit seinen technischen Möglichkeiten, den Kameras, den professionellen Nachbearbeitunsplätzen, den komplett eingerichteten stationären und mobilen Fernseh- bzw. mobilen Studios und vor allen Dingen der Sendeleitung in das Kieler Kabelnetz bot der Offene Kanal eine sinnvolle und attraktive Möglichkeit für Jugendliche, die in einer medialen Umwelt aufwachsen, sich aktiv mit dem Medium Video und Fernsehen auseinander zu setzen, eigene Gestaltungsideen und Umsetzungsversuche zu unternehmen und sich – je nach Vorliebe – kreativ, technisch oder darstellerisch zu erproben.

Mit dem 2000 eingerichteten MultiMediaLab sowie einem mobilen MultiMediaLab hat sich das Angebot den technischen Innovationen angepasst und noch vergrößert.

Die Erfahrung aus 10 Jahren Offener Kanal hat diese Vermutung rein statistisch (Nutzeranmeldungen) nicht belegt. Das Gesamtbild der Personen, die den Alltag im Offenen Kanal ausmachen, ist jedoch durch die Jugend geprägt.

Viele Jugendliche lernen den OK innnerhalb einer Schülergruppe im Zusammen­hang mit schulischen Aktivitäten (Medienkunde als Wahl­pflicht­kurs, Video-AG, Projektwoche, medial geprägte fachbezogene Unterrichtseinheiten oder SchOKK- die Schulfernseh­woche) kennen, für die die jeweilige Lehrkraft als Nutzer ver­antwortlich zeichnet.

Die 14 – 17 jährigen Jugendlichen

Jugendliche befinden sich gerade in dem Alter von 14 bis ca. 17 Jahren in einem ausgesprochenen Selbstfindungsprozess, der durch Entwicklungsschritte, Übergänge und Krisen gekennzeichnet ist. Anpassung von Rollen und Heraustreten aus Rollen wechseln sich in der Entwicklung zur eigenen Persönlichkeit ab und müssen erfahren und ausprobiert werden. Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind in wechselnden sozialen Zusammenhängen und Gruppierungen auszuloten. In eigener Verantwortung zu handeln und Kommunizieren zu lernen wird erprobt, Möglichkeiten der Partizipation werden erkundet und eigene Meinungen formuliert.

Diese entwicklungsbedingte Orientierungsphase des Lebens scheint mit der Tendenz einher zu gehen ( Shell-Jugendstudie 2000), sich eher nicht langfristige Verpflichtungen aufzuerlegen wie z.B. eine Vereinstätigkeit oder die Mitarbeit in einer kontinuierlichen über eine längere Zeit arbeitenden Redaktionsgruppe anzustreben. „Erst die Freunde, dann …“ und „In einem Jahr ist vieles anders“ sind zwei bezeichnende Aussagen dieses Lebensabschnitts. (Barthelmes, Sanders 2001, S.288)

Erfahrungen aus 10 Jahren Offener Kanal

Im Offenen Kanal Kiel – Fernsehen gibt es seit nunmehr über zehn Jahren Erfahrungen bei der Arbeit mit Jugendlichen.

An den Interessen der Jugendlichen direkt anknüpfend, sollen im Folgenden Beispiele der außerschulischen Aktivitäten von Jungen und Mädchen dargestellt werden. Unter diesem Gesichtspunkt, der am ehesten die eigene Motivation der Jugendlichen und ein ausgepägtes spezifisches Interesse widerspiegelt, sind im Wesentlichen drei Gruppierungen auszumachen:

  • Ungefähr mit 13-15 Jahren kommen einzelne Jugendliche, meistens Jungen (mit einem Freund/ Kumpel), mit einem gezielten Anliegen in den Offenen Kanal. Die einen haben ein ausgeprägt journalistisches Interesse, verbunden mit der Lust an Technik. Sie wollen Meinungen veröffentlichen, selbst Stellung beziehen, über lokale Themen recherchieren und berichten. Andere Jugendliche loten das Medium Video als Ausdrucksform fiktiver Filmgeschichten aus. Sie suchen und finden ihren Ausdruck in dem Gestalten mit Bild, Schnitt und Ton. Die Themen reichen von Auseinandersetzungen zu Hause oder in der Clique, Spielfilmen mit Krimicharakter und Kurzfilmen mit romantischen, auch zerbrechlichen (Liebes-)Beziehungen. Die Erfahrungen im OK Kiel zeigen bei den jungen Filmemachern eine große Ernsthaftigkeit und eine enorme Ausdauer unter Einsatz eines großen Zeitbudgets. Für nicht wenige von ihnen haben die Möglichkeiten der Erprobung unterschiedlicher (Medien-)Berufsfelder, der kostenfreien Techniknutzung und der Beratung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu einer Berufsfindung beigetragen.
  • Der Offene Kanal bietet im Rahmen seines halbjährlich erscheinenden Seminarprogramms eine Reihe von Workshops für Jugendliche. Besonders in den Ferien werden thematische oder zielgruppenorientierte Angebote ver­öffentlicht. Der Zeitrahmen liegt zwischen drei Tagen und einer Woche. „…und action!“, „Wer hat Käp’t Nemo entführt?“ oder „Als die Tomate laufen lernte…“ sind Beispiele für Krimi-, Videoclip- oder Trickfilm-Seminare, zu denen sich jeweils 12 bis 15 Jugendliche anmelden. „Ramba-Zamba“, „Wild girls“ oder das „MädchenOsterferienSeminar“ richten sich an Mädchen, die im Offenen Kanal unter den Jugendlichen stark unterrepräsentiert sind. Das durch die Einrichtung eines MultiMediaLabs im Jahr 2000 möglich gewordene Angebot „Multimedia für Mädchen“, in dem die Mädchen „wilde Home­stories, interaktive Kurzromane oder eine Geräuschejagd mit Bildern“ produzieren können, stößt auf besonders großes Interesse.
  • Als Mitteilungs- und Kommunikationsmedium nutzte eine Jugendredaktion, entstanden aus dem Seminar „JUGENDCLUB – EIN LIVE MAGAZIN“ die Möglichkeiten des Offenen Kanals. Die Redaktionstreffen, die Vorbereitung der regelmäßigen Sendungen, das Produzieren von Beiträgen, Moderation und Technik im Studio beinhaltete für die Beteiligten auch eine ausgeprägte soziale Komponente. Nach einiger Zeit rückte das Medium zugunsten der Orientierung und Umorientierung im Freundeskreis oder durch schulisch-berufliche Perspektiven in den Hintergrund.
  • Relax – das Nachfolgemagazin – wurde nur noch von zwei bis drei Jugendlichen weitergeführt und eher sporadisch produziert. Anlass war meistens das Erscheinen von „Stars“ aus dem Film-, Musik- oder Sportbereich und die Chance auf ein Interview mit ihnen oder auf einen Bericht aus dem Backstage-Bereich.

Die Ansprüche vieler Jugendlicher in dieser Altersgruppe an die eigene Freizeit­gestaltung zielen eher auf kurzfristige Aktionen und punktuelles Engagement, was dann auch den sporadischen, anlässlich eines Events stattfindenen Treffen der zwei übrig gebliebenen Jugendredaktionsmitglieder entsprach.

Für die Sendung „United Media“ schlossen sich Jugendliche zusammen, deren Motivation vom Interesse an neuen Medien und neuen Technologien getragen war. Infos, Tipps und Tricks und der Austausch darüber über Medien ( Fernsehen, Internet, Videotext) waren ihr Anliegen.

Medienarbeit mit Jugendlichen im Offenen Kanal

Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, Medien­kompetenz als eine anzustrebende Fähigkeit auszubilden und zu erreichen, liegt in der Einrichtung eines Offenen Kanals nahe. Kindern und Jugendlichen sollten die Möglichkeit gegeben werden, ihre eigene Meinung öffentlich zu machen und dadurch am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren. „Im Rahmen der Medienerziehung sollen“, nach Tulodziecki, „Kinder und Jugendliche die Möglichkeit erhalten, selbst technische Medien zur medialen Gestaltung eigener Aussagen zu verwenden, z.B. durch die Gestaltung von Foto- oder Videodokumentationen, von Zeitungen, von Hörspielen oder Videofilmen sowie von Computer­anwendungen.“ (Tulodziecki/ Schlingmann 1995, S. 25)

Der Offene Kanal kann dabei zur Schaffung von Erfahrungsräumen beitragen. „Der Offene Kanal bietet Jugendlichen die Gelegenheit zu eigenem, selbstbestimmtem, verantwortlichem Handeln in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themen und in der Gestaltung durch mediale Verfahren.“ (Kamp 1997, S. 117) Die Ansprüche vieler Jugendlicher an die eigene Freizeitgestaltung berücksichtigend, sollten zielgruppenspezifische Angebote eher mit kurzfristigen Aktionen einhergehen und auch Seminare Projekt­charakter haben. In dem Zusammenspiel zwischen Institution und Jugendlichem sollte der Freiraum so bemessen sein, dass „Jugendliche … ihre sinnhaften und sinnlosen Geschichten erzählen können, … erzählen können, was in ihren Herzen, in ihren Köpfen vorgeht, wo sie sich witzig oder politisch darstellen können mit ihren Ängsten, Träumen, Wünschen, Erwartungen – ihr Umfeld dokumentierend- eben real oder fiktiv.“( GMK 2001, S. 44)

Da altersgemäß die sozialen Bezüge von hoher Priorität sind, muss auch die Medienarbeit dies berücksichtigen. Denkbar wäre zum Einen die Zusammensetzung einer Mediengruppe aus vorhandenen peer-groups, die medienpädagogisch angeleitet wird oder zum Anderen Angebote an einem Ort außerhalb des Offenen Kanals zu initiieren, an dem schon soziale Zusammenhänge gegeben sind, wie z.B. in Jugendtreffs und Stadtteileinrichtungen.

Der Offene Kanal bietet zum Erproben kreativer und experimenteller Aus­drucksformen Freiräume, die über das Reproduzieren gesellschaftlicher Normen (auch Fernsehnormen) hinausgehen können. Altersgemäß Polarisierendes sollte dabei ausgehalten werden können. „Dominierende Themen sind Liebe, Sex und Gewalt – weil diese Themen mit ihren lustvollen und problematischen Anteilen in dieser Lebensphase eine besonders dynamische Rolle spielen…“ ( GMK 2001, S. 44)

Fazit

Durch selbstproduzierte Videos und Multimediaprodukte, wie Homepages, Fotostories u.ä. wird Jugendlichen die Möglichkeit zur kreativen Artikulation ihrer Ästhetiken, Meinungen und Lebensinhalte gegeben. Video und MM-Produkte als kommunikative, neue Kulturtechnik erprobt, können als ein Stück Medienkompetenz angesehen werden.

Am langfristigsten und engagiertesten sind künstlerisch ambitionierte und inhaltlich (Sport, Band, politisch) involvierte Jugendliche. Sie sollten durch individuelle Förderung produkt­orientiert bei ihren Vorhaben unterstützt werden. Dazu beitragen kann auch eine fördernde Auszeichnung in einem Wettbewerb, die Gestaltung einer Premieren-Livesendung für einen produzierten Film und das Kommunizieren weiterführender Wege.

