Senden per UMTS von der Hansine und anderen Orten

Offener Kanal Lübeck überträgt Bürgerradiosendung live von der Ostsee

Ende August 2011 übertrug der Offene Kanal Lübeck erstmals von einem Schiff auf der Ostsee, dem ehemaligen Haikutter „Hansine“, eine Bürgerradiosendung mit dem Schulnetzwerk ProNet per UMTS-Verbindung mit Laptops und einem UMTS-Stick.

„Gerade wir als Bürgerradio müssen immer auch aufs Budget schauen und können, wenn es per UMTS klappt, viel Geld einsparen“, beschreibt Michael Luppatsch, Leiter des OK Lübeck die Vorzüge dieser Technik. „“Das lange Delay spielt keine Rolle, weil bei Übertragungen kompletter Magazine keine Hin- und Herkommunikation mit einem Studiomoderator notwendig ist. Allerdings ist der Einsatz des UMTS-Sticks nicht an jedem Ort möglich“, fügt er hinzu.

Deshalb lohnt ein Blick auf die Erfahrungen mit Sendungen über feste DSL-Leitungen und per UMTS, die man im Lübecker Bürgersender gemacht hat.
Seit fast 10 Jahren werden aus der Landesvertretung Niedersachsen/Schleswig-Holstein über eine DSL-Leitung jedes Jahr tägliche Livesendungen von der Berlinale für fünf bis sieben angeschlossene Bürgerradios in Norddeutschland ausgestrahlt. Seit ca. 3 Jahren nutzt der Offene Kanal Lübeck für die Anbindung von drei seiner sieben Außenstudios DSL-Verbindungen und einen internen Radiostream, der bei pop-stream.de angemietet wurde. Und seit März diesen Jahres kommen darüberhinaus Verbindungen, die mit UMTS aufgebaut werden, für punktuelle und spontane Livesendungen vor Ort hinzu.

UMTS-Sendungen von der Leipziger Buchmesse

Feuertaufe feierte die Übertragung per UMTS-Stick auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse. Nachdem kurzfristig die Zusammenarbeit mit Radio Mephisto, dem Leipziger Campus-Radio, und damit eine ISDN-Audiocodec-Anbindung für die Sendungen der Redaktion „Verlesen – live aus Leipzig“ nicht zustande kam, sattelte man auf eine kleine eigene Technikeinheit um. Übertragen wurde dabei per UMTS-Stick mit einem Flatrate-Vertrag von Vodaphone, der für einen Pauschalbetrag von 15,- Euro im Monat ca. 90 Std. Liveübertragungen ermöglicht. Viel mehr als in der Praxis des Bürgerradiosenders im Monat nötig sind. Der Verbindungsaufbau aus dem Pressezentrum der Buchmesse gestaltete sich ohne Probleme – trotz vieler UMTS-Nutzer auf dem Gelände. So konnte an zwei Tagen ein jeweils einstündiges Literaturmagazin in Broadcast-Qualität, allerdings mit einem Delay von ca. 40 Sekunden, abgewickelt werden. Beim Einsatz eines ähnlichen UMTS-Sticks der Telekom brach die Verbindung jeweils nach 20 Minuten ab.

Für die Abwicklung der Sendung werden dabei ein Notebook für die UMTS-Verbindung eingesetzt, über das mit den Programmen Winamp und Shoutcast als En- und Decoder der upload in AAC+ als Stereofile (joint stereo) mit 64 kB/sec auf den internen Radiostream umgesetzt wird, und das parallel die Aufzeichnung der Sendung besorgt. Per USB ist daran ein kleines Mischpult angeschlossen, das drei Mikrokanäle zur Verfügung stellt. Ein Laptop dient als Einspieler für Musik, Jingles und vorproduzierte Beiträge. So konnte auf die Einrichtung einer vorübergehend nutzbaren ISDN-Leitung, für die die Telekom ca. 350,- Euro je Einrichtungsort berechnet, verzichtet werden. Über Winamp wird dann im Funkaus – genauso wie bei der Live-Anbindung der Außenstudios per DSL der interne Stream als URL aufgerufen.

UMTS-Netzanbindungen nicht immer in gleicher Qualität

So ergaben Tests vor einer geplanten Übertragungen von der am Lübecker Priwall vor Anker liegenden Viermastbark „Passat“, dass im Lübecker Seebad die UMTS-Abdeckung weder mit Telekom noch mit Vodaphone ausreichend sicher gewährleistet ist. Zum 100jährigen Geburtstag der Passat wurden deshalb die Sendungen aufgezeichnet und dann per OKSH-eigenem ftp-Server ins Funkhaus geschickt, wo sie kurz darauf ausgestrahlt werden konnten. Für Übertragungen von der Passat während der Travemünder Woche wurde dann wieder ein Audiocodec (Mayah Sporty II) mit ISDN-Anbindung eingesetzt.