Altersgemäßes Suchen nach sozialen Bezügen und dem Wunsch nach gemeinschaftlichem Eingebundensein legt eine Berücksichtigung in Workshops u.ä. nahe. Angebote, die vor Ort z.B. in Zusammenarbeit mit einem Jugendtreff oder Jugendhaus stattfinden, gehen darauf ein und beziehen Situationen aus der direkten Lebenswelt der Jugendlichen ein. Umgekehrt lässt sich natürlich auch mit einer vor Ort entstandenen Gruppe, z.B. einer Freundesgruppe, im Offenen Kanal ein Projekt durchführen.

Auch bei geschlechtsspezifischen Projekten wie einer Mädchenvideogruppe scheinen kurze, produktorientierte Phasen erfolgreicher und dem Entwicklungsniveau angepasster zu sein. Mädchen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren zeigen besonderes Interesse an Multimedia-Seminaren, was sich auch in den Aussagen des Modellprojekts „Trinetta- Medien für Mädchen“ wiederfindet. Ausgehend davon, dass Mädchensozialisation immer noch überwiegend von alten Rollenmustern geprägt ist, wozu eine Einstellung gegenüber Technik eher als Nutzerin, denn als Macherin gehört, sehen Mädchen „Kreativität und Kommunikation …aber (als) Bereiche, die durchaus dem Selbstverständnis von Mädchen entsprechen. Wenn diese also in den Vordergrund gerückt werden, ist der Computer für Mädchen nützliches Mittel und das Medium Internet ist durch seine Multimedialität besonders gut geeignet, Mädchen auch als Macherinnen in diesem Bereich zu integrieren“. (GMK 2001, S. 63)

Obwohl im Offenen Kanal alle Generationen vertreten sind, bleiben doch die meisten Altersgruppen unter sich. Ein generationsübergreifendes und verbindendes Element ist überwiegend zu finden und zu fördern in einer thematischen Redaktion wie der Sportredaktion, im Zusammenspiel für eine besondere Aktion oder einer Livesendung mit Einzelcharakter wie z.B. Prämierung der Video­wettbewerbs­gewinner oder auf familiärer Basis, wenn Großeltern und Enkel sich gegenseitig bei gemeinsamen Interessen unterstützen.

Neben allen Gründen für Jugendliche, den Offenen Kanal für sich zu nutzen und den Jugendlichen im Offenen Kanal ein Stück Medienkompetenz zu ermöglichen, sind wichtige motivierende Begleitumstände „Spaß, Neugierde, Unterhaltung, Beziehungs­aktivitäten und Action.“ (GMK 2001, S. 46)

Literatur

Jürgen Barthelmes/Ekkehard Sander: „Erst die Freunde, dann die Medien“. München 2001
GMK ( Hrsg.): „Medienkompetenz in Theorie und Praxis“. Bielefeld 2001
Ulrich Kamp ( Hrsg.): „Handbuch Medien: Offene Kanäle“. Bonn 1997
Hans-Jürgen Palme/Natasa Basic ( Hrsg.): „Medienkompetenz Version 2002“. Bielefeld 2001
Gerhard Tulodziecki/Andrea Schlingmann u.a.: „Handlungsorientierte Medienpädagogik in Beispielen“. Bad Heilbrunn 1995
www.shell-jugend2000.de: „13. Shell-Jugendstudie“

Weiterführende Literatur

GMK ( Hrsg.): .nexum-das Netzwerk „Jugend 2002-Zwischen Party und Partizipation“. Oktober 2001, Heft 5. Bielefeld 2001
Fred Schell: „Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis“. München 1989

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Bjarne Truelsen
Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld zwischen Schriftkultur und Multimedia

Die Medien, und hier insbesondere das Internet und das Fernsehen, geraten immer wieder ins Rampenlicht der Öffentlichkeit und werden für mangelndes Sozialverhalten und Ausbruch von Gewalt bei Jugendlichen verantwortlich gemacht. Tatsächlich

  • beschäftigen sich Kinder und Jugendliche bis zu ihrem 16. Lebensjahr in ihrer Freizeit mehr mit den Medien als in der Schule,
  • verfügen immer mehr Kinder und Jugendliche selbst über PC´s, TV-Geräte und Videogeräte,
  • tauchen immer wieder neue Medien auf, die insbesondere Kinder und Jugendliche ansprechen.

Dabei können die Medien durchaus als Ressourcen für die soziale, kulturelle und politische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen genutzt werden:

  • Mit sozialen Ressourcen ist gemeint, dass die Medien dazu beitragen können, die Möglichkeiten von Kindern und Jugendlichen zu verstärken, in der Gesellschaft zu handeln und dadurch in ein soziales Netzwerk eingebunden zu werden.
  • Mit kulturellen Ressourcen ist gemeint, dass die Medien Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben können, sich selbst und ihre Umwelt zu erfahren und dadurch zu einem besseren Selbstverständnis zu gelangen.
  • Mit politischen Ressourcen ist gemeint, dass die Nutzung der Medien dazu beitragen kann, eine Teilnahme an den demokratischen Grundprinzipien zu ermöglichen.

Werden die Medien auf diese Art genutzt sind sie eher ein Mittel zur positiven Entwicklung der Kinder und Jugendlichen als eine Bedrohung.

Um aber die Medien als soziale, kulturelle und politische Ressourcen zu nutzen und zu entwickeln, muss ein Prozess mit Forderungen und Herausforderungen entstehen. Hierbei geht es nicht in erster Linie um Forderungen an die einzelnen Kinder und Jugendliche, sondern vor allem um Forderungen und Herausforderungen an:

  • das Bildungssystem, damit Kinder und Jugendliche grundlegende Fertigkeiten darin erlangen sich die Inhalte der Medien anzueignen, selbstständig dazu Stellung zu nehmen und mit Hilfe der Medien selbst etwas zu vermitteln,
  • die Medieninstitute, damit Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gegeben wird, Medienangebote mit Qualität und relevanten Inhalten zu erhalten,
  • die kulturellen Einrichtungen wie Büchereien und Medienwerkstätten, damit Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit einen vielfältigen Medienangebots gegeben wird.

Familie, Identität und Arbeit

Die Medien sind ein integrierter Bestandteil im alltäglichen Leben von Kindern und Jugendlichen – genauso wie die Familie, die Freunde und andere Freizeitinteressen. Dabei haben sie einen sowohl teilenden als auch sammelnden Effekt. Sie schaffen im Alltag quer durch verschiedene Gruppen und Lebenswelten einen Zusammenhang, können aber gleichzeitig Abgrenzungen, sei es durch Alter, Kultur, Geschlecht oder sozialen Status bedingt, aufrecht erhalten. Diese Polarisierung ist bei Jugendlichen ausgeprägter als bei Kindern.

Bei den Jugendlichen kann ein unkritisches Verhalten gegenüber den Medien auch dazu führen, dass ein problematisches Identitätsverhalten auftritt. Denn die Erfahrung zeigt, dass Identität etwas ist, dass schnell geändert, abgelegt und neu angenommen werden kann. Dies führt nicht zur Stärkung, sondern eher zur Schwächung der eigenen Persönlichkeit.

Der Arbeitsmarkt der Zukunft gestaltet sich wesentlich komplexer als frühere Generationen es erlebt haben. Ein großer Bestandteil der verlangten Fertigkeiten wird darin bestehen, sich Informationen anzueignen, zu bearbeiten und zu vermitteln. Dies kann nur geschehen, wenn eine gründliche Auseinandersetzung mit den Medien erfolgt, im Positiven wie im Negativen. Diese wiederum kann nur stattfinden, wenn seitens der Entscheidungsträger die Bereitschaft besteht, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen und damit die Voraussetzungen für eine medienkompetente Gesellschaft zu schaffen.

Zwei Medienkulturen

Die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen lebt heute in einer gemischten Medienkultur. Dies ist auf drei Arten zu verstehen:

  • Erstens benutzen junge Menschen viele verschiedene Medien, sowohl Print-Medien als auch elektronische.
  • Zweitens haben die meisten einen aktiven und unproblematischen Zugang zum Computer, der eben gerade Bild, Ton, Musik und Text in einer Weise mit­ein­ander verbindet, wie es kein Medium zuvor getan hat.
  • Drittens füllen die Medien bei den Jugendlichen „Zeitlöcher“ wesentlich häufiger als früher. Viele Medien sind mobil oder leicht erreichbar, (Handy, PC, Spielkonsolen, Fernseher) und werden somit häufig dazu genutzt, um die Zeit rumzukriegen.

Diese gemischte Medienkultur ist eine neue Tendenz und Ausdruck für einen Wechsel der Mediengenerationen:

  • Diejenigen, die zwischen den Weltkriegen aufwuchsen, gehören der Radio- und Filmgeneration an.
  • Die Nachkriegsgeneration wurde die Musik- und Fernsehgeneration.
  • Heute kann man von einer Multimedia-Generation sprechen, wobei Zeitungen und Zeitschriften zu jeder Zeit eine wichtige Rolle spielten und spielen.

Erhebungen zu diesem Thema verdeutlichen die Situation:

  • Kinder verbringen weniger Zeit mit Medien als Jugendliche. Kinder zwischen 7 und 12 Jahren nutzen im Schnitt ca. 3 ½ Stunden täglich verschiedene Medien in ihrer Freizeit, Jugendliche ca. 4 ¾ Stunden.
  • Kinder und Jugendliche verbringen nicht soviel Zeit mit Medien wie Erwachsene. Diese nutzen die Medien im Schnitt gut 6 Stunden täglich. Hierbei spielt das Radio eine große Rolle.
  • Kinder und Jugendliche verbringen wesentlich mehr Zeit mit elektronischen Medien als mit Print-Medien, für die im Schnitt ½ Stunde verwandt wird.
  • 18 Prozent der Jugendlichen verbringen mehr als 3 Stunden täglich mit Fernsehen und 29 Prozent schauen täglich mindestens eine Stunde Video. 56 Prozent der 7-9 jährigen lesen Print-Medien – abgesehen von Schulaufgaben – nur in Form von Comics.
  • Jeder fünfte Jugendliche nutzt die Print-Medien überhaupt nicht in seiner Freizeit und 40 Prozent der Kinder hören kein Radio.
  • Im Ganzen gesehen verbringen Kinder und Jugendliche genau soviel Zeit mit Medien wie vor zehn Jahren. Allerdings ist der Radioanteil markant zurückgegangen und der Anteil an Fernsehnutzung und PC-Nutzung entsprechend gestiegen.

Das Problem der gemischten Medienkultur besteht in der Gestaltung der Medienkultur, wie sie in unserem Bildungssystem gelehrt wird. Grundlage für das Bildungssystem ist die Schriftkultur und die mündliche Kommunikation, während die elektronischen Bildmedien mit der sich daran knüpfenden Kultur nur in sehr begrenztem Umfang Gegenstand systematischen Unterrichts ist. Die Probleme von Kindern und Jugendlichen im Umgang mit den Medien liegen in diesem Spannungsfeld zwischen gelehrter Schriftkultur und gelebter Medienkultur.

Die Lösung sollte aber nicht darin bestehen, die eine Kultur auf Kosten der anderen zu bevorzugen, sondern darin, zu einem Zusammenspiel zukommen, das beide Kulturen stärkt. Selbstverständlich muss es weiterhin Aufgabe der Schulen sein, Kindern das Lesen und Schreiben zu lehren, um dadurch die Schriftkultur zu entwickeln. Die neue Herausforderung besteht aber darin, sicherzustellen, dass die Schriftkultur des Bildungssystems sich nicht von der gemischten Medienkultur und den damit verbundenen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen entfernt.

Die Fähigkeit zu verstehen und zu vermitteln

Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer Welt auf, in der Video, Internet, Multimedia und Computer ein fester Bestandteil des Alltags sind. Dadurch erwächst die Notwendigkeit,  den Umgang mit diesen Kommunikationsformen zu erlernen. Die Fertigkeit zu vermitteln und zu kommunizieren besteht im erster Linie darin, verschiedene Ausdrucksformen analysieren zu können, und jede für sich oder zusammen anzuwenden. Die Fähigkeit, Lesen und Schreiben zu können, ist basal, aber die elektronischen Medien bieten neue Herausforderungen: Video ermöglicht dem Einzelnen, selbst mit bewegten Bildern etwas zu vermitteln, mit dem PC ist es mittlerweile ein Leichtes, selbst Text, Bild, Grafik und Musik zu bearbeiten. Die Möglichkeit, Video, PC und Internet zu verbinden, wird zusehends vereinfacht und schafft eine weltweite Plattform für Kommunikation.

Der Offene Kanal in Schleswig-Holstein bietet der gemischten Medienkultur momentan ein großes Experimentierfeld. Denn mit der Möglichkeit des Selber-Sendens und der damit erlangten Medienkompetenz für die Nutzerinnen und Nutzer ist ein erster und wichtiger Schritt in die richtige Richtung getan. Durch die Bereitstellung von Multi-Media-Labs, in denen Erfahrungen im Bearbeiten von Text, Bild, Grafik, Video und Musik gesammelt werden können, wird man den Ansprüchen der gemischten Medienkultur gerecht.

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Michael Luppatsch
Warum sich mit anderen herumschlagen, wenn Allein-Senden doch so einfach ist? Über Redaktionsarbeit im Offenen Kanal.

Um Redaktionsarbeit im Bürgerrundfunk darstellen und analysieren zu können, lohnt zunächst der Blick auf die Arbeit von Redaktionen im professionellen Rundfunk.

Hier arbeiten unter der Leitung eines meist festangestellten Redakteurs verschiedene Menschen an einem Produkt mit einer klaren Zielvorgabe: Moderatoren, bei manchen Sendern auch noch Techniker, die die Sendung fahren Chefs vom Dienst und häufig freie, bezahlte Mitarbeiter, die Beiträge zuliefern. Ein großer Teil der Motivation der einzelnen Mitarbeiter ergibt sich daraus, dass sie mit der Tätigkeit ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Struktur, in der jeder für eine bestimmte Aufgabe bezahlt wird, beinhaltet eine Reihe von Kontroll- und Feedback-Instrumenten wie gemeinsame Planungskonferenzen mit Zielvorgaben und die gemeinschaftliche Erarbeitung von Teilzielen, die Annahme und Ablehnung von Themenvorschlägen durch die Redaktion(sleitung), die Abnahme von Einzelbeiträgen, Nachbesprechungen mit den Autoren und gemeinsame Feedback-Besprechungen in der Redaktion. Auch die Entscheidung über den Einsatz oder Nicht-Einsatz bestimmter freier Mitarbeiter gehört zu den qualitätssichernden Maßnahmen der Redaktionsleitung.

Motive für das Arbeiten in Redaktionen

Im Offenen Kanal, bei dem die Entlohnung wegfällt, trifft man auf vielfältige Motive, die den Einzelnen bewegen, sich mit anderen in Redaktionen zusammen­zuschließen.

  • Häufig bilden sich Redaktionen entlang eines bestimmten inhaltlichen Interesses. Die Science-Fiction-Freunde produzieren ihr Monatsmagazin genauso wie die Lesbengruppe oder die Sportinteressierten.
  • Andere kommen zusammen, weil sie nach gemeinsamen Seminaren ihre OK-Tätigkeit in feste Bahnen lenken wollen.
  • Für viele macht das Arbeiten in der Gruppe an einem gemeinsamen Projekt/ Produkt mehr Spaß als individuelles Vor-Sich-Hin-Arbeiten. Unterschiedliche Fähigkeiten der Einzelnen können so produktiv zusammengeführt werden. Das Produkt, die Sendung, wird bunter, anspruchsvoller, einfach besser, womit eine höhere Zufriedenheit über die geleistete Arbeit einhergeht.
  • Die Mitglieder einer Redaktion lernen voneinander. Einzelne nutzten diesen Prozess gezielt zur eigenen persönlichen Fortbildung als Medienproduzent.
  • Der soziale Aspekt des gegenseitigen Kennenlernens, der zwischenmenschlichen Beziehungen und der anregenden Freizeitgestaltung darf dabei nicht zu kurz kommen.
  • Die Mitarbeit in einer Redaktion ermöglicht es auch für diejenigen, die ein zeitlich eingeschränktes Engagement zeigen wollen, ihre Beiträge in einem attraktiven Programmumfeld zu platzieren.

Außerdem erhalten die Redaktionsmitglieder durch ihre Mitarbeit beim Radio Zugang zu ihnen sonst verschlossenen Sphären, zu eigentlich fremden Akteuren wie der lokalen Politik- und Verwaltungsspitze, zu Experten und intellektuell-künstlerisch Tätigen sowie zu mehr und früheren Informationen „aus erster Hand“ als die übrige, nicht in den Medien aktive Bevölkerung.

Um diese sich selbständig bildenden Fachredaktionen zu fördern, bietet der Offene Kanal ganz konkrete Hilfe an: Nutzung von Fax, Telefon und Internet sowie eigene Briefkästen und persönliche Ansprache sind nur einige Mittel. Außerdem wurden zu verschiedenen Themenbereichen systematisch die Aufnahme in Presseverteiler betrieben und kostenlose Radiodienste abonniert. Diese redaktionellen, für einen Lokalsender eigentlich selbstverständlichen Tätigkeiten wurden früher in den Offenen Kanälen vielfach nicht besonders ernst genommen.

Neue Redaktionen initiieren

Darüber hinaus ergriffen beispielsweise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Offenen Kanals Lübeck noch im ersten Sendejahr Initiativen, für bestimmte inhaltliche Anliegen feste Redaktionen zusammenzuführen. Diese besondere Förderung der publizistischen Aktivitäten betraf zunächst die Redaktionen Reflex (Lokalredaktion), Ökologo (Umweltthemen), KulturBunt (Kulturelles Leben) sowie Markant (Frauenmagazin).

Anhand eines Aktionsplans gewannen alle OK-Mitarbeiter über Informationsveranstaltungen, persönliche Ansprache und natürlich auch über Pressearbeit einen bestimmten Teilbereich der lokalen/ regionalen Gesellschaft für die neuen Möglichkeiten, die der Offenen Kanal bietet, sich in der Öffentlichkeit darzustellen. Interessenten für eine Mitarbeit im Radioprojekt wurden dann jeweils zu einführenden Seminaren in den Offenen Kanal eingeladen.

Für die thematisch eingegrenzten Redaktionen wurde in der jeweiligen „Szene“ geworben, also bei Bürgerinitiativen, Kulturzentren, Vereinen, Gruppen und Verbänden. Außerdem wurden besondere Anlässe geschaffen, um über eine intendierte langfristige Redaktionsarbeit hinaus auch kurzfristig z.B. durch einen Frauensendetag, das Interesse wecken zu können. Die Ansprache der schon aktiven, sich jetzt zusätzlich zu bekannter Pressearbeit im Hörfunk zu engagieren, war nicht immer einfach. Einerseits hatten diese Menschen Zeitprobleme, die auch nicht immer dadurch auszuräumen waren, dass die Arbeit innerhalb einer Redaktion auf kleine, überschaubare Aufgaben aufgeteilt wurde. Andererseits war es nicht ein­fach, die Idee eines über den Einzelinteressen der jeweiligen Initiative/des je­weiligen Vereins stehenden journalistischen Gesamtinteresses für einen bestimmten Bereich, z.B. zu Umweltthemen, zu vermitteln. So war z.B. bei einigen Intitiativ­vertretern nach einer Reihe von selbstdarstellenden Beiträgen im Magazin Ökologo die Luft schnell wieder raus, nachdem über die eigene Gruppe berichtet worden war.

So mussten die OK-Mitarbeiter viel länger als geplant eine Art Redaktions­leitertätigkeit ausüben, mit ähnlichen Aufgaben wie sie oben für die professionellen Redaktionen beschrieben wurden. Angedacht war, dass die Anschubinitiative durch die OK-Mitarbeiter OK höchstens ein Jahr dauern würde. Es stellte sich aber heraus, dass nur dann, wenn eine hochmotivierte ehrenamtliche Redaktionsleiterin oder ein sehr engagierter Redaktionschef aufgebaut werden konnte, die jeweilige Redaktion über einen längeren Zeitraum aktiv blieb. Sobald der Versuch gemacht wurde, die Aufgaben mehr an die jeweils drei bis zehn Redaktionsmitglieder zu delegieren ohne dass sich innerhalb der Gruppe eine eigenen Führungs­persönlichkeit herausgebildet hatte, geriet die jeweilige Fachredaktion in Schwierig­keiten. Die Verbindlichkeit, die im professionellen Rundfunk über die Bezahlung geschaffen wird, funktioniert im Bürgerfunk dann am besten, wenn sie durch charismatische, motivierende Führungspersönlichkeiten einge­fordert und durch­­gesetzt wird. Zeitweise können OK-Mitarbeiter diese Rolle übernehmen, aber die Ablösung muss gleich mit eingeplant werden.

Kompetenzerweiterung für die OK-Mitarbeiter

Für die OK- Mitarbeiter bringen diese erweiterten Tätigkeiten neue Anforderungen mit sich. Es ist ein Hochmaß an journalistischer Kompetenz zu entwickeln. Im OK Lübeck wurden diese Kompetenzen durch hausinterne und auswärtige Fortbildungen ausgebaut. Neben den Kursen des Gemeinschaftswerks Evan­gelischer Publizistik sind hier vor allem die Fortbildungsangebote des nord­deutschen Verbundes der Bürgermedien (NOKO) zu nennen, die regelmäßig wahr­genommen wurden.

Darüber hinaus wird beständig versucht, die Kompetenzen der Vielnutzer, die durch ihre hohe On-Air-Präsenz in kurzer Zeit eine beachtliche Professionalität ent­wickeln, wiederum Neueinsteigern nutzbar zu machen. Insofern lernen neue Produzenten, gerade wenn sie sich einer bestehenden Redaktion anschließen, vor allem durch ihre Kollegen.

Redaktionen werden selbständig

Für die Lokalredaktion Reflex fand sich sehr schnell ein Team um einen Hauptverantwortlichen, der in den Anfangsjahren sehr viel Zeit in die OK-Arbeit investierte. Bei Reflex gelang sogar der fließende Übergang von einem „Chefredakteur“ zu einem anderen, jüngeren, der später eingestiegen ist. Erst heute, nach bald zehn Jahren, scheint die Redaktion, die noch aus drei bis vier Mitgliedern besteht, erstmals gefährdet.