Eine Reihe weiterer Veranstaltungen im Verbreitungsgebiet des Offenen Kanals Lübeck, das bis etwa 35 km im Umkreis von Lübeck reicht und somit eine technische Reichweite von ca. 400.000 Hörern erzielt, wurden und werden ebenfalls per UMTS-Stick abgedeckt. So etwa die Berufsorientierungsschau vor der Kirche St. Petri oder der „Tag der Posaune“ auf dem Lübecker Marktplatz. Ob jeweils die vor Ort mögliche UMTS-Bandbreite ausreicht, wird dabei immer einige Tage vorher getestet. Allerdings kann es dann beim konkreten Event Abweichungen ergeben, die beispielsweise durch verstärkte UMTS-Nutzung durch zahlreiche Besucher von Veranstaltungen verursacht werden. Das flexibele Konzept des Offenen Kanals als Bürgersender ermöglicht es aber, solche Experimente einzugehen. Nach öffentlich-rechtlichen Standards ist man dabei sicher nicht ausreichend abgesichert.
Es hat sich herausgestellt, dass an manchen Orten kurze Verbindungen durchaus fehlerfrei funktionieren und nur lange, einstündige Sendungen von dort problematisch sind. So wurden auch redaktionell für Veranstaltungen neue Sendekonzepte entwickelt, bei denen ein Studiomoderator die Sendung bestreitet und für kürzere Liveschalten zum Veranstaltungsort schaltet. Das durch den UMTS-Upload und DSL-Download bedingte Delay von ca. 20 – 40 sec. wird – was im Bürgerradio kein großes Problem darstellt – entweder durch eine vorher ausgetestete Standard-Anmoderation mit sekundengenau festgelegter Dauer (und einer parallelen Handy-Verbindung zum Außenreporter) aufgefangen – oder Anmoderation und Reporterbericht werden per kurzer Verbindungsmusik getrennt und der Mischpultzug mit der Winamp-Verbindung zum internen Radiostream (also zum Außenreporter) erst nach einem kurzen „jetzt start“, dass über PFL im Studio mitgehört wird, aufgezogen. Für diese Art Kurzberichte bietet sich eine noch kleinere, einfachere Technik an: Das per UMTS-Stick mit dem Radiostream verbundene Netbook wird dabei durch ein Zoom H-2 Aufnahmegerät mit eingebauten Mikros ergänzt, das als externe Soundkarte an das Netbook angeschlossen ist. So können Reportagen und Interviews stromunabhängig von ganz verschiedenen Orten einer Veranstaltung (z.B. verschiedenen Ständen eines Messegeländes, verschiedenen Event-Orten bei der Museumsnacht etc.) live geschaltet werden, wenn dort jeweils die UMTS-Abdeckung ausreicht. Diese Form soll bei den Nordischen Filmtagen Lübeck Anfang November 2011 weiterentwickelt werden.

Livesendung von der Ostsee

Eine besondere Herausforderung nahm der Offene Kanal Lübeck an, als im Frühsommer 2011 ProNet, ein Zusammenschluss von Produktionsschulen in Schleswig-Holstein und Dänemark, ihr Projekt „Belt & Boat“ vorstellte: Auf einem Segeltörn von Lübeck entlang der Ostseeküste nach Heiligenhafen und dann über Kalundborg, Korsør und Nykøbing wieder zurück nach Lübeck lernen Jugendliche von den beteiligten 6 Produktionsschulen mit dem Segelschiff umzugehen, lernen in internationalen Begnungen und bei praktischen Arbeiten. Der Offene Kanal Lübeck hatte schon von mehreren Veranstaltungen des ProNet-Projektes live berichtet und so kam die Idee auf, für die Fahrt entlang der schleswig-holsteinischen Ostseeküste eine Live-Übertragung eines rd. einstündigen Magazins mit den Jugendlichen und Gästen von Bord des 36-BRT-Schiffes „Hansine“ einzuplanen. Dabei konnte die UMTS-Anbindung natürlich nicht vorher ausprobiert werden. Doch am Mittwoch, 24. August, waren OK-Mitarbeiter Wolfgang Fabian und die Gesprächspartner an Bord des Kutters pünktlich um 12.00 Uhr live auf Sendung. 45 Minuten lang konnte problemlos in Broadcast-Stereoqualität gesendet werden. Das Schiff befuhr dabei – mit Motorkraft, weil am Vortag der Mast gebrochen war, der noch an Bord von den Jugendlichen wieder aufgebaut wurde – eine Strecke vor der Küste von Travemünde unter der Fehrmarn-Brücke hindurch bis Heiligenhafen. „Als wir vor Grömitz um die Ecke kamen, reichte die UMTS-Verbindungsqualität nicht mehr für eine weitere Übertragung“, beschreibt Wolfgang Fabian die Verbindungssituation. Da der interne Radiostream ab 13.00 Uhr auch für die regelmäßige Schulradio-Sendung aus dem Außenstudio am Marion-Dönhoff-Gymnasium in Mölln benötigt wurde, war die Live-Übertragung sowieso nur bis 12.50 geplant worden.

„Von einer Übertragung von Hörfunk-Livesendungen per UMTS-Verbindung habe ich erstmals in Bezug auf den Papstbesuch beim katholischen Jugendtag in Köln im Jahre 2005 gehört“, erklärt Michael Luppatsch. Damals war Technik von Mayah Communications im Einsatz, die auch im OK Lübeck eingesetzt wird, um eine Papst-Ansprache von einem vor Anker liegenden Rheinschiff zu übertragen. „Von einem Sende-Projekt zur Museumsnacht mit Reportagen von wechselnden Standorten, warnten mich damals Mayah- Mitarbeiter eindringlich. Dass war wohl per UMTS noch nicht machbar“, ergänzt er. „Eine Bürgerradiosendung von einem Schiff auf der freien Ostsee, dazu noch über eine Dauer von 45 Minuten ohne Probleme, ist wahrscheinlich eine Premiere.“

Autor: Michael Luppatsch, Leiter OK Lübeck