Andererseits war Reflex auch der Keim für weitere Redaktionen wie die Bürgerschaftsredaktion, die sich um die Übertragung der Sitzungen der Lübecker Bürgerschaft kümmert, und die Samstagsmorgen-Redaktion Open, in deren Umkreis sich seit mehreren Jahren ein fester Kern von ehrenamtlichen Produzenten zusammenfindet, die eigene professionelle Kriterien für ihre Sendungen entwickelt haben und mit viel Engagement und teilweise akribisch genau ihre Sendungen vorbereiten. Dabei wurde auch die Einbindung neuer Techniken und die Erstellung eigener Homepages durch diese Gruppe maßgeblich vorangebracht. Schließlich bildete diese Gruppe den Kern der Redaktion, die sich um Großereignisse und damit einhergehende Großprojekte wie das Travemünder-Woche-Radio (eine Art Veranstaltungsfunk 24 Stunden am Tag, zehn Tage lang zur großen Lübecker Segelveranstaltung) kümmert.

Die Redaktionen Bürgerschaft, Reflex, OK-Wochenschau und Open tauschen immer häufiger Beiträge aus. Es hat sich ein Netzwerk herausgebildet, in dem die Redakteure selbständig sich so organisieren, dass wichtige Termine der Lokalpolitik fast immer durch OK-Produzenten wahrgenommen werden.

Neben dem nicht ausreichenden Zeitbudget bei vielen Redaktionsmitgliedern beeinflussen manchmal auch gruppendynamische Störungen die Redaktionsarbeit. Gerade weil die Freiwilligkeit erstes Prinzip der Medienarbeit im Offenen Kanal ist, ist der oben beschriebene Wohlfühlfaktor so wichtig. Solange ein Mitarbeiter quasi als offizieller Vertreter diese Kommunikationsprozesse moderieren kann, können eventuell auftretende Irritationen produktiv aufgearbeitet werden.

In der Lokalredaktion Reflex gab es durchaus auch politische Differenzen und unterschiedliche Ansichten über das journalistische Konzept (Art und Länge der Rubriken, Themenpräferenzen, Darstellungsformen, Hörfunkphilosophie), die zusammengingen mit deutlichen Altersunterschieden. Die Situation löste sich nach und nach in einer Harmonisierung auf, wobei die älteren und womöglich politisch engagierteren Produzenten aus der Gruppe ausschieden. Sie überließen den jüngeren Radiomachern das Feld, die sich mehr an den professionellen Maßstäben der bei den Hörern erfolgreichen Massenprogramme orientierten. Die lokale und informative Ausrichtung blieb jedoch weiterhin die Messlatte für ein gutes Nachrichtenmagazin, wie es die Redaktionsgruppe verstand. Aus dieser Redaktion heraus professionalisierten sich einige junge Menschen, die dann im kommerziellen Mediengeschäft eine Arbeitsstelle fanden.

Event-Charakter oder langfristiges Engagement?

Unter den gesellschaftlich aktiven Menschen, die sich bereits in Bürgerinitiativen und Vereinen engagieren, ist es sehr schwer, wirklich Radiobegeisterte zu finden. In vielen Bereichen wird es schwieriger, langfristig Menschen für eine nicht bezahlte Tätigkeit zu motivieren. Das hört man auch aus Kirchen, Vereinen und Verbänden immer häufiger. Die Ansprüche vieler Menschen an die eigene Freizeitgestaltung zielen eher auf kurzfristige Aktionen, ein Event-Erleben, wenn sie nicht gar in einer rein konsumptiven Attitüde verhaftet bleiben.

Eingedenk dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklung verstärkte auch der Offene Kanal seinen eigenen Event-Charakter: Lange Nächte spezieller Musikrichtungen, eine Lange Nacht der Radioreportagen, ein Frankreich- oder Spanien-Tag und Stadtteiltage sind Beispiele für diese Art Aktionen, zu denen auch die Live-Berichterstattung von Festivals und Veranstaltungen (Nordische Filmtage, Berlinale, Möllner Festival der Folk(s)musik, Altstadtfest, Berufsorientierungstag u.a.) gehören. Dabei wird für einen vorher klar überschaubaren Zeitraum bis zur Veranstaltung eine Ad-hoc-Redaktion gebildet, die sich – meist bei einem Wochenendseminar kurz vor der jeweiligen Veranstaltung – gemeinsam vorbereitet. Mitarbeiter oder auch extra dafür beauftragte Referenten geben starke Impulse, strukturieren nicht nur die Lerneinheiten selbst, sondern achten auch darauf, dass die Sendepläne für die Live-Übertragungen alle wichtigen Sendeelemente enthalten. Sie halten während der gesamten Projektabwicklung die Fäden in der Hand.

Beispiel Filmriss-Redaktion

Erfolgreichstes Beispiel dieser Arbeitsweise ist die Filmriss-Redaktion, die seit 1994 immer wieder neu aufgelegt wird. Anlässlich des Umzugs der Nordischen Filmtage Lübeck (NFL) an einen zentralen Veranstaltungsort kam 1994 erstmals eine Gruppe Filminteressierter zusammen, die aus dem Foyer des Kinocenters Stadthalle während der vier Tage des Festivals eine Live-Sendung mit Vor-Ort-Interviews mit Gästen der Filmtage, Regisseuren, Schauspielern, Produzenten, den Organisatoren des Festivals und der anwesenden Politprominenz sendeten. Filmriss arbeitete mitten unter den Festivalbesuchern fiel dabei Erika Gregor, die in jenem Jahr Jury-Präsidentin war, auf. Diese verantwortliche Mitarbeiterin des Internationalen Forums des Jungen Films bei der Berlinale lud daraufhin die Gruppe ein, doch auch live von der Berlinale zu berichten. Seit 1995 ist so Filmriss auch beim wichtigsten deutschen Filmfestival mit täglichen Live-Sendungen dabei.

Da einige OK-Nutzerinnen und Nutzer jedes Jahr wieder bei dieser Festival­berichterstattung mitmachen, konnte ein harter Kern von NFL- und Berlinale-Interessierten gewonnen werden, zu dem bei jedem weiteren Festival einige neue Gesichter hinzustoßen. Diese Kontinuität hat natürlich auf die Professionalität der Sendungen wie auch auf die Akzeptanz der Gruppe bei den jeweiligen Veranstaltern einen großen positiven Einfluss. Sowohl bei den Organisatoren in Lübeck als auch beim Berlinale-Presseteam war anfangs eine gewisse Skepsis gegenüber einer rein ehrenamtlichen Redaktion zu spüren. Diese Skepsis legte sich mit den Jahren, je besser man die engagierten Menschen des OK Lübeck und ihre Arbeitsweise kennen lernte. Sicher hat auch die Kontinuität bei der Organisation, die in der Hand von OK-Mitarbeitern liegt, für diese positiven Erfahrungen gesorgt.

Das Filmriss-Team, das von der Berlinale berichtet, wurde nach und nach um Redakteure aus anderen Offenen Kanälen und nichtkommerziellen Lokalsendern aus ganz Norddeutschland erweitert. Bis zu acht weitere Bürgersender schlossen sich dabei den gemeinsamen Live-Sendungen an. Bis 2001 lag dabei die Hauptlast der Organisation beim OK Lübeck, der jeweils auch das vorbereitende Seminar am Wochenende direkt vor dem Start der Berlinale organisierte. Danach wurde es Zeit, das Staffelholz weiter zu geben, und Mitarbeitern anderer Offener Kanäle die Organisation zu übertragen (2002 konkret der OK Westküste – die Hauptverantwortung blieb also in Schleswig-Holstein). Der Übergang ist gut gelungen, auch wenn 2002 nur noch drei Redakteure des Filmriss-Teams aus Lübeck selbst kamen.

Beim Vorbereitungsseminar wurden – ähnlich wie bei den NFL – nicht nur Interview­techniken, Verfassen von Filmkritiken, Gestaltungsmöglichkeiten von Berichten-mit-O-Ton und Kriterien für die Nachrichtenauswahl vermittelt. Ziel war auch ein gegenseitiges Kennenlernen der Redaktionsmitglieder und die genaue Planung wichtiger Themenbereiche, z.B. die klare Aufteilung der Wettbewerbsfilme, die es sicherstellte, dass alle Filme im Wettbewerb möglichst am ersten Aus­strahlungs­tag besprochen wurden. Redaktionelles Arbeiten wurde groß­geschrieben und teilweise zeigte sich, dass für Nutzer Offener Kanäle außerhalb Schleswig-Holsteins diese sehr journalistische Herangehensweise recht neu war. Die Rückmeldungen aus den anderen Offenen Kanälen waren dabei sehr positiv. Die Filmriss-Redaktion hat immer noch Modellcharakter innerhalb der norddeutschen Bürgerradioszene.

Doch wie sieht es in Schleswig-Holsteins Offenen Kanälen – Fernsehen – aus?

Zunächst scheint eine redaktionelle Zusammenarbeit bei Fernsehsendungen anders als beim Radio aus sich heraus notwendig zu sein. TV-Produktionen bringen viel mehr ausdifferenzierte Tätigkeiten mit sich: Kamera(s), Bildregie, Licht, Bühnenbild sind zusätzliche Aufgabenbereiche bei einem TV-Magazin. Auch bei Einspiel­beiträgen wird das mit den mobilen Kameras eingefangene Material meist länger geschnitten, montiert, mit Text und Tönen unterlegt. Wenn dann noch nicht zu vernachlässigende Dinge wie Maske bzw. Kostüme für die Präsentatoren bedacht werden müssen, ergibt sich schon aus der Vielfalt der Aufgaben ein Zwang zur Zusammenarbeit einer Gruppe. Zehn Personen oder mehr, die an einer Magazinsendung mitwirken, kommen schnell zusammen. Hier ist die Redaktions­arbeit im OK-Fernsehen im Vorteil gegenüber dem Hörfunk: Ziehen sich Einzelne – auch nur zeitweise – zurück, reißt dies nicht die gleichen großen Lücken wie bei den meist viel kleineren Redaktionen im OK-Hörfunk.

Andererseits liegen beim OK-Fernsehen die Sendungen der Redaktionen mit regelmäßigen Sendeterminen oft weiter auseinander als beim OK-Hörfunk. Vierteljährliche, höchstens monatliche Sendungen sind die Regel, während beim OK-Hörfunk ein wöchentlicher oder zweiwöchentlicher Rhythmus üblich ist.

Ähnliche Redaktionsstrukturen mit regelmäßigen Treffen, Terminabsprachen, Planung der Sendungen und Nachbesprechungen sind im OK-Hörfunk wie im OK-Fernsehen gleichermaßen anzutreffen. Auch fungierten OK-Mitarbeiter über Seminarangebote und Begleitung als Impulsgeber für thematische Redaktionen wie KulturAufschnitt oder die Plattdeutsche Redaktion und z.B. auch bei den ÜFÜS, der Redaktion der über Fünfzigjährigen. Im OK Kiel wurde dabei versucht, die Betreuungszeit nicht über ein halbes Jahr anwachsen zu lassen. Der initiierende Mitarbeiter ist für die Redaktionsgruppe aber noch lange darüberhinaus Ansprechpartner im Sender und wirkt dabei wie ein Anker für die ehrenamtlichen Redaktionsmitglieder im Offenen Kanal.

Überhaupt ist die persönliche Ansprache, das Kommunikationsklima im Sender, wesentlicher Bestandteil der erfolgreichen Zusammenführung verschiedener Nutzer bei Projekten. Sehr motivierend wirkt es bei vielen Produzenten im Offenen Kanal, wenn die hauptamtlichen Mitarbeiter sich die Zeit nehmen, diese aktiv am Schnittplatz zu betreuen. Die Frage nach Fortgang und Problemen bei der Arbeit, das Interesse für die bearbeiteten Themen und der ein oder andere Tipp zur Umsetzung werden im Schnittraum sehr gern angenommen.

Zukunft der Redaktionsarbeit in Offenen Kanälen

Wichtig für eine noch verbesserte Förderung der Redaktionsarbeit in der Zukunft sind folgende Maßnahmen:

  • Die Werbung für neue Mitglieder für die verschiedenen Redaktionen muss ständige Aufgabe der OK-Mitarbeiter sein.
  • Nutzerinnen und Nutzer die – angefangen bei den Einführungsveranstaltungen – auffallen und für bestimmte Themenbereiche geeignet scheinen, sollten immer wieder persönlich auf die Möglichkeit der Redaktionsmitarbeit angesprochen und mit anderen Redaktionsmitgliedern in Kontakt gebracht werden.
  • Der Event- und Spaßcharakter von Redaktionsarbeit muss weiter erhöht werden. (Festivalberichterstattung, Großprojekte).
  • Es sollten größere Strukturen gebildet werden (Großflächige Magazinsendungen in Zusammenarbeit vieler Produzenten), in denen Einzelne sich auch mit kleineren Teilaufgaben beteiligen können.
  • Für diese Qualitätsinseln im Programm könnte dann auch ein organisiertes Qualitätsmangement angeboten werden: Eine besondere Zuwendung könnten OK-Mitarbeiter nach gezielten Feedback- und Fortbildungsangeboten leisten.
  • Auch an Gratifikationen besonderer Art für diese herausgehobenen Sendeschienen ist zu denken: Redaktionsausweis, gemeinsame Fahrten zu anderen Sendern, die gemeinsame Fahrradtour oder ein Redaktionssommerfest.
  • Das Klima im Sender, die Bereitschaft, auch größere Projekte von erfahrenen Produzenten selbständig durchführen zu lassen, das Vertrauen, das man ihnen entgegenbringt und die Freiheit, die sie dabei in ihrer gestalterischen und produktiven Programmarbeit im Offenen Kanal genießen, ist für viele ein viel größerer Anreiz für ihr Engagement als es Honorarzahlungen je sein könnten. Wenn viele der Produzentinnen und Produzenten den Sender ganz bewusst als „ihr Radio“ begreifen und die Mitarbeiter immer wieder die Diskussion auch über Programmformen, -qualität und Radiophilosophien suchen, kann ein kreativ-tropisches Klima entstehen, in dem vieles wachsen kann.

Im OK Lübeck ist dies für mehrere Produzentengenerationen gelungen, auch wenn es immer wieder schmerzlich ist, wenn wichtige Stützen des Programms durch Arbeits- oder Studienaufnahme aus der Hansestadt wegziehen. Die in den letzten Jahren ausgedehnten Aktivitäten bei Kinder- und Jugendredaktionen (FunnFunk, Funny Girls, Ferienpassprojekte, KinderKinoRadio zu den NFL) sind jedoch die beste Grundlage, dass neue Generationen heranwachsen, die den Stab der Weggehenden übernehmen können.

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Andreas Guballa
Jungen machen Radio – Ein medienpädagogisches Projekt zur Gewaltprävention

Einleitung

Die tatsächliche Rolle und damit das Rollenbild von Jungen und Mädchen bzw. Männern und Frauen haben sich in den letzten Jahren unterschiedlich entwickelt. Das Image der Mädchen und Frauen hat sich differenziert und ist nicht mehr identisch mit dem schutzbedürftigen vom Mann abhängigen Wesen, sondern Mädchen und Frauen können heute auch stark, selbstbewusst und unabhängig sein. Die Rolle der Männer – Ernährer, Beschützer – hat sich dagegen tatsächlich und auch als gesellschaftliches Ideal kaum weiter entwickelt. Während Frauen zusätzliche Aufgaben in der Gesellschaft übernommen haben, haben Männer kaum Aufgaben abgegeben oder diese differenziert.

Medien hatten auf diese Veränderung einen großen Einfluss. Längst gibt es Geschichten von Kommissarinnen und weiblichen Firmenbossen im Fernsehen. Mädchen und Frauen finden in den Medien Vorbilder, die ihnen ein verändertes Rollenbild zeigen und ihnen Orientierung geben.

Die aktuelle Medienpädagogik greift mit diversen Projekten diese Veränderungen des Rollenbildes auf. Vielerorts gibt es Mädchen- und Frauenredaktionen in Bürgersendern und anderen medienpädagogischen Einrichtungen, die auf spezielle Themen der weiblichen Bevölkerung eingehen. Das Rollenbild von Männern und Jungen wird hingegen nur vereinzelt verändert dargestellt. Jungen sehen in den Medien immer noch hauptsächlich Männer und Jungen, die immer stark sind, keine Angst haben und niemals weinen. Außerdem sehen sie, dass ein „richtiger Mann“ Konflikte mit Gewalt löst. Jungen leiten daraus auch für sich den Grundsatz ab: lieber gewalttätig sein, als kein richtiger Junge zu sein.

Um diesem Bild entgegen zu wirken, führt der Offene Kanal Westküste seit Herbst 2001 zusammen mit einem Gewaltpädagogen Radioprojekte durch. Zielgruppe sind einerseits Jungen im Alter ab acht Jahren, mit denen die Mitarbeiter sich die Rollenbilder in den Medien ansehen und darüber diskutieren; andererseits Pädagoginnen und Pädagogen, denen Handlungs­konzepte und Anregungen zur Durchführung eigener Radioprojekte vermittelt werden.

 

Sozialisation von Jungen

Mädchen und Jungen wachsen die ersten Lebensjahre und damit in der Phase intensivster persönlicher Prägung vorwiegend mit und bei Frauen auf. Üblicherweise sorgt die Mutter zuhause für das Kind. Im Kindergarten arbeiten Erzieherinnen. In der Grundschule unterrichten Lehrerinnen. Väter stehen meist nicht in demselben Umfang persönlich zur Verfügung (z.B. werden über 95 Prozent aller Erziehungsurlaubsanträge von Frauen gestellt) und auch als professionelle Bezugspersonen treten erst nach dem Wechsel in eine weiterführende Schule männliche Lehrer in Erscheinung. Vieles, was ein Junge in dieser Zeit erlebt, erfährt er in Bezug auf die Sichtweise einer Frau, er wird mit weiblichen Maßstäben sozialisiert.

Ein Junge erlebt schon früh, dass er ein anderes Geschlecht als seine Mutter, als seine Babysitterin, seine Kindergärtnerin hat. Damit „weiß“ er auch, dass er sich von ihnen unterscheiden muss. Nur wie, weiß er nicht. Da einem Jungen vorgelebte Identitätsangebote von Männern nicht im gleichen Umfang wie von Frauen zur Verfügung stehen, sucht er nach Angeboten, die ihm Orientierung geben. Ihm ist klar, dass er sich von dem weiblichen Verhalten seiner Mutter wegentwickeln muss, da er – würde er dieses Verhalten annehmen – womöglich als weibisch oder gar als schwul gelten würde. Ein Junge, der sich wie ein Mädchen verhält, entspricht nicht der Norm des „richtigen Jungen“. Verhalten, das dem erlebten und vorgelebten Vorbild der Mutter zu nahe kommt, wird „bedrohlich“. Selbst wenn er die Zärtlichkeit der Mutter genießt und erfahren hat, wie wertvoll dieser Aspekt des Menschseins ist, so darf er ihn selbst nicht ausüben. Statt also die Mutter nachzuahmen wird er dieses Verhalten ablehnen und auch zurückweisen. Im Extremfall kann es zu einer Verkehrung ins Gegenteil kommen. Der Junge macht genau das Gegenteil von dem, was er bei und von Frauen erfährt, selbst wenn er ihr Verhalten als positiv bewertet. (vgl. Oelemann/ Lempert 2000, S. 73 ff)

Was jedoch männlich ist, weiß ein Junge oft nicht: Die konkret erfahrene und erlebte Orientierung fehlt. Daher definiert er erst einmal seine Identität als Junge konträr zu dem, was ein Mädchen ist.

Die allermeisten Jungen haben während dieser Zeit kaum Beziehungen zu Männern. Auch wenn es heute schon mehr Väter als vor 20 oder gar 50 Jahren gibt, die sich um ihre Kinder kümmern, sind sie doch letztendlich oft abwesend und für Jungen kaum erlebbar. Da Jungen aber männliche Vorbilder zur Entwicklung ihrer Identität brauchen, suchen sie diese verzweifelt. Sie finden sie zunächst bei gleichaltrigen Jungen, mit denen sie im Kindergarten oder in der Grundschule zu tun haben (peer groups). Hier lernen sie schnell, wie sich ein „richtiger Junge“ zu verhalten hat. Ein „richtiger Junge“ weint nicht, spielt nicht mit Mädchen, ist immer stark und hat niemals Angst. Ein „richtiger Junge“ verhält sich wie ein Rabauke oder er ist eben kein „richtiger Junge“. Er lernt also, alle Gefühle wie Trauer, Angst und Schmerz zu unterdrücken. Hier spielen nicht nur die gleichaltrigen Jungen im Kindergarten eine Rolle, sondern auch die Erwachsenen, die durch ihr Verhalten, den Jungen in diesem Bild bestätigen.

Einen weiteren Einfluss auf die Identitätsentwicklung eines Jungen üben die Medien aus. Da Kinder symbolische Materialien und Rollenspiele brauchen, um sich über sich selbst und ihren Platz im Leben klar zu werden, dienen ihnen (Fernseh-) Helden und -Vorbilder als Orientierungshilfe. Früher übernahmen Sagen, Märchen und Geschichten diese Funktion – heute haben Figuren aus den Medien diesen Part inne. Das Problem: „In Märchen geschehen grausame Dinge, aber jedem ist klar, es ist ein Märchen. In Zeichentrickfilmen geschieht Unvorstellbares, aber es ist Zeichentrick. Bei einem guten Film verschwimmen schon die Grenzen und bei Reality-Shows sind sie aufgehoben.“ (Krefft 2002, S. 10)

Medien werden immer realistischer und je realistischer Filme, Fernsehen, Videospiele usw. werden, desto wichtiger ist es, Fiktion und Realität nicht zu vermischen. Heranwachsenden fällt dies schwer. Die heutigen technischen Möglichkeiten können dazu führen, dass sie den Unterschied zwischen Film oder Computerspiel und Realität nicht mehr wahrnehmen. Hinzu kommt, dass im Fernsehen – auch durch den medienimmanenten Zwang zur Stereotypisierung und Vereinfachung – vor allem Sendungen angeboten werden, in denen ein archaisches Jungen – und Männerbild gezeigt wird, in denen es sich um Gewinnertypen dreht, die sich notfalls mit Gewalt durchsetzen. „Je mehr sie (gemeint sind Jungen, Anm. d. A.) sich mit ihren Idolen z.B. aus Filmen identifizieren, desto mächtiger und stärker fühlen sie sich, wenn auch ihr Vorbild mächtig und stark ist. Und wenn ihre Vorbilder gewalttätig sind und dies im Film vielleicht auch noch cool oder sogar legal ist, ist die Gefahr groß, dass sie ihre Gewalt nachahmen.“ (Krefft 2002, S.11)

Ein Beispiel:

Am Ende des Films „Terminator 2 – Tag der Abrechnung“ entspinnt sich, nachdem der Chip, der die Welt zerstören wird, endgültig in die Stahlschmelze geworfen und vernichtet worden ist, zwischen der Mutter, dem als zukünftigem Weltretter vom guten Terminator (Arnold Schwarzenegger) geretteten Jungen und dem Terminator, Spitzenkonstruktion einer Männermaschine, folgender dramatischer Abschlussdialog:

Frau: Es ist zu Ende.

Terminator: Nein. Es gibt NOCH einen Chip. (Er zeigt auf seinen Kopf.) Und der muss ebenfalls zerstört werden. Hier (er gibt der Mutter die Armatur in die Hand, mit der sie die Winde betätigen kann). Ich kann mich nicht selbst terminieren. Ihr müsst mich in den Stahl hinablassen.

Junge: Nein!

Terminator: Es tut mir leid.

Junge: Nein, tu’s bitte nicht, alles wird gut.

Terminator: Ich muss fortgehen.

Junge: Nein, warte, das musst Du nicht tun. Ich befehle Dir, nicht zu gehen!

Terminator: Tut mir leid. Es muss hier enden. (Gedankenpause, der Junge weint) Ich weiß jetzt, warum Ihr weint. Aber das ist etwas, das ich niemals tun kann.

Frau: (betätigt die Armatur, die den Terminator in die Stahlschmelze hinabsenkt)

Terminator: Auf Wiedersehen. (Mit dem siegverheißenden Daumen nach oben zeigend verschwindet er in der Glut)

(aus: Stoklossa 2000, S. 14 f)

Das Beispiel zeigt: Jungen sehen in den Medien oft Männer und Jungen, die immer stark sind, keine Angst haben und niemals weinen. Obwohl diese von Männern in­szenierte Figur völlig unreal ist, so illustriert sie doch die übermächtige Hoffnung des heranwachsenden Jungen (wie auch der erwachsenen Männer) auf Größe und Sieg.

Der Film zeigt auch, dass ein „richtiger Mann“ Konflikte mit Gewalt löst. Jungen leiten daraus immer wieder den Grundsatz für sich ab: lieber gewalttätig sein, als kein „richtiger Junge“ zu sein. Sie lernen, dass Gewalt ein Teil der männlichen Identität zu sein scheint. Dass Gefühle wie Trauer, Angst und Schmerz auch für Jungen und Männer ein Thema sind, wird nicht gezeigt.

Folgerungen für die medienpädagogische Arbeit mit Jungen

Im Hinblick auf das geschilderte Medienverhalten ist es wichtig, mit den Jungen geschlechtsspezifische Medienbilder zu überprüfen. Die Fragestellungen dabei lauten:

  • Entspricht das Rollenbild der Wahrheit?
  • Bin ich nur ein „richtiger Junge“, wenn ich gewalttätig bin?
  • Was ist überhaupt ein „richtiger Junge“?

Aus den Antworten kann dann ein eigenes Bild entwickelt und wieder in ein Medienbild verwandelt werden.

Radioprojekt: „Ey, ich bin doch ein Junge!“

Im Herbst 2001 lud der Offene Kanal Westküste Jungen im Alter von acht bis elf Jahren zu einem Radioworkshop ein, um sich die männliche Rollenbilder in den Medien anzusehen und sich damit auseinander zu setzen.

Da es in diesem Alter nicht einfach ist, über sich selbst zu reflektieren, sollten sich die Teilnehmer vorstellen, Außerirdische besuchten den Planeten Erde, um Antworten auf Fragen zu finden wie „Was ist ein Junge?“, „Was tun Jungen?“ oder „Müssen Jungen immer stark sein?“. Schnell merkte die Gruppe, dass es dafür keine eindeutigen Antworten gibt. Auch Erwachsenen ging es bei der Beantwortung dieser Fragen nicht anders. Mit Aufnahmegeräten und Mikrofon löcherten drei Reportergruppen Passanten in der Heider Innenstadt mit ihrem Fragenkatalog. Nach Stunden kamen die Jungen wieder. Die meisten Erwachsenen konnten überhaupt keine Antwort auf die gestellten Fragen geben, und wenn, dann wenig überzeugend oder widersprüchlich.

Zurück im Studio hörten sich die jungen Reporter ihre Aufnahmen an und kamen zu dem Fazit: „Die Erwachsenen wissen darüber genauso wenig wie wir.“ Offensichtlich ist es schwer, genau zu sagen, was einen Jungen ausmacht.

Allerdings fanden sie heraus, dass Jungen sehr verschieden sein können. Diese Erkenntnis musste nun noch in Form einer Radiosendung verpackt werden. Auch hierfür bedienten die Jungen sich der Aliens und produzierten das halbstündige Hörspiel „Die Außerirdischen auf Entdeckungsreise oder: Was ist ein Junge?“, in das – angereichert mit Musik – alle Umfrageergebnisse, Interviews und Recherchen einflossen. Auch andere, die nicht unmittelbar an dem Workshop beteiligt waren, konnten dadurch partizipieren. Sie hörten, wie andere Jungen sind, was sie denken, was sie fühlen. Sie erlebten, dass es zum Jungesein dazugehört, zu weinen, Angst zu zeigen und auch mal schwach zu sein. Und sie hörten, dass es zum Jungesein nicht zwangsläufig dazu gehört, gewalttätig zu sein.

Gewaltpräventiver Aspekt des Seminars

Zu Beginn des Seminars haben sich die Jungen gegenseitig interviewt (s.o.). Die Antworten der Jungen wurden miteinander verglichen. Dadurch wurde ein Jungen­bild innerhalb dieser Gruppe erarbeitet. Der erste inhaltliche Schritt war also zu klären, was der einzelne Junge darüber denkt, was ein Junge ist, und das Ergebnis mit den anderen Beteiligten zu vergleichen. Der zweite inhaltliche Schritt war, das Vergleichen des Gruppenbildes mit den Bildern von außen, die durch Umfragen gewonnen wurden.

Während der Gespräche über das Thema „Was ist ein Junge?“, konnten die Jungen erfahren, dass es zum Jungesein dazugehört, schwach zu sein, Angst zu haben und zu weinen – all die Gefühle, die Jungen normalerweise mit aller Gewalt versuchen abzuwehren. So hat ein Junge sich selbst als „Heulsuse“ bezeichnet, ohne dass die anderen sich darüber lustig gemacht hätten. Wichtig war hier, den negativ besetzten Begriff „Heulsuse“ in einen positiven Begriff umzuwandeln.

Der gewaltpräventive Aspekt des Seminars liegt also einerseits in der Auseinandersetzung der Jungen mit dem Jungenbild, andererseits darin, dass die Jungen hier in einer Gruppe zusammenarbeiteten, ohne dass die Gruppendynamik durch typisch männliche Verhaltensmuster wie Konkurrenz und Macht ging. Normalerweise müssen sich Jungen in Gruppen, vor allem mit anderen Jungen, als „richtiger Junge“ beweisen, indem sie sich z.B. als der stärkste und beste darstellen. Konkurrenz untereinander ist ein häufiges Verhalten von Jungen in Gruppen.

In diesem Seminar haben die Jungen das erste Mal eine Gruppe von Jungen erlebt, in der Konkurrenz nicht wichtig war, sondern der gemeinsame Spaß und ohne Leistungsdruck an einer Radiosendung zu arbeiten. Jeder der Jungen konnte mit seinen Fähigkeiten zum Gelingen der geplanten Sendung beitragen.

Diese Erkenntnisse unterstreichen auch Erfahrungen anderer Medienprojekte:

„Besonders die Jungen, denen Respekt und Anerkennung eher versagt wird, Jungen aus marginalisierten Milieus oder Migrantenjungen, erkennen oft sehr schnell die Möglichkeiten zur Selbstbestätigung, die im Umgang mit Medien liegen. Sie erleben ihre Rolle als Aktiver in einer Medienproduktion als Aufwertung, als Chance sich hervorzutun und sie entdecken Varianten der Präsentation ihrer selbst, die nicht auf der Abwertung anderer beruhen. Respekt und Anerkennung sind Schlüsselbegriffe für den Zugang zu Jungen und ihren Lebenswelten und damit auch Schlüssel für gelingende Jungenarbeit.“ (Neubauer/Winter 2001, S. 97)

Auch in dem Seminar des OK Westküste konnten die Jungen die Erfahrung machen, dass sie nicht immer nur der beste und stärkste sein müssen, sondern auch zugeben dürfen, dass es Sachen gibt, die sie nicht können. Sie konnten erleben, sich in einer Gruppe von Jungen, die sich vorher nicht kannte, wohl und angenommen zu fühlen.

Da sich Männer nur selten mit Jungen über das Jungesein auseinandersetzen und somit eine Unterstützung in deren Identitätsentwicklung leisten, erlebten die Teilnehmer mit den beiden Teamern zwei Männer, die genau dies tun. Dies ist auch ein wichtiger Aspekt gewaltpräventiver Arbeit mit Jungen.

Fazit

Da gerade in unserer Zeit Medien einen großen Einfluss auf die Identitäts­entwicklung von Jungen und Mädchen haben, ist es wichtig, in medien­pädagogischen Projekten an den (Vor-) Bildern, die Medien liefern, zu arbeiten. Eine geschlechtsbezogene Arbeit macht dabei Sinn. Nur dann haben Jungen den Mut, ihre „Hahnenkämpfe“ abzulegen und sich der thematischen Arbeit zu öffnen. So können traditionelle Männlichkeitsbilder in Frage gestellt und eine Erweiterung des Erlebnis- und Verhaltensrepertoires von Jungen angestrebt werden – eines Repertoires, das oft durch geschlechtsspezifische Normen eingeschränkt ist.

Der aktive Umgang mit audiovisuellen Medien kann dazu beitragen, sich und andere Jungen und Mädchen anders wahrzunehmen, Einstellungen zu traditionellen Geschlechterverhältnissen zu revidieren und im Zusammensein mit anderen, ein neues Verhalten zu erproben. Ziel der Radioarbeit mit Jungen ist es aber auch, Jungen den Druck zu nehmen, sich beweisen zu müssen, und sie bei der Entwicklung einer eigenen, selbstbewussten Identität als Junge zu unterstützen. Das bedeutet, Jungen die Möglichkeit zu geben, in dem geschützten Rahmen eines Seminars, das „Jungesein“ auszuprobieren, ohne bewertet zu werden. Dabei geht es nicht darum, Jungen etwas von ihrem Bild vom „Jungesein“ zu nehmen, sondern dem Bild etwas hinzuzufügen, das die Jungen in ihre Identität einbeziehen können.

Dass die Teilnehmer ein deutliches Interesse an dieser Arbeit haben, zeigt die Tatsache, dass bis zur Drucklegung dieser Broschüre bereits zwei weitere Workshops stattgefunden haben mit nahezu identischer Besetzung. An diesen Terminen ging es hauptsächlich um die Auseinandersetzung mit dem für Jungen wichtigen Thema Helden. Für die Herbstferien 2002 ist ein weiteres Seminar unter dem Motto „Radio dayz 4 boys“ geplant, in dem im Rahmen einer Magazinsendung weitere Themen behandelt werden sollen, die Jungen interessieren.

Radioarbeit mit Jungen bedient sich der aktiven Medienarbeit als Methode handlungsorientierter Medienpädagogik. Sie ist besonders dafür geeignet, Mechanismen und (Manipulations-) Möglichkeiten von Medien sowie Wirkungen der Mediensprache durchschaubar zu machen.

Radioarbeit mit Jungen bedeutet, sie mit ihren geschlechtsspezifischen Bedürfnissen und Problemen wahrzunehmen und diese in das Konzept mit einzubeziehen. Eine Voraussetzung für diese Arbeit ist es, dass sich die Pädagogen und Pädagoginnen mit ihrer eigenen geschlechtlichen Sozialisation und ihrem eigenen Bild von Jungen (und Mädchen) auseinandersetzen.

Über die eigentliche medienpädagogische Arbeit hinaus können dann auch allgemeine Ziele der geschlechtsbezogenen Jungenarbeit erreicht werden:

  • Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen stärken
    Jungen lernen, sich selbst mit ihren Stärken und Schwächen zu akzeptieren. Sie sollen offen und mutig auf neue Situationen zugehen. Und sie sollen mutig sein, zu sich selbst zu stehen, auch wenn dies nicht dem gängigen Jungenbild entspricht.
  • Gefühle wahrnehmen, ausdrücken und verstehen
    Jungen lernen ihre Gefühle wahrzunehmen und als einen wichtigen Teil von sich anzuerkennen. Sie lernen, ihre Gefühle auf vielfältige Weise auszudrücken. Sie lernen ihre Gefühle zu verstehen, egal ob Freude, Trauer oder Wut.
  • soziale Fähigkeiten entwickeln
    Die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten der Jungen werden gestärkt und erweitert. Sie lernen, miteinander Regeln zu entwickeln und diese auch kritisch zu überprüfen. Sie sollen sich nicht nur für ihre eigenen Interessen einsetzen, sondern auch die Situation der anderen Kinder und Erwachsenen berücksichtigen und sich auch für die Interessen der anderen einsetzen.
  • Konflikte lösen lernen
    Jungen lernen ihre Konflikte so zu lösen, dass sowohl ihre Grenzen, als auch die Grenzen der andern gewahrt bleiben. Sie lernen, ihre Konflikte nicht nur mit Gewalt zu lösen, sondern auch andere konstruktivere Möglichkeiten anzuwenden.
  • Gleichwertigkeit und Verschiedenheit von Jungen und Mädchen akzeptieren
    Jungen sollen sich gut dabei fühlen ein Junge zu sein, ohne Mädchen abzulehnen oder abzuwerten. Sie sollen die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen, Männern und Frauen wahrnehmen und verstehen, ohne eine Bewertung als „besser“ oder „schlechter“ vorzunehmen. (vgl. Rohrmann/ Thoma 1998, S. 40 ff)

Literatur

Sascha Krefft: „Austeilen oder einstecken? Wie man mit Gewalt auch anders umgehen kann.“ – München 2002

Gunter Neubauer/Reinhard Winter: „So geht Jungenarbeit – Geschlechtsbezogene Entwicklung von Jugendhilfe“ – Berlin 2001

Burkhard Oelemann/Joachim Lempert: „Endlich selbstbewusst und stark – Gewaltpädagogik nach dem Hamburger Modell“ – Hamburg 2000

Detlef Stoklossa: „Wut im Bauch – Aggressivität, Selbstverleugnung und Gewaltbereitschaft in der Jungensozialisation“ – Freiburg i.Br. 2000

Tim Rohrmann/Peter Thoma: „Jungen in Kindertagesstätten – Ein Handbuch zur geschlechtsbezogenen Pädagogik“ – Freiburg i.Br. 1998

Weiterführende Literatur

Dieter Schnack / Rainer Neutzling: „Kleine Helden in Not“ – Reinbek 1990 / 2000
Der Klassiker zum Thema Jungen und ihrer Entwicklung zur Männlichkeit. Für den oder die, der / die sich zum ersten Mal mit dem Thema Jungen näher beschäftigen will. Sehr gut lesbar, verständliche Theorie

William F. Pollack: „Richtige Jungen“ – München 1998
Ein wissenschaftliches Buch über die Entwicklung von Jungen, von einem amerikanischen Psychologen geschrieben.

Jens Krabel: „Müssen Jungen aggressiv sein?“ – Mülheim an der Ruhr 1998
Eine Praxismappe für die Arbeit mit Jungen im Alter von 8 – 16 Jahren.

Kurt Möller (Hrsg.): „Nur Macher und Macho?“ – Weinheim und München 1997
Dieses Buch zeigt verschiedene Ansätze von Jungenarbeit im Jugendbereich.

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Henning Fietze
Das gemixte 7. Jahr: OK-Medienzirkus
Medienarbeit im ländlichen Raum mit MultiMedia-Schiene

Die Grillen zirpen, die Mähdrescher rollen – Sommer in Schleswig-Holstein… Zeit für den OK-Medienzirkus: Offener Kanal auf Landpartie. Schleswig-Holstein als Flächenland ist prädestiniert für das rollende Medienmobil, das 1996 erstmalig in den Sommerferien in die Dörfer zog und dort jeweils eine Woche lang auf dem Dorfplatz ein Mediencamp für die Jugendlichen der Gemeinde aufschlug.

Drei Zelte im Kreis, viel Gekabel drumherum und rauschende Köpfe darinnen. Jugendliche produzieren jeweils 5 Tage lang kompetent begleitet Filme, Radio und Mulitmedia auf dem Dorfplatz. Aus eigenen Ideen erstellen sie selbständig verschiedenste Medienprodukte. Da wird interviewt und geplant, Spielfilme und Trickfilme entstehen neben Audioreportagen und Hörspielen, neben interaktiven MultiMedia-Dorfralleys und einfühlsamen Reportagen. Am letzten Abend dann die Präsentation auf dem Dorfplatz, OpenAir und mit Großbildleinwand, manchmal mit Lampenfieber und immer mit tosendem Applaus des versammelten Dorfpublikums. 1996 ging „Fischauge – das rollende Videocamp“ an den Start, seit 1998 wird es flankiert von dem Audio-Pendant „Floh im Ohr – das rollende Audiocamp“, zusammen bereisten diese Aktionen des „OK-Medienzirkus“ mittlerweile fast 40 Gemeinden in den verschiedenen Kreisen Schleswig-Holsteins.

Über 1000 Jugendliche & zahllose Zuschauer – der „OK-Medienzirkus“ ist Medienarbeit vor Ort im ländlichen Raum, dort, wo medienpädagogische Arbeit nur selten angeboten werden kann. Der „OK-Medienzirkus“ mit seinem „Vor Ort“-Ansatz kann medienpädagogisches KnowHow in den ländlichen Raum transportieren und kann so unmittelbar auf die Bedingungsfaktoren jugendlicher Lebenswelten außerhalb der Städte eingehen.

Was nun ist der ländliche Raum an sich, welches sind die Bedingungsfaktoren der in Schleswig-Holstein üppig vorhandenen „Fläche zwischen den Städten“?

Das Land
Eine gängige Definition¹ zählt folgende Unterschiede zum urbanen Ballungsraum auf:

  • Geringe Bevölkerungsdichte und disperse Siedlungsstruktur
  • Dominanz von Freiflächen
  • niedriges Durchschnittseinkommen
  • hoher Anteil von Pendlern
  • hoher Anteil von Wohnungseigentum
  • relativ einseitige Wirtschaftsstruktur

Für Jugendliche lassen sich die spezifischen Bedingungen im „peripher gelegenen, ländlichen Raum“ nach wie vor auf einen einfachen Nenner bringen: „Das Klischee lebt!“. Ländlicher Raum wird auch zu Beginn des 3. Jahrtausends vor allem über seine Einschränkungen wahrgenommen. Eingeschränkte Mobilität etwa wirkt sich auf Ausbildungschancen wie auch das Freizeitverhalten aus, die „Attraktivität“ der omnipräsenten Mofa-Clique oder die elterlichen Fahrgemeinschaften sind Zeichen für eine latente Stigmatisierung des Nichtmobilen. Die Studie „Jugendliche in ländlichen Regionen“ erwägt sogar, die Stationen einer Jugend, des Heran­wachsens, des Erwachsenwerdens durch die Befähigung ein Fahrrad, ein Mofa, Moped und schließlich ein Auto fahren zu können und zu dürfen, zu definieren.² – Positive wie negative Ressourcen des Landes aus der Sicht Jugendlicher und Heranwachsender können in vier Bestimmungsfaktoren eingeteilt werden.

  • Bildung/ Ausbildung Schule
  • Freizeit & Kultur
  • Mobilität
  • Familie/ Dorfgemeinschaft

¹(nach Siegfried Becker in: Erwin Lauterwasser (Hrsg.), Welche Zukunft hat das Dorf?, Mainauer Gespräche Band 13, Insel Mainau 1997, S.19)

²Ländliche Soziologie deutschsprachiger Länder, Schriftenreihe des BM für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten, Münster-Hilltrup 986, S.76ff

DSL winkt nur von Ferne…

Natürlich war „das Land“ an sich im Laufe der Jahrzehnte etwa mit Neubaugebieten und erweitertem Mobilitätsstandards immensen Änderungen unterworfen. Die Bestimmungsfaktoren jugendlichen Lebens jedoch sind – bei technisch gesehen ähnlichen Chancen bezüglich der medialen Versorgung – über die Jahre erstaunlich gleich geblieben. Und nicht nur, dass DSL mit seinen Hoch­geschwindigkeitsleitungen im ländlichen Raum bis auf weiteres Wunschtraum jugendlicher Vielsurfer und Dauer-Downloader bleiben wird, auch die Rezeptions­hintergründe bleiben unterschiedlich. Der „Mediatisierung der Erfahrung“ (Alexander Kluge) kommt im Dorf mit seiner bestehenden Dorfgemeinschaft aus Landjugend, lokalem Vereinswesen und Freiwilliger Feuerwehr eine besonders folgenschwere Bedeutung zu: Die mediale Erlebniswelt entzieht dem dörflichen Sozialraum Gewicht und Bedeutung, fehlende medienpädagogische Angebote verstärken die unreflektierte Wahrnehmung und Nutzung von Medienangeboten noch weiter. Medienrezeption auf dem Lande ist also vor allem im Bezug auf die „Heimatwelten“ der Jugendlichen , also deren spezifische soziale Erfahrungsräume zu sehen.

Darüber hinaus ist die prognostizierte „passive Sanierung“ des ländlichen Raumes ausgeblieben; Strategien etwa des schleswig-holsteinischen Ministeriums für ländliche Räume, mit dessen Initiative zur Einrichtung von „Marktzentren“, favorisieren einen Weg der endogenen Entwicklung: Infrastruktur soll möglichst nah an den Nutzer herangeführt werden, da die Erreichbarkeits­verhältnisse, also die Mobilität, sich langsamer verändert, als Struktur möglich ist.

Ein Ansporn für den alljährlichen „OK-Medienzirkus“: Vor Ort Infrastruktur und (medien-) pädagogisches KnowHow anbieten statt qualifiziertes Warten in den Städten auf die Nachfrage der Landbevölkerung nach medienpädagogischen Angeboten!

 

Auf „Fischauge – das rollende Videocamp“ folgte nach 2 Jahren konsequenterweise das Parallelprojekt „Floh im Ohr – das rollende Radiocamp“. Durch die Möglichkeit, Radio direkt und live vom Dorfplatz zu senden, stellen sich bei diesem Hörfunk-Projekt bei identischen Lernzielen doch Unterschiede ein: Die Faszination des Live-Sendens über die Frequenzen des Offenen Kanals Hörfunk führt zu einem differierenden Wochenablauf: Audioprodukte sind schneller erstellbar als Videofilme und führen so mittlerweile fast täglich zu einer kleinen Livesendung aus dem Camp. Jeder Teilnehmer produziert im Schnitt drei Audioprodukte und „versendet“ sie noch am gleichen Tag. Zwei oder drei Medienprodukte ermöglichen auch die Erprobung einer größeren Anzahl von Genres, als dies bei Fischauge und seiner arbeitsaufwendigeren Videoproduktion der Fall sein kann: Eine Umfrage an den Haustüren zum Aufwärmen, ein ScienceFiction-Hörspiel am Folgetag und eine Reportage über die Orgel der Dorfkirche zum Abschluss, eine unglaubliche Vielfalt an Lernergebnissen ist hier möglich. Fischauge dagegen besticht – neben der natürlich sehr intensiven Befassung mit dem Thema im Laufe der vier Tage Produktionsdauer – auch mit der „spektakuläreren“ und dorfbe­zogeneren Abschluß­präsentation. Video auf Großbildleinwand ist einfach fesselnder, als eine Radiosendung mit Zuhörern auf dem Dorfplatz. Durch die Erweiterung des Medienspektrums um Multimedia bei beiden Projekten ist hier in den letzten zwei Jahren natürlich eine Angleichung erfolgt: Endlich hat auch Floh im Ohr seine Bilder.

Das KLIMA-Konzept

Fischauge & Floh im Ohr sind mittlerweile feste Einrichtungen in der Sommerplanung des ULR-Dezernats Offener Kanal und bundesweit auf Tagungen und Konferenzen auf großes Interesse gestoßen.

Um die medienpädagogische Arbeit einmal weniger ihre berühmten Siebenmeilen-Schritte hinter den Anforderungen der Realität hinterher hinken zu lassen, wurde der OK-Medienzirkus in den letzten Jahren stetig fortentwickelt. Neue Rezeptions­verhalten und Medienformate, partiell geänderte soziologische Voraussetzungen im ländlichen Raum und die Präsenz der Neuen Medien im Alltagsleben ergeben die Ausgangslage für die aktuellen Modifikationen der Projekte und ihre Zusammenführung im „OK-Medienzirkus“ mit seinem „Konzept der ländlich initiierenden Medienarbeit“.

  • Medienkompetenz-Vermittlung
  • Politische Bildung
  • Kommunikation
  • Jugendarbeit

lauten die vier Lernzielkategorien der Projektreihe. Dabei will KLIMA in allen Bereichen Prozesse anschieben und Vorbild sein für Nachfolgeaktivitäten. Ihr Zusammenspiel ist ausführlich dargestellt3.

„Kunst & Medienpädagogik“ war 1996 ein Kapitel in der Auswertungsbroschüre über den ersten Mediensommer im Kreis Rendsburg-Eckernförde überschrieben. Und auch heute ist ein wichtiger Anspruch des Projektes das Aufzeigen von Alternativen zu Comedy und daily soaps, zu Splatterschockern und Standard­reportagen. Medienästhetische und kreative Aspekte in der Medienarbeit haben nichts von ihrem missionarischen Anspruch im medienpädagogischen Spektrum eingebüßt, doch haben experimentelle Entwicklungsorgien mit Super8 und schockgefrorene Polaroid-Scratchereien mittlerweile Platz gemacht für eine neue Spielwiese experimentellen Medienschaffens:


3Fietze/Willers,Floh im Ohr-ein Konzept der ländlichen Medienarbeit, ULR-Schriftenreihe Band 19,Kiel 1999

OK-Medienzirkus goes Multimedia

Fischauge und Floh im Ohr führen seit 2 Jahren mit dem MultiMediaLab eine mobile Internet-Station mit, die Vor Ort das Arbeiten in einem wireless LAN mit bis zu 10 Notebooks ermöglicht. Sucht man auf dem weiten Feld der medien­pädagogischen MultiMedia-Projekte noch immer meist erfolglos nach ausgereiften Konzepten über ein „learning by doing“ hinaus, so konnte hier in der ländlichen Medienarbeit nach KLIMA ebenso wenig das MultiMediakonzept von stationären OKs übernommen werden. Vielmehr muss betrachtet werden, welche Potentiale MultiMedia explizit für die Arbeit des OK-Medienzirkus mit sich bringt:

Multimedia ist dauerhaft

  • Multimedia kann online präsentiert werden, Ergebnisse verstauben nicht im Schrank, sondern sind auch nach Jahren online abrufbar.
  • Multimedia ist mehr als initiierend, da als Trendmedium für eine Nachnutzung einfach verfügbar (Internet-Cafes im JUZ & preiswerte, einfache Software).

Multimedia ist auch bei Erziehern hip

  • Erzieher und andere pädagogische Kräfte vor Ort verfügen im Bereich der Neuen Medien über eine vielfach höhere Aneignungsmotivation, als gegenüber den vermeintlich „bekannten“ AV-Medien. Die Erfahrung zeigt: Ein Homepage-Kurs wird schneller mit Eigenkompetenz (ggf. auch aus den Reihen der Jugendlichen) bestritten, als ein Videofilm im Dorf, zu dem, wenn finanzierbar, doch lieber ein Medienpädagoge eingeladen wird.
  • Der OK-Medienzirkus bietet nun beides: Medienpädagogen vor Ort bieten Videotechnik und KnowHow an und stellen darüber hinaus in Form des mobilen MultiMediaLabs auch Ressourcen im Bereich der Neuen Medien zur Verfügung.

Multimedia ist schnell machbar

  • Neben den Audioprodukten oder dem Film – dessen Produktion mit Drehbuch, Dreharbeiten, Schnitt und Nachvertonung naturgemäß eine minimale Produktionsdauer von drei Tagen hat – kann MultiMedia, auch mit völlig abweichender Themenstellung, nebenbei oder nach Abschluss des AV-Projektes als Extra-“Bonbon“ umgesetzt werden. Eine kurze Geschichte, eine Gruß- und Fanpage oder zumindest ein Kurzbericht von den Dreharbeiten des Filmes sind schnell gefertigt.
  • Verworfene Ideen können mittels MultiMedia doch „noch schnell“ skizziert werden, vielleicht der Grundstein für einen folgenden Film, eine Radiosendung im OK oder eine interaktive Bildergeschichte am Jugendtreffeigenen PC. Ist der Film oder der Radiobeitrag drei Stunden vor der großen Abschlusspräsentation beendet, kann ohne Probleme schnell noch mit Digitalkamera und flotten Sprüchen, mit eigener Musik und flinken Fingern eine kleine Medienpraline gefertigt werden. So entstanden spontane Werke über Frauenfußball, Gartenmonster oder Schwierigkeiten bei der Mülltrennung.

Multimedia ermöglicht Zweitverwertung

  • Nach der Radioreportage oder dem Videofilm zu einem Thema, können Material und Rechercheergebnisse von den Jugendlichen schnell und einfach auch online verfügbar gemacht werden. Als NetReportage wird das Thema vertieft, als Bildergeschichte werden stills der Spielfilm-Dreharbeiten verarbeitet.
  • Begleitend zum erstellten AV-Produkt kann auch ein Film/ Audio-Index angelegt werden. Zu jedem Produkt ein Foto der Macher, eine Standbild und eine kurze Inhaltsangabe. Alles nach Dörfern geordnet abrufbar unter www.ok-medienzirkus.de.

Multimedia für alle Altersstufen
Vom Einzelbild mit gekrakelter Kinder-Retusche über die Bildergeschichte mit Sprechblasen bis zur komplexen Multimedia-Reportage oder der Interaktiven Schatzsuche durch’s Dorf: MultiMedia auf dem Dorfplatz bietet für alle Altersstufen der Projektreihe adäquate Möglichkeiten der Befassung

Dennoch: MultiMedia braucht eine andere Art der Herangehensweise. Scheint die technische Kompetenz Jugendlicher im Bereich der Neuen Medien vergleichsweise hoch, so sollen im Zusammenhang eines offenen Angebots wie im „OK-Medienzirkus“ die Nutzungsschritte auch für Anfänger ohne PC-Kenntnisse in der kurzen Projektdauer pro Dorf erlernbar sein. MultiMedia auf der Wiese stellt also neue Anforderungen:

  • Bedienbarkeit: Selbst einfache Programme sind oft noch zu komplex (Menü-Struktur) für eine intuitive Bedienung und Nutzung des Angebotes.
  • Die Gruppennutzung des Mediums ist schwieriger als bei AV-Medien. Mikrofonträger, Beleuchter, Interviewer und Kameramensch müssen sich auf die kleine Digitalphotokamera und das Laptop aufteilen.
  • Die Einspeisung ins Netz – also der eigentliche Akt der Veröffentlichung – erfordert mitten in der redaktionellen Stressphase (kurz vor Abschluss des Produktes) eine recht komplexe technische Einweisung.
  • Die Geräte des mobilen MultiMediaLabs haben einen hohen Wartungsaufwand. Sind Gras, Sonne und Morgentau schon für die AV-Technik eine Herausforderung, so erweisen sich PC-Hard- und Software (bekanntermaßen) als hochgradig klima- und eingriffssensibel. In jedem Jugendlichen steckt ein PC-Experte, dessen „Spezialkonfigurationen“ abends vom Team resetet werden müssen…
  • Am Präsentationsabend müssen MultiMedia-Produkte „live“ vorgeführt werden. Ist die öffentlichen Vorführung ein Höhepunkt des Projektes, so müssen hier die Tricks und Einfälle in etwa in einer interaktiven Geschichte oder einen Hobby-Homepage auf der Großbildleinwand gezeigt und live erläutert werden.

Neben der Wahl einfach bedienbarer Programme wird diesen Anforderungen durch eine intensive Schulung der Mitarbeiter auch im Bereich der Neuen Medien begegnet. Außerdem werden AV-Medien und Neue Medien im „Weichenmodell“ genutzt: Multimedia und Video/ Audio werden in den rollenden Mediencamps in einer gemeinsamen Einführungsrunde (Stichwort „TycoSession“4) angeboten, gehen jedoch nach einer ersten Erkundung der Geräte – dem legendären „Dorf-Dreh“ – auch räumlich im Camp eigene Wege. Erst in der öffentlichen Vorführung werden beide Medien wieder zusammengeführt. Präsentiert wird dann ein Spagat zwischen Radiosendung/ Kinoabend und interaktiver FotoLoveStory und das alles auf der grünen Wiese, garantiert Grillwurstkompatibel…

7 Jahre Fischauge und Medienzirkus sind 7 Jahre Konzept und Chaos, inhaltliche Ansprüche und Planungen im Verbund mit Improvisation und norddeutschen Regengüssen. Doch auch äußerlich geht der Medienzirkus mit der Zeit: Die Mitarbeiter-Zelte sind Wohnwagen, den „Team-Trailern“, gewichen, ein Kühl-Anhänger konnte als Techniktrailer in Dienst gestellt werden. Und doch stammt ein Großteil der konzeptionellen Bausteine schon aus dem Anfangsjahr 1996. Ein Zeichen für den vorausschauenden Ansatz der Projektreihe, ein ermunterndes Signal für weitere Jahre auf dem platten Land – mit digitaler Technik auf der Suche nach dem Techno aus Grillengezirpe und mit detektivischer Spürnase auf der Jagd nach dem ultimativen Bild: Ein wehmütiger Schwenk vom tosend-ratternden Mähdrescher auf die goldene Sonne am norddeutschen Horizont…


4Suarez, Fietze, Fischauge 1998, ULR-Schriftenreihe Band 18, S. 12
